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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Abenteuer eines Badenden

©  Jenny Zombik

Er hatte genug in der Sonne gelegen. Er setzte sich auf und sah an sich hinunter. Er war stolz. Stolz auf die in harter Arbeit antrainierten Bizeps, stolz auf den sonnengebräunten Bauch, für den er sich stundenlang der Mittagshitze ausgesetzt hatte und stolz darauf, der immerwährenden Versuchung einen Blick auf vorbeihechelnde Schönheiten zu werfen widerstanden zu haben. Blicke hinterließen doch nur den Eindruck eines notgeilen Strandspanners. Er setzte eine Hand an seine Armbanduhr und schob sie ein Stück den Arm hinauf.
Ein Beobachter würde glauben er hätte es auf die Urzeit abgesehen. Hätte vielleicht noch einen wichtigen Termin mit Arbeitskollegen, würde von seiner Lebensgefährtin zu Hause erwartet oder müsste seinen Ferrari aus der Werkstatt abholen. Nichts dergleichen. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht: Ein heller Streifen auf seinem Handgelenk kennzeichnete deutlich die Spuren der Armbanduhr. Er hatte tatsächlich noch etwas Farbe bekommen.
Seufzend legte er sein Buch zur Seite. Er hatte lange vor dem Bücherregal gestanden um ein passendes Exemplar zu finden. Eines, mit dem man sich auch am Strand sehen lassen konnte. Intellekt sollte es ausstrahlen. Aber auch Männlichkeit. Etwas außergewöhnlich und doch nicht überheblich.
Schließlich stand er auf und klopfte sich die paar Sandkörner vom Körper, die auf sein Handtuch geweht worden waren. In dynamischen Schritten machte er sich auf, über den Strand zum Wasser zu gelangen, immer darauf bedacht einen zielstrebigen Eindruck zu machen. Vorbei an Kindern, die mit aller Vorsicht kleine Schlösser in den Sand bauten, an schnatternden alten Damen, die in Sorge vor der löcherigen Ozonschicht das Handtuch um die Beine gewickelt und einen Strohhut auf dem Kopf unter ihren Sonnenschirmen saßen, zwischen zwei knutschenden Pärchen hindurch, die er schon seit einer Weile mit angemessener Diskretion in der selben Haltung beobachtete - und nicht umhin kam sich einen Anflug von Neid einzugestehen - , bis er schließlich am Fuße der Wellen angekommen war. Nachdem er ein Frösteln nicht verbergen konnte ließ er sich ins Wasser fallen.
Und er schwamm und schwamm und fühlte sich mächtig und frei, wie ein König, der gerade neu errungenen Staatsboden observiert.
Pubertierende 13-Jährige täuschten Überraschen vor, wenn sie vom anderen Geschlecht unter die Wasseroberfläche gezogen wurden. An ihm vorbei ein junger Mann. Die Arme und Beine in gleichmäßigem Rhythmus, eins mit dem Wasser und den Wellen. Ein sportlicher Typ. Sicher beliebt, angesehen, mit sozialen Kompetenzen, Geld und Ruhm. Ein paar kräftige Züge und er war vorbei. Und der einsame Badende blieb zurück. Die Heckwelle des anderen schwappte ihm ins Gesicht und er wusste sich nicht anders zu helfen als unter zu tauchen. Den Kopf unter Wasser, einen Brei aus Lauten von Strand und See in den Ohren blickte er sich um. In Sichtweite nichts als Beine: Kinderbeine, Elterliche Beine und die Beine einer fettleibigen alten Frau, die aus einem Gummiring von der Oberfläche in die Tiefe ragten. Und da kam auch schon der Schwimmer zurück. War wohl nur eine kleine Runde geschwommen; der Repräsentation wegen. Und der Beobachter fühlte sich sicher.
Jetzt und nur noch für einige Augenblicke, bis er an die Oberfläche zurückmusste um seine Lunge mit Sauerstoff zu versorgen, hatte er die Möglichkeit alles über diesen Fremden herauszufinden.
Und während der andere sich in naiver Sicherheit wiegte, begann er ihn zu durchforsten, jeden Winkel seinen Körpers zu erkunden. Es dauerte nicht lange, da ergab die Suche den ersehnten Erfolg.
Großspurig hatte sich der Schwimmer in Richtung seines Widersachers gedreht und ihm somit direkten Blick auf seinen Unterleib geboten; gerade als der, voller Resignation und ohne jede Energie noch länger unter Wasser zu bleiben, auftauchen wollte. Nur für den Bruchteil einer Sekunde, hatte er die Umrisse durch die enge Badehose sehen können. Doch da war er gewesen: Der Augenblick der Überlegenheit. Er stieß sich vom Boden ab und kam wie ein Geschoss an die Oberfläche. Er konnte es kaum erwarten einen vergleichenden Blick auf sein bestes Stück zu werfen. Und wenn jemals das Synonym "bestes Stück" angemessen war, dann in seinem Fall. Er sah an sich hinunter, und da war es. Schimmernd wiegte es sich in der Dunkelheit des unergründlichen Sees. Ein Prachtstück. Sein ganzer Stolz ... freigelegt. Wo zum Teufel waren seine Shorts? Ein zweiter Blick nach unten, noch immer glänzte es ihm in voller Pracht entgegen. Gehetzt sah er sich um. Doch seine Umgebung schien von dem Vorfall keine Notiz zu nehmen. Er riskierte ein paar Schwimmbewegungen, bemerkte aber schnell, dass sein - durchaus wohlgeformtes - Hinterteil beinahe an die Oberfläche ragte und zog sich schnell wieder zurück in den Stand. Mit den Füßen weit unten am Grund, die Arme vor seinem Oberkörper kreisend, bahnte er sich seinen Weg in tieferes Gewässer.
Je mehr er sich der Mitte des Sees näherte, desto sicherer wurde er. Noch immer beobachtete er mögliche Reaktionen um sich herum, jeder Blick eines anderen Badenden in seine Richtung ließ ihn zusammenzucken und auf ein krampfartiges Einatmen, dass eindeutig auf einen Tauchgang schließen ließ, reagierte er mit ein paar schnellen Schwimmzügen entgegen der Richtung des mutmaßlichen Voyeurs.
Er wünschte sich nichts sehnlicher als in mitten der tollenden Menge einen Gleichgesinnten zu entdecken. Jemanden, mit dem er wenigstens in Gedanken sein Leid teilen konnte; wenn er schon nicht den Mut aufbrächte sich vor ihm darzustellen, so wäre er wenigstens nicht mehr ganz allein mit seiner Qual. Aber so sehr er auch nach einem gleichermaßen perplexen und hilflosen Gesichtsausdruck forschte, er schien das einzige Opfer eines derartig hinterhältigen Überfalls auf seine Intimsphäre zu sein. Möglicherweise, so stellte er sich vor, hatte ein junges, hübsches Mädchen ihn auserkoren, ihre Neugierde am anderen Geschlecht zu stillen und nachdem sie eigentlich nur vorgehabt, hatte seine Hose ein wenig zu lüften, war sie nach dem Anblick seines Exemplars so übermütig geworden, dass sie ihm seine Bekleidung vom Leib gerissen und sie als Andenken an dieses Wunder der Natur mit nach Hause genommen hatte. Allerdings, musste er sich eingestehen, war die wahrscheinlichere und weniger spektakuläre Variante, dass sie ihm beim Verlassen seines Unterwasser-Beobachtungspostens von den Hüften gerutscht war.
Er war nun schon eine viertel Stunde im Wasser und weil die Sonne im Mai noch nicht die Energie hatte, das Wasser auf eine angenehme Temperatur zu heizen, bildete sich langsam eine einheitliche Gänsehaut auf seinem Körper. Er beobachtete ein junges Pärchen, das im Wasser tobte.
Der Mann bot sich immer wieder als Sprungturm an, um die brünette Schönheit von seinen Schultern ins kalte Nass hüpfen zu lassen und das Mädchen folgte seinen Instruktionen bereitwillig und mit fröhlichem Jauchzen.
Die Vorstellung langsam zu den beiden hin zu schwimmen, ihnen im Flüsterton seine missliche Lage zu erörtern, der Gedanke an den Blick des Mannes unter die Wasseroberfläche begleitet von einem hämischen Grinsen und das peinlich berührte kichern der Frau, ließen erneut Panik in ihm aufsteigen.
Niemals könnte und würde er sich auf diese Weise erniedrigen lassen. Er würde nicht um Hilfe betteln und auf einen Samariter hoffen, der heimlich still und leise einen Ausweg bietet. Er würde sich stellen. Aufrecht und wie ein Ehrenmann würde er aus dem Wasser schreiten. Er würde Aufsehen erregen, na und? Er hatte nichts zu verbergen, nichts wofür er sich schämen müsste. Die Natur hatte ihn nicht umsonst so gut ausgestattet. Jetzt würde er zeigen, was einen Mann ausmacht. Mit diesem Gedanken paddelte er in derselben Haltung in Richtung Strand, in der er sich vorher zur Seemitte gerettet hatte. Der Überraschungseffekt sollte nicht verloren gehen, meinte er und erkannte gleichzeitig die Lächerlichkeit dieses Gedankens, der doch nur ein Vorwand war, sein kleines Geheimnis so lange wie möglich für sich zu behalten. Aber er hatte sich entschieden und wenn er den Blick nach unten senkte, konnte er deutlich erkennen, dass sein Familienjuwel zu einer Glas-Murmel zusammenschrumpfen würde, wenn er nicht bald aus dem kalten Wasser käme. Einen Schritt vor den anderen setzend, näherte er sich dem Ufer.
Die anfängliche Nervosität ging bald in leichte Panik über.
Er war jetzt schon so weit, dass das Wasser nur knapp seinen Bauchnabel streifte, beim nächsten Schritt würde sich die Katastrophe in seiner ganzen Dramatik offenbaren.
Er zögerte einen Augenblick, dann ließ er dem Schicksal seinen Lauf. Die Augen starr zu Boden gerichtet verließ er nach und nach die schützende Decke des Sees.
"Nur nicht rot werden, nur nicht rot werden", dachte er noch, er wollte nicht wirken wie ein verschüchterter Junge, sondern wie jemand der wohl wusste was er tat, und die Reaktion darauf genoss.
Nur wie sah so jemand aus? Er versuchte sich zu entkrampfen und seinen Blick nach vorne zu richten.
Wem auch immer er in die Augen gucken müsste um ihn von der Natürlichkeit dieser Situation zu überzeugen, er würde sich nicht verstecken. Er hob den Kopf und ging mit den Augen langsam den Strand ab. Von links nach rechts und noch einmal zurück. Doch die Einzige, die sich zunächst für sein skurriles Auftreten zu interessieren schien, war ein kleines Mädchen, das für einen kurzen Moment ihr kleines Eimerchen in den Händen hielt und ihn begutachtete bevor sie den Bau ihres Staudammes fortsetzte. Je weiter er auf den Strand kam, desto mehr Leute blickten sich nach ihm um. Die Menschenmassen hatten sich noch verdichtet und vorsichtiger als auf dem Hinweg musste er sich jetzt durch Anlagerungen von Decken, Handtüchern und Picknicken schlängeln. Am schlimmsten empfand er die Blicke von unten, wenn er wieder einen dünnen Sandstreifen zwischen zwei aufeinander treffenden Familienfesten gewählt hatte, die nun auf ihren Klappstühlen sitzend zu ihm hinauf gafften und ihren Blick auf dem Weg zu seinem Gesicht wie zufällig auch über den Rest seines bar liegenden Körpers streifen ließen.
Als er schließlich vor dem Platz stand, den er vor einer knappen halben Stunde nichts ahnend verlassen hatte, empfand er plötzlich ein großes Verlangen sich unter einem Trommelwirbel umzudrehen und, während alle Blicke auf ihn gerichtete waren, würde er einen lauten Urschrei erklingen lassen, männlicher und inbrünstiger, als Tarzan ihn jemals in den Urwald gebrüllt hatte. Stattdessen bückte er sich, sammelte sein Handtuch vom Boden, schüttelte es kurz aus und schwang es sich um die Hüfte.


Eingereicht am 02. November 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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