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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Die Schlüsselfigur
© Rainer Wüst
Piep, piep. Ich hörte ein Klingeln. Was war das? Natürlich, das war mein Handy und ich hatte eine Textnachricht bekommen. Das war nichts Ungewöhnliches, denn schließlich hatte ich gerade die 20 erst überschritten und war wie alle in meinem Alter mit dem Medium Handy wohl vertraut.
Ich, Tanja, eine junge Frau von 22 Jahren, mit blonden Haaren und einem wohlproportionierten Körper, suchte, wie viele andere Frauen in meinem Alter, den Traumprinzen. Deshalb hatte ich eine Chat-Flirtline per SMS genutzt. Mittlerweile waren unzählige Textnachrichten von vielen netten und interessanten Männern eingegangen. Ich hoffte zumindest, dass welche dabei waren. Die Textmeldung die mich jetzt erreichte, war auf jeden Fall äußerst aufreizend und ich hatte große Lust diesen Mann zu treffen. Seine Beschreibung
von sich selbst war himmlisch. Er hieß Joachim Müller, war 1,80 m groß, 74 kg schwer, sehr sportlich, hatte blaue Augen und schwarze Haare. Aus diesem Grund beschloss ich ihm zu antworten und einen Treffpunkt zu organisieren. Nach einem weiteren Textaustausch hatten wir unser Date unter Dach und Fach. Wir verabredeten uns für 15.30 Uhr im "Café Einstein".
Nachmittags, 16.00 Uhr saß ich seit einer guten halben Stunde im "Café Einstein". Joachim verspätete sich wohl. Ich schaute mich auf jeden Fall immer wieder suchend und schon etwas enttäuscht um. Er kam wohl nicht mehr, dachte ich so bei mir und schlürfte dabei meinen heißen Kaffee. Dabei war ich mir so sicher mit ihm.
Etwas betrübt schaute ich noch mal hoch und in diesem Moment sah ich ihn. Nein, nicht den Mann meiner Textmeldung, sondern meinen alten Schulfreund, Martin Richter, der mich wohl auch gleich erkannte und winkend auf mich zukam. Er lächelte mich an und fragte: "Ganz allein, darf ich mich dazu setzen?" Ich wollte eigentlich verneinend abwinken, aber da hatte er sich schon zu mir gesetzt. " Was machst du hier so allein?", fragte er mich abermals. Ich konnte ihm doch jetzt nicht die Wahrheit sagen.
"Ich trinke nur einen Kaffee", sagte ich und bemerkte gleich wie blöd das klingen musste. Das sah er ja selbst. "Da hatte ich mich wohl richtig zum Depp abgestempelt", dachte ich noch so bei mir. Er aber ignorierte meine Antwort, um mich sogleich mit alten Kamellen aus unserer Schulzeit vollzusülzen. Nun war es sowieso egal, nachdem mein Blinddate seit einer Stunde überfällig war.
Im Laufe der Unterhaltung, die immer besser und lustiger wurde, bemerkte ich wie sympathisch mir Martin eigentlich war. Nach einer weiteren Stunde verabredeten wir uns für den nächsten Tag. Wir wollten am nächsten Abend ins Kino und trennten uns mit einem Küsschen auf die Wange.
Ich ging, kaum noch in Gedanken an mein missglücktes Blinddate, nach Hause. Dort angekommen sah ich, dass meine Wohnungstür einen Spalt breit geöffnet war. Waren Einbrecher in meiner Wohnung oder hatte ich vergessen meine Tür abzuschließen? Mir wurde heiß und kalt und ein Angstschauer huschte über meinen Nacken, wobei sich dort die kleinen Härchen aufrichteten. Ich kramte in meiner Handtasche nach meinem Schlüssel, fand ihn aber nicht sofort, was normalerweise nicht verwunderlich war, da eine große Unordnung
darin herrschte. Aber auch nach längerem Suchen musste ich feststellen, dass mein Schlüssel weg war. Hatte ich Ihn vergessen oder war er mir gestohlen worden? Ich wusste es nicht. Nur im "Café Einstein" lag meine Tasche etwas unbeaufsichtigt auf einem Stuhl, direkt neben mir. Sollte dort jemand meinen Schlüssel entwendet haben? Zu viele Gedanken kreisten in meinem Kopf herum und ich wollte sofort die Polizei anrufen. Aus einem unerfindlichen Grund machte ich es nicht.
Mit klopfendem Herz drückte ich langsam meine Wohnungstür auf und hielt dabei meine Handtasche so fest, dass ich damit einen Einbrecher so niederschlagen könnte, dass er nicht mehr aufstehen würde. Was ich dann sah überraschte mich total.
Nachdem ich durch meinen kurzen Flur gegangen war und im Wohnzimmer ankam, schaute ich in einen von "Romantik" durchfluteten Raum. Das ganze Zimmer war gefüllt mit Rosen und erstrahlte im Lichtermeer von Kerzen. Dazu spielten im Hintergrund wunderbare Songs von meiner Lieblingssängerin, Shania Twain. Der Tisch war für zwei Personen gedeckt und wundervoll dekoriert. Ich starrte förmlich in diesen Raum und nahm auch den Duft einer zubereiteten Mahlzeit wahr.
Schritte hinter mir ließen mich aus dem Traum reißen und ich wirbelte herum und blickte in das lächelnde Gesicht von Martin.
"Hunger?", fragte er mich. Ich sah ihn total verblüfft und mit einem völlig belämmerten Gesichtsausdruck an und stotterte: "Ja, ja hab ich." Jetzt kam ich zu mir und sofort schrie ich ihn an: "Was fällt dir ein? Bist du total verrückt? Du hast mich zu Tode erschreckt! Mach das nie wieder mit mir!" Er ignorierte meinen Wutanfall und sprach mit ruhiger Stimme weiter: "Es gibt eine leckere Gemüselasagne und einen trockenen Rotwein dazu." Statt eines weiteren Wutanfalls begann
ich herzhaft zu lachen und begab mich an den schön gedeckten Tisch im Wohnzimmer. Er brachte zu meiner Erstaunung auch sogleich das Essen und öffnete anschließend den Rotwein und schenkte mir ein Glas voll ein.
Wir verbrachten einen wunderschönen romantischen Abend. Erst viel später, nachdem Martin schon gegangen war nahm ich mein Handy und sah, dass ich eine Textnachricht bekommen hatte. Ich öffnete diese und las: "Liebste Tanja, entschuldigen Sie bitte dass ich nicht zum vereinbarten Treffpunkt kommen konnte, aber mein Auto hatte eine Reifenpanne. Könnten wir uns heute Abend, 20.00 Uhr vor dem Restaurant 'Zum Jammerkrug' treffen?" Unterschrieben hatte es Joachim.
Jetzt war es mittlerweile 23.00 Uhr und damit war auch dieses Date geplatzt. Aber der Abend mit Martin war so schön gewesen, dass es mir auch nicht Leid getan hat, Joachim nicht getroffen zu haben. Ich beschloss ihm am nächsten Tag den Sachverhalt zu texten und alles zu klären.
Früh am Morgen ging mein Radiowecker mit Musik an, danach folgten die Nachrichten. Zuerst kamen die Staus, dann das Wetter und schließlich die Lokalnachrichten. "Hier noch eine Entwarnung. Der Vorgestern entflohene Sträfling und Vergewaltiger Joachim Müller, ist heute in den frühen Morgenstunden gefasst worden." Als ich diese Nachricht hörte, riss ich die Augen auf. Mir wurde schlecht, ich rannte ins Bad und musste mich erstmal übergeben. Nachdem es mir wieder besser ging, wurde mir erstmal klar welches
Glück ich hatte, Martin getroffen zu haben. Ich beschloss auf der Stelle ihn anzurufen und mich bei ihm zu bedanken und diese unglaubliche Geschichte zu erzählen. Seine Telefonnummer fand ich in meinem privaten Telefonbuch.
Ich nahm den Hörer ab und wählte. Nach mehrmaligem Schellen ging auf der anderen Seite jemand ans Telefon. "Lydia Richter", hörte ich eine ältere Dame sagen. "Wer ist da?", fragte sich mich. "Tanja! Kann ich bitte Martin sprechen?" gab ich zurück. Eine traurige, sehr weinerliche Stimme am anderen Ende fragte mich: "Was wollen Sie von ihm?" Ich gab etwas barsch zurück: "Das möchte ich Ihm selbst sagen und außerdem, wer sind Sie eigentlich?" "Ich bin die Mutter
von Martin, aber", sie machte eine Pause, "wissen Sie es denn nicht? Er hatte vor einem Jahr einen tödlichen Autounfall", schluchzte sie ins Telefon. Auch ich begann nun meinen Tränen freien Lauf zu lassen und verstand überhaupt nicht was eigentlich geschehen war. Den Hörer legte ich langsam und behutsam, ohne ein weiteres Wort mit ihr zu wechseln, auf. Tränen verklebten meine Augen, worauf ich mir ein Taschentuch aus meiner Handtasche nehmen wollte. Ich griff hinein und hielt völlig erstaunt etwas
in meinen Händen. Da war mein Wohnungsschlüssel, so als wäre er nie woanders gewesen. War alles nur Einbildung gewesen oder war Martin vielleicht mein Schutzengel? Ich atmete tief durch und hielt meinen Schlüssel fest in den Händen.
Welch ein Schlüsselerlebnis ...
Eingereicht am 01. November 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.