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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Irgendwie wird es schon gehen!

©  M. Schwirkmann

Da saß sie nun nachts um drei in der Küche ihres Traumhauses, völlig verheult, zitternd und verängstigt, denn es hatte mal wieder einen Riesenkrach gegeben, weil ihr Noch-Ehemann zuviel Alkohol genossen und sie nach 18 Jahren das erste Mal ohne ihn eine Party verlassen hatte. Dies Mal war er zu weit gegangen. Er hatte eine Grenze überschritten, eine Hemmschwelle. Er hatte sie geschlagen und sie wusste es würde wieder passieren. Genau das war der Punkt. Plötzlich war sie sehr ruhig, ohne goldene Pillen, die sie in den letzten zwei Jahren immer häufiger gebraucht hatte.
Sie konnte klar denken und der Plan, der von ihr so oft wieder verworfen worden war, nahm Gestalt an. Wurde sie etwa verrückt? Denn fast schien es so als freue sie sich auf den erwachenden Tag - Samstag, den 13 Februar.
Sie deckte den Frühstückstisch. Ihr ahnungsloser Ehemann erschien wie immer nach solchen Auseinandersetzungen sehr schweigsam und vergrub sich hinter der Tageszeitung. "War etwas? Ich kann mich an nichts erinnern." Das wollte er wohl damit ausdrücken.
Aber sie konnte sich erinnern - und das nur allzu gut.
Sie fuhr den Amateurreitlehrer in die Reithalle, wo er in den nächsten drei Stunden mit dem Unterricht angehender Amazonen beschäftigt sein würde. Er entstieg dem Auto mit einem Grummeln, das man nur mit allergrößtem Wohlwollen als Abschiedsgruß hätte identifizieren können. Aber ihr Wohlwollen war endgültig aufgebraucht, deshalb hüllte sie sich in Schweigen.
Er, und da war sie sich ganz sicher, blieb in dem festen Glauben zurück, dass ihn seine allzeit verlässliche Gattin Schlag zwölf ins traute Heim an den gedeckten Tisch holen würde.
Wenn er sich da mal nicht täuschte! Sie konnte sich eines hämischen Grinsens nicht erwehren.
"Hey, du", tadelte sie sich selbst. "Du bist fertig, am Boden zerstört, du solltest in der Ecke sitzen und heulen." Stattdessen entwickelte sie unglaubliche Aktivitäten. Sie holte zwei Koffer vom Boden und warf alles Mögliche hinein: Anziehsachen für sich und ihren Sohn, wichtige Bank- und Versicherungsunterlagen usw. Sie stand neben sich und fand sich cool.
Dann griff sie zum Telefonhörer.
Schon beim dritten Klingeln meldete sich ihre mütterliche Freundin. Sie bedeutete ihr viel. Früher war sie ihre Lieblingslehrerin aus Teenagertagen gewesen, seit mehr als 18 Jahren war sie nun ihre beste Freundin, die Patentante ihres Sohnes, und sie war immer da, wenn sie sie brauchte.
"Können wir das Wochenende bei dir verbringen?", fragte sie zaghaft.
"Ja, sicher", kam es spontan, "aber sag, ist etwas passiert?" Sie hatte instinktiv begriffen, dass mit wir nicht ihre ganze Familie gemeint war.
"Ich erklär dir alles, wenn wir da sind."
Obwohl sie eben noch sehr cool war, kamen nun die Tränen und sie wollte das Gespräch möglichst schnell beenden.
"Ich freue mich auf euch", hörte sie noch aus dem Hörer, dann schmiss sie ihn aufatmend zurück auf die Gabel.
Jetzt kam der schwierigste Teil des Unternehmens. Wie machte man einem fast 13jährigen Morgenmuffel an einem schulfreien Vormittag den Auszug aus dem geliebten Haus schmackhaft.
Doch es ging leichter als sie es sich vorgestellt hatte. Sicherlich hatte er nachts einiges mitbekommen und ihr Schockzustand, in dem sie sich ohne Zweifel befand, war ihm trotz Schlaftrunkenheit auch nicht entgangen.
Ohne viele Fragen zu stellen, wofür sie ihm dankbar war, zog er sich an, stopfte ein paar unentbehrliche Sachen in seinen Rucksack. Dabei bedachte er seinen Vater mit deftigen Schimpfwörtern, wobei sie ihn zum ersten Mal nicht bremste.
Sie verstauten alles, in der "Roten Zora", einem Kleinwagen mit unheimlichem Fassungsvermögen.
Die Fahrt verlief recht schweigsam. Zwischendurch knuffte der junge Mann seine Mutter und meinte weltmännisch: "Heul nicht Mama, dieses Mal zeigen wir es ihm." Da sah sie den Vater ihres Kindes, wie er vor der Reithallentür verstört wartete, und sie konnte sogar lächeln.
Am Sonntag informierte sie ein paar gute Freunde, die völlig verdattert waren. Das hatten sie ihr wohl nicht zugetraut, obwohl alle wussten, dass es bei ihnen schon seit längerer Zeit höllisch kriselte.
Bei dieser Gelegenheit erfuhr sie dann auch, dass ihr Noch-Ehemann auf die alljährliche Hengstschau in V. hatte verzichten müssen. Seine Freundin, die beste Reiterin von allen, traute sich bei Nebel nicht auf die Autobahn. Hätte sie selber sich vom Nebel abhalten lassen? Wohl kaum.
Nun aber musste sie Vorkehrungen treffen, damit ihr Sohn am Montag wie gewohnt zur Schule gehen konnte. Natürlich war er nicht sehr begeistert. Er betrachtete das Unternehmen inzwischen als großes Abenteuer. Damit hatte er wohl auch gar nicht so Unrecht, denn seine Mutter hatte alles Bestehende ins Wanken gebracht, getreu dem Motto: "Irgendwie wird es schon gehen!"


Eingereicht am 01. November 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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