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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Knieficker

©  Leif Skaerbaek

Als neulich ein junger Mann mit Spiegelglatze, Springerstiefeln und auf die Finger tätowierten Buchstaben h, a und s zu mir in die Beratungsstelle kam und mich fragte, ob ich denn Angst vor ihm hätte, antwortete ich, wie man es von mir gewöhnt ist, kurz und knapp: "Ich habe Sie vorhin aus ihrem Fiat Panda aussteigen sehen. In ihren Zahnzwischenräumen sind Zwiebelreste vom letzten Döner nicht zu übersehen. Als Sie herein kamen, hatten Sie die Ohrstöpsel Ihres japanischen Disc Man noch in den Ohren. Es war für mich nicht zu überhören, dass Sie die neueste Panjabi-MC-CD zu ihren Favoriten zählen. Ihre Stiefel sind nicht geputzt. Sie sind arbeitslos und haben keinen Schulabschluss. Sie verherrlichen einen Führer, der Leute wie Sie wohl lebenslang in ein Arbeits- und Erziehungslager stecken würde. Nein, ich habe keine Angst VOR Ihnen, sondern UM Sie."
Seine Mischung aus nach Luft schnappen und "A-A-Aber" überging ich, weil ich noch nicht zu Ende gesprochen hatte.
"Und wenn Sie sich schon das Wort HASS auf die Finger tätowieren lassen, sollten Sie sich einen Tätowierer suchen, der wenigstens deutsch schreiben kann."
Dass zum ordnungsgemäßen HASS ein S fehlt und er es nicht bemerkt hatte, gab meinem Klienten wohl den Rest.
"Ach, ficken Sie sich doch ins Knie!"
Darauf war ich in meinem Studium nicht vorbereitet worden. Jetzt schnappte ich nach Luft und als ich wieder zu mir kam, war mein Klient verschwunden. Ich fühlte mich elend und klein. Als Berater hätte ich vielleicht doch nicht so egozentrisch reagieren sollen. Was hatte er beim Hinausgehen gesagt? Ich wusste es nicht mehr, hatte es wohl ins Unbewusste verdrängt.
Gestern fiel es mir dann wie Schuppen von den Augen. Na klar. Auch mit der Verdrängung hatte ich wohl Recht, besser gesagt mit dem Unbewussten. Immer wenn ich in den letzten Wochen nackt vor dem Spiegel stand und an mir herunter schaute, zog ich wie automatisch mein linkes Bein an, winkelte es im Kniebereich ab und zog es weiter nach oben. Bis gestern wusste ich nicht, was dieser Reflex zu bedeuten hatte.
Bis ich mich an den Satz meines Klienten erinnerte. "Ficken Sie sich doch ins Knie." Zuerst fand ich es unerhört.
Später wollte ich es ausprobieren. Der Gedanke, der Erste zu sein, der diese Sache testet, war fast so gut, wie jener, den Klienten im Erfolgsfalle mit einer CD-ROM zu überraschen, auf der das Experiment mit Hilfe meiner neuen Digi-Cam gespeichert ist.
Ich fragte mich ernsthaft, ob die Sache tatsächlich funktionieren könnte, entkleidete mich umständlich und setzte mich auf den Fußboden im Wohnzimmer. Der so genannte Schneidersitz schien ideal als Ausgangsposition. Ich merkte, dass die Sache weder funktioniert, wenn ich das Bein nach unten, noch wenn ich es nach oben hin verdrehe. Es musste eine andere Lösung gefunden werden. Außerdem brauchte ich eine Erektion.
Ich finde mich selbst nicht besonders erotisch. Bilder von meiner Frau mussten her. Ich legte die Fotos verteilt auf den Boden um mich herum und konnte mich wie immer nicht für ein bestimmtes entscheiden.
Bis zur vollständigen Erektion verging sehr viel Zeit. ... sehr viel Zeit. Es war ja auch nicht wirklich besonders bequem. Das konnte einen schon mal raus bringen.
Als ich nicht mehr so richtig wusste, ob ich Männlein oder Weiblein bin, wurde mir ziemlich schwindelig. Ich hatte mich total verknotet. Tatsächlich schaffte ich ein paar Stöße.
Als vor lauter Schmerz die Erektion nachließ, wurde mir auch noch schwarz vor Augen. Den Höhepunkt konnte ich vergessen. Ohnmacht kam über mich wie ein großes, hässliches Tier.
Jetzt lieg ich hier und starre ein Loch in die Luft vor mir.
"HERR HENRIX, strecken Sie sofort Ihr Bein wieder aus. Oder wollen sie sich das gesunde auch noch ruinieren mit ihren Übungen?"
"Was. Oh. Ja. Entschuldigung, Schwester Heidrun. Mach ich, Schwester Heidrun. Ich war total in Gedanken. Ich werde mich befleißigen."
Auf dem Nachttisch stehen Blumen. Die hat mir meine Frau vorhin mitgebracht. Sie hatte mich gestern in flagranti mit mir selbst erwischt und mich ins Krankenhaus gefahren.
Sie wolle trotz des Vorfalls zu mir halten.


Eingereicht am 27. Oktober 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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