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Der Sänger von Bagdad
Von Harald Bulling
Vor langer, langer Zeit wurde die Metropole am Tigris von dem greisen und mächtigen Herrscher Osman regiert. Er war weder schlecht, noch gut, so dass die Untertanen ihr Leben ohne große Not oder Reichtum genießen konnten. Es war nach langen Jahrzehnten von Kriegen eine friedliche Phase in die Stadt eingekehrt. Doch wo das Leben blüht, ist der Neid nicht fern. Und wo die Liebe gedeiht, da ist der Hass zum Krieg bereit. So kam es auch für die Händler, Handwerker, Fischer und alle anderen Einwohner von Bagdad.
An einem schönen Frühlingstag brachte eine Bote die entsetzliche Nachricht. Von Norden her bewegte sich ein großes Heer auf die Stadt zu. Krieg bedeutete das. Schon trafen die ersten Bauern aus Norden auf der Flucht vor den mordenden Horden an den Toren Bagdads ein, sie suchten Schutz. Der Kriegsrat der Stadt tagte, als ein weiterer Bote mit einer neuen Schreckensnachricht eintraf. Von Osten her wälzte sich ebenfalls ein Heer auf die Stadt zu. Spuren von Plünderung, Mord und Brandschatzung kennzeichneten ihren
Weg, die Handschrift der Schlächter war die gleiche. Osman und seine Generäle schienen sehr hilflos zu sein, denn nun war klar, die Heere von Norden und Osten gingen gemeinsam vor.
Eifrig wurden Verteidigungspläne geschmiedet, alle Soldaten wurden an die Waffen gerufen und die Stadt bereite sich zum Abwehrkampf vor. Wie ein Lauffeuer erfasste die Nachricht von dem bevor stehenden Angriff die Einwohner. Jeder besorgte sich Vorräte, insbesondere das wertvolle Wasser und verbarrikadierte sein Zuhause. Nur die Bettler und herumziehenden Märchenerzähler, Gaukler und Sänger sammelten sich am Flussufer, denn sie wussten nicht wohin sie sich zurückziehen konnten. Da saßen sie nun in der anbrechenden
Abendstunde am Fluss an den Lagerfeuern und berieten sich. Doch niemand hatte eine Lösung.
Nur ein junger Sänger, genannt Adman, hielt sich sehr zurück in den Beratungen und dachte viel nach, was seinen Kollegen gleich auffiel, denn sonst war er ein Bündel an Energie und nahm rasch das Wort an sich. Da er unter allen Sängern als der beste angesehen wurde, machte ihm das Privileg niemand streitig, er galt als ihr heimlicher Wortführer. Da hört man schon von der Stadtmauer herab die Hornbläser, die das Ankommen der ersten Angreifer verkündeten. Wollten sie etwa bei Nacht versuchen die Stadt einzunehmen?
Urplötzlich erhob sich Adman, ging zielstrebig von seinen Gefährten weg und richtete seine Schritte in Richtung des Palastes, in dem der große Verteidigungsrat tagte. Er bat dort um Vorsprache bei dem Herrscher und den Generälen, um seinen Plan zur Verteidigung der Stadt vorzutragen. Die Generäle fanden es eine Zumutung, dass sie nun von einem Sänger gestört werden sollten. Da Adman sehr beliebt wegen seiner Kunst war, kam er jedoch bis vor den Verteidigungsrat. Die Wachen hielten ihn nicht auf. Der hohe Rat
hatte endlich alle Informationen zu einem Lagebild zusammengestellt und Hoffnungslosigkeit machte sich bei allen Anwesenden breit, denn nun wusste man über die Überlegenheit der beiden Gegner Bescheid, es waren über hundert mal so viele Angreifer wie Verteidiger.
Doch der Herrscher, der die Sangeskunst von Adman über alles liebte, hörte sich nachdenklich den Vorschlag an. Der Sänger erhielt die Erlaubnis sich auf der Stadtmauer zu bewegen, da alle ihn kannten, würde so auch keine größere Unruhe unter den Soldaten entstehen. Osman nahm die entrüsteten Kommentare seiner Generäle zur Kenntnis, doch was sollte schon das Vorhaben des Sängers für einen Schaden anrichten.
Adman ging rasch zum nördlichen Teil der Stadtmauer und ein Soldat erklärte ihm, was unter den feindlichen Truppen geschah. Alle rechneten mit einem Angriff am frühen Morgen, wenn die Hitze sich noch nicht so lähmend auf den Körper auswirkte. Daher begannen schon jetzt die Angreifer sich für die Schlacht vorzubereiten, das hieß, ihre riesigen Katapulte, Türme zur Erklimmung der Stadtmauer und die vielen Leitern in Position zu bringen. Ein anderer Teil der feindlichen Truppen baute das Nachtlager auf und bevor
die Sonne unterging, brannten schon die ersten Lagerfeuer und der Geruch von gebratenem Fleisch erfüllte die Luft.
Nun kannte der Sänger die Lage beim nördlichen Teil der Angreifer und ließ sich versichern, dass es im Osten nicht besser aussah. Bagdad sollte im Sturm genommen werden, nicht wie üblich durch langes Aushungern erobert werden. Er versank für einen Moment in eine tiefe, innere Ruhe und stimmte dann sein erstes Lied an. Eine Lied, das die herankommende Nacht und die Hoffnung eines einsamen Soldaten nach seiner Liebsten zum Inhalt hatte. Lied für Lied baute Adman eine Stimmung unter den Zuhörern auf, obwohl er sie
nicht sah und sie trotz der Entfernung dem sagenumwogenen Gesang lauschen konnten, spürten er bei allen die Nachdenklichkeit. Die feinfühlige Intuition des Künstlers machte sich hier sehr bezahlt.
Die Nacht brach herein, ein wunderschöner Mond erleuchtete Bagdad und seine Umgebung. Die romantische Nachtruhe wurde durch den Gesang von Adman bei allen so verstärkt, dass an den Lagerfeuern der Feinde nicht mit vergangenen Heldentaten geprahlt wurde und schon gar keiner sich mit den grausamen Gedanken an den morgigen Angriff beschäftigte. Es brach eine sentimentale Besinnlichkeit unter den Soldaten aus, so dass sich die Generäle der Angreifer aus beiden Himmelsrichtungen die selben zunehmenden Sorgen machten.
Wie sollten sie mit melancholischen Soldaten eine so geschützte Stadt wie Bagdad angreifen?
Adman sang ein Lied, schöner als das andere. Hatte er mit Liedern der Sehnsucht und über die Romantik der Abendstunden begonnen, so war er nun bei Balladen angelangt, die das Verlangen nach Liebe, Ende der Einsamkeit, Abkehr vom Grausamkeit und Krieg zum Inhalt hatten. Seine geübte Stimme schien die Worte immer tiefer und voller Sinnlichkeit, Schönheit und Friedfertigkeit in die Herzen der Angreifer zu pflanzen. Es kam zu Unruhe an den Feuern, wie die Späher auf den Stadtmauern feststellen konnten. Adman sang
immer wehmütiger und herzergreifender, je näher die Morgenstunde kam und das erste Licht der Sonne die Lager der Angreifer erhellte. Doch es schien zuerst nur als herrschte unter ihnen letzte Augenblicke der nächtlichen Ruhe. Die Feuer schienen erloschen zu sein.
Unter den Spähern von Bagdad brach jedoch langsam eine zweifelnde Unruhe aus, normalerweise begann zu der ersten, schummrigen Tagesstunde die Vorhut der Angreifer sich zur Schlacht zu formieren und an den Nachtlagerstellen gab es üblicherweise ein emsiges Treiben. Die ersten Reiter waren zu sehen, sie weckten damit anscheinend die noch Schlafenden. Doch nichts war von einem beginnenden Angriff zu sehen, das Szenarium wirkte zu dieser herrlichen Stunde wie die Erinnerungen an einen Albtraum.
Sogar die Kampfmaschinen schienen wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Welche List hatten sich nun die Feinde ausgedacht? Adman hörte auf zu singen, er bemerkte die sich verstärkenden Gespräche unter den Spähern und Soldaten auf der Stadtmauer und sah viele besorgte Gesichter. Ratlosigkeit machte sich breit. Die Generäle von Bagdad erschienen mit übermüdeten Augen auf der Stadtmauer und blickten mal nach Norden, dann wieder nach Osten. Sie sahen jedoch keine Maßnahmen oder Aktivitäten, die auf einen Angriff
schließen ließen. Schon brach die nächste Morgenstunde mit einem herrlichen Sonnenaufgang an. Nur ein paar einsame Reiter waren im Lager der Feinde zu sehen, sie verbreiteten ein Bild der Verstörtheit.
Der Verteidigungsrat von Bagdad tagte trotz der Müdigkeit seiner Teilnehmer. Wieder war eine Morgenstunde vergangen, die Späher meldeten nichts Neues und eine Theorie nach der anderen wurde jeweils von einem General vorgetragen, um vom anderen dann wieder verworfen zu werden. Ratlosigkeit machte sich bemerkbar, so dass nun der Herrscher von Bagdad den Befehl ausgab, die besten Späher sollten sich zu den Lagern der Feinde schleichen, um herausfinden, was dort geschehen war oder geschah.
Wehmütig wartete der Rat auf die erste Nachricht von den feindlichen Linien. Zur Verblüffung aller im Raum lautete die erste Botschaft der Späher, kein Feind in Sicht. Unruhe und wilde Diskussionen brach im Rat aus. Gegen Mittag waren alle Späher zurück und berichteten das Gleiche, die feindlichen Heere waren abgezogen. Osman ließ nun Reitertrupps in alle Richtungen aussenden, um die Feinde zu suchen. Vielleicht griffen sie erst morgen an? Einige Generäle vertraten die Meinung, die Angreifer versuchten nun
über den Süden oder Westen die Stadt zu erobern. Andere waren sich sicher, der Angriff auf die Stadt erfolge vom Fluss her und die feindlichen Heere besorgten sich notgedrungen alle erdenklichen Schiffe.
Bagdad war voller Menschen trotz der unerträglichen Mittagshitze. Überall im Schatten, der nun zur Mangelware wurde, standen die Einwohner in Gruppen zusammen, gestikulierend oder zuhörend, jedes neue Gerüchte ging wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Gegen Abend kamen die letzten Reiter zurück und meldeten den Abzug aller Angreifer. Bagdad schien gerettet zu sein. Noch blieb die Verteidigungsbereitschaft erhalten und man wollte eine Nacht abwarten.
Adman hatte sich schon am frühen Morgen zum Fluss zurückgezogen. Die stundenlangen Gesänge hatten an seiner Kraft gezehrt und er schlief umgehend am Lagerplatz der Bettler und Künstler ein. Sein Schlaf war jedoch unruhig, es lag an seinem Traum. In ihm erschien er sich selber, am Fluss auf und ab gehend. Er suchte etwas. Rastlos huschte seine Blick über den Fluss und dann wiederum suchte er sein Spiegelbild im Wasser. Angst ergriff ihn. Er bewegte seinen Mund wie beim Gesang, konnte jedoch nichts hören, nur das
Singen der Vögel, das Rauschen des Wassers und das Spiel des Windes im Schilf nahm sein Gehör war. Doch wo war seine Stimme ?
Schweißgebadet schreckte der Sänger hoch und blickte in das Gesicht eines Soldaten. Der hatte ihn geweckt und teilte ihm jetzt mit, dass der Herrscher Osman ihn sehen möchte. Adman wusch sich am Fluss kurz das Gesicht und folgte nachdenklich dem kleinen Trupp von Soldaten, die nach ihm gesucht hatten. Als er vor dem Herrscher und dem gesamten Verteidigungsrat stand, spürte er eine innere Unruhe, die er nicht zuordnen konnte und bisher auch nicht kannte. Alle bedankten sich bei ihm, denn sein Gesang hatte die
feindlichen Soldaten zum Abzug und Aufgabe ihres mörderischen Planes geführt. Osman lud ihn für diese Nacht in den Palast ein und wenn Morgen sich die Tatsache verstärken sollte, dass kein Angriff auf Bagdad stattfand, dann sollte er am großen Fest zur Rettung der Stadt als Ehrengast beiwohnen.
Und es kam zu einem der größten Feste, das die Stadt am Tigris je erlebte hatte. Die schönsten Frauen tanzten zur Musik, Sänger sangen die ersten Balladen auf Adman und die Rettung von Bagdad vor Mord und Plünderung. Um Mitternacht musste er dann selber auf den höchsten Turm der Stadt klettern und Lieder singen. Alle Einwohner verehrten den Sänger, was der Herrscher Osman mit den nachdenklichen Worten zur Kenntnis nahm: Die ganze Stadt liegt ihm zu Füßen. Niemand ahnte die abgrundtiefen Gedanken des Neides von
Osman zu der Zeit.
Adman blieb einige Tage als Gast im Palast des Herrschers, dieser fand dies angemessen, um seinen Plan auszuführen. Nach und nach war Ruhe in die Stadt und Dörfer um Bagdad eingekehrt, Die Bewohner gingen wieder ihrem Tagesgeschäft nach, als eines Morgens mehrere Soldaten in das Gemach des Sängers eindrangen. Sie knebelten ihn geschwind und fesselten dann seine Hände auf den Rücken. Befehl vom Herrscher wurde ihm gesagt. Ungläubig und ängstlich musste nun Adman den Soldaten folgen. Seine Ahnung war keine gute.
Die Soldaten führten ihn in das Gefängnis der Stadt und übergaben ihn dem Foltermeister und Henker von Bagdad.
Im dunklen Gewölbe der Grausamkeit offenbarte der Foltermeister Adman nun, was mit ihm geschehen würde, was sogar den Knechten der Schreckenskammer Tränen in die Augen trieb. Osman, der Herrscher hatte befohlen, dem Sänger die Zunge zu rauben, denn wer zwei so große Heere durch seinen Gesang vom Plündern, Morden und Brandschatzen abhalten konnte, dem würde es auch gelingen, notfalls die Macht der Stadt zu erobern. Die Einwohner lagen ja schon längst aus Dankbarkeit zu seinen Füßen. Da er Bagdad gerettet hatte,
wollte Osman ihn nicht töten lassen, was normalerweise geschah, sondern seiner Waffe berauben, der schönsten Stimme aller Zeiten.
Adman erstarrte vor Schrecken zu Stein, die Knechte hoben ihn auf die Folterbank und der Henker flößte ihm aus Mitleid einen Schlaftrunk ein. Dann verrichteten sie ihren fürchterlichen Auftrag. Adman blieb Tage in einer Zelle ohne Fenster und jedem Gefängniswärter wurde bei Androhung der Todesstrafe untersagt, über den einsamen Gefangenen zu sprechen. In der Stadt ließ Osman das Gerücht verbreiten, Adman sei auf Wanderschaft gegangen, um neue Lieder zu dichten. Niemand ahnte von dem grausigen Verbrechen des Herrschers
am Retter von Bagdad.
Als die Wunde verheilt war, wurde eines Nachts der Sänger wieder von mehreren Soldaten gefesselt, knebeln musste man ihn nicht mehr, dann aus dem Gefängnis geführt und zum Fluss gebracht. Dort nahm ihn ein Fischerboot an Bord und brachte ihn weit weg, stromabwärts von Bagdad. In den Morgenstunden hielt das Boot an einem Ufer voller Schilf, die Fischer nahm Adman die Fesseln ab und warfen ihn ins Wasser. Da er kein guter Schwimmer war, brauchte er lange bis er ans Ufer kam. Die Sonne ging strahlend auf, als der
geschundene Sänger das Boot an der nächsten Biegung des Flusses das Fischerboot zum letzten Mal sah.
Für Adman begann eine fürchterliche Tortur, beraubt um das Wesen seiner Selbst, die Stimme, schien ihm das Leben als Strafe an für sich. Er wollte sterben und machte sich nun als Wanderer und Bettler auf, in die große Wüste "An Nafud" zu kommen, um sich dort in einer verlassenen Höhle dem Tod zu überlassen. Nach Wochen und völlig entkräftet fand er eines Abends den geeigneten Platz zum Sterben. Er setze sich, zündete zum Abschied ein kleines Feuer an und verbrannte darin seine letzte Habe, den Wanderstock,
den kleinen Beutel mit Datteln und den Wasserschlauch. Der Wanderstock, der ihn so viele Tage und Wochen mühsam über Steine und gefährliche Pfade geholfen hatte. Die Datteln, die ihm Kraft schenkten ohne seiner Wunde im Mund weh zu tun. Der Wasserschlauch als wichtigste Habe des Lebens in dieser gnadenlosen Wüste. Müde verfiel er in einen ruhelosen Schlaf. Albträume schienen ihn zu quälen.
Adman fand sich im Traum plötzlich in einer tiefen Höhle, um ihn herum Steine und Überbleibsel von menschlichen Toten, doch es schien ihm, als würde sich einer der Knochen plötzlich bewegen. Eine Schlange kam langsam auf ihn zu. Furchtlos blickte er ihr in die Augen, das also sollte sein Tod sein, das Schicksal hatte ihn wohl erhört. Doch die Zeit verging und anstatt ihn zu beißen, erhob die Schlange ihren Kopf und ließ die gefährliche Zunge aufblitzen. Nun begann eine der seltsamsten Ereignisse ihm Leben des
Adman. Ungläubig beobachte er, wie die Schlange mit ihrer Zunge etwas in den Sand schrieb oder malte. Es dauerte eine Ewigkeit, dann war die Schlange verschwunden und nach nochmals einer Ewigkeit und unter dem letzten Licht des kleinen Lagerfeuers hob sich Adman mit letzter Kraft hoch und sah sich den Sand an der Stelle an, an dem die Schlange unaufhörlich mit ihrer Zunge zu Gange gewesen war.
Adman sah ein Gemälde, das ihm jedoch vom Sinn her erst mal verborgen blieb. Er verfiel jetzt in einen langen und ruhigen Schlaf, sein Traum führte ihn in eine der schönsten Oasen des Landes. Und er hatte viele seltsame Begegnungen mit ganz besonderen Menschen, die ihm immer etwas schönes abkauften, was er selber jedoch noch nicht sehen konnte. Vom Durst gequält, wachte er auf und ging mühsam zum Höhleneingang, als er linker Hand etwas plätschern hörte, er folgte dem Geräusch in eine tiefe Nische der Höhle und
spürte einen frischen Hauch um seine Nase. Mit den Händen ertaste er im Dunkeln den Rinnsal einer kleinen Wasserquelle und er labte sich an dem frischen und kühlen Nass. Seltsam gestärkt ging er zu seinem Lagerplatz zurück, fand etwas Holz und entfachte die Glut zu einem kleinen Feuer. Er machte sich nun viele Gedanken. Der Tod wurde ihm vom Allmächtigen wohl verwehrt, so war seine erste Feststellung. Nun sah er sich das Gemälde der Schlange genauer an und erkannte die Skizze eines Wanderplanes, das zu einer
Oase zu führen schien.
Am frühen Morgen machte sich Adman auf den Weg, den Plan hatte er sich mühsam eingeprägt und ging nun schweren Schrittes seines Weges. Hunger quälte ihn. Doch schon nach kurzer Zeit sah er die Spitzen von Palmen und kam zu der Oase, welche auf der Schlangenskizze verzeichnet war. Hier fand er bei Schafhirten für lange Zeit Obdach. Da er nicht reden konnte, begann er ihnen sein Leben in Bilder aufzuzeichnen, da die Schafhirten der Schrift nicht kundig waren. Adman entdeckte seine Liebe zur Malerei.
Er machte sich nun auf die Wanderschaft, um alles für sein neues Handwerk und künstlerisches Schaffen zu lernen. Bei den Töpfern lehrte man ihn die Kunst der Verzierung, die Tuchfärber verrieten ihm die Kunst der Farbenherstellung und bei Buchbindern zeigte man ihm wie man aus Holz Papier gewann, um Schriften und Gebetsrollen herzustellen. Bald war Adman in allen handwerklichen Gegebenheiten ein Meister, ja, er konnte sogar aus Tierhaaren Pinsel herstellen und auch nach alter Tradition auf gespannten, dünnen
Fellen malen.
Er begab sich wieder in die Oase, in der er sich eine Hütte baute und mit seinem Handwerk einer der schönsten Künste sich widmete, der Malerei. Vorbeiziehende Händler waren von seinen Werken so begeistert, das er sehr schnell viele Bilder verkaufte. In endlosen Serien erzählte Adman seine eigen Geschichte, aber er malte auch die Lieder und Balladen seines ersten Lebensabschnitt auf und stellte in Motiven die Stationen seiner Wanderschaft ausführlich dar. Adman wurde weit und breit der berühmteste Maler seiner
Zeit. Bilder von ihm wurden bald in allen Herrscherhäusern begehrt, so dass es Kaufleute aus den entlegensten Regionen gab, die nur zu ihm kamen um seine Kunstwerke zu erstehen. Doch vergaß Adman nicht die Schäfer und seine handwerklichen Lehrmeister, sie erhielten zu wichtigen Festtagen von ihm gezeichnete Bilder geschenkt und er half mit Geld bei Krankheit und Armut.
Adman lebte friedlich bis zu seinem Tod und genoss jeden Tag als ein Geschenk, an dem er seine Kunst ausüben konnte. Der Herrscher Osman starb jedoch einen sehr langen und qualvollen Tod. Sein Sohn, der seine Macht beerbte, lenkte Bagdad durch Raffgier und Unwissenheit in immer neue Katastrophen, so dass bald fremde Mächte die Stadt am Tigris beherrschten. Adman war nie wieder nach Bagdad zurückgekehrt und hatte in der Höhle seiner Erkenntnis den Frieden mit seinem Schicksal und Feinden gemacht. Die blinde Tochter
eines Schäfers war für ein halbes Leben seine Gefährtin, mit ihr teilte er die wichtigste Erkenntnis seines Lebens: Wenn man dir die Gabe zur Ausübung deiner Kunst raubt, dann suche einen neuen Weg, mit dem du deine Kreativität Ausdruck verleihen kannst. Wo eine Wille ist, ist auch ein Weg.
Eingereicht am 24. April 2004.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.