Gleich - und so verschieden
© Alina Wegner
Eine Stunde schon saß ich auf der Bank vor der Kirche. Weit weg von dem Geschehen um mich herum, hatte ich nur einen Gedanken.
Heute war es so weit. Endlich, endlich würde ich ihn kennen lernen. So lange kannten wir uns nun, aber gesehen hatten wir uns nie.
Seit Monaten hatte er mir das erste Mal geschrieben - eine Homepage im Internet machte dies möglich.
Fast jeden Tag schrieb er mir, am Anfang breitete sich Skepsis in meinem Körper aus. Doch mit der Zeit begann ich diesen Menschen zu mögen. Seltsam - hatte ich ihn doch nie gesehen. Aber es schien, als wären wir auf derselben Wellenlänge. Wir hatten so vieles gemeinsam. Bis spät in die Nacht schrieben wir uns, bis ich mich endlich entschloss, ihn zu treffen.
Er hatte sich wahrhaftig gefreut. Und jetzt saß ich hier - wartete auf ihn.
Des Öfteren kamen junge, gut aussehende Männer vorbei, doch er schien nie dabei zu sein. Wir hatten vereinbart, als Erkennungszeichen eine Kette zu tragen, welche als Anhänger ein Kreuz trug. Eigentlich, sagte er, würde er so etwas nicht machen. Er würde weder Kreuze tragen, noch in die Kirche gehen aber für sie würde er alles machen, um sie einmal treffen zu können.
Ich hatte keine Bedenken aufgrund dieser Aussage, machte mir nicht mal welche. Vielleicht betete er einfach daheim. Wenn ich ehrlich war, ging ich ja selbst selten zur Kirche. Es reichte mir, daheim zu beten und etwas in der Bibel zu lesen.
Ich sah auf die Uhr, eine halbe Stunde war nun vergangen, seitdem ich aufgeregt und auch etwas nervös meine Wohnung verließ.
Jan, so lautete der Name meines Blind Dates, schien sich zu verspäten. Doch sicher war etwas Wichtiges dazwischen gekommen. Mit "Engelsgeduld" beschloss ich, weiterhin auf ihn zu warten, versank wieder in Gedanken, Vorstellungen, Hoffnungen.
Da tippte mich ein junger Mann an. Er hatte eine Kette um. Der Anhänger - ein Kreuz.
Gut sah er aus, war etwas älter als ich und sehr schlank. Auffallend aber war die schwarze Kleidung. Hatte dies etwas zu beuten? In Gedanken verneinte ich. Schwarz war immerhin auch eine sehr beliebte und gern getragene Modefarbe.
Jan setzte sich neben mich. Wir redeten eine Zeit lang miteinander - genauer gesagt, ich redete.
Er wirkte sehr verschwiegen, so nachdenklich. Knapp erhielt ich Antworten zu meinen Fragen, er schien genau zu überlegen, was er sagte.
Ob er mir etwas verheimlichte? So ein Quatsch ! Wieso musste ich nur immer alles in Frage stellen?
Ich bemerkte, wie er jeden Vorbeikommenden beobachtete - ihn genau fixierte und erst wieder aus seinen Augen entließ - war er nicht mehr zu sehen.
Einen grimmigen Gesichtsausdruck wies er auf, nahezu provozierend. Doch wendete er sich an mich, lächelte er umso freundlicher.
Viele Wochen später lud Jan mich endlich zu sich ein. Ich hatte bei unseren Treffen oft angedeutet, dass ich doch gerne mal mit zu ihm gehen würde. Sicherlich hatte er diese Andeutungen erkannt - aber nie erfüllt.
Er hatte mir seine Adresse aufgeschrieben, nun stand ich vor seiner Haustür. Jan wohnte alleine, war schon mit 16 in diese Wohnung gezogen nachdem er eine Genehmigung des Heimes bekommen hatte, indem er seine Kindheit verbringen musste. Etwas nervös klingelte ich. Vielleicht würde dies ja meine zukünftige Bleibe sein? Alt genug war ich allemal und Jan und ich waren seit längerem ein glückliches Paar. Zwei Wochen nach unserem Kennenlernen gestand er mir seine Liebe - und ich erwiderte sie.
Jan öffnete die Tür. Ich fiel ihm in die Arme, küsste ihn. Er bat mich herein. Wie immer war er ziemlich verschlossen, doch ich hatte mich an seine Art gewöhnt.
Auch seine schwarzen Klamotten ließen mich nicht mehr zweifeln. Jan hatte mir nie geantwortet, wieso er schwarze Kleidung trug, hatte mir aber vor einer Woche ein tiefschwarzes Outfit geschenkt. Ich freute mich sehr darüber und trug es seitdem so oft wie möglich. Jedenfalls kam ich gerne hinein und sah mich aufmerksam um.
Schön hatte er es hier, auch, wenn er sehr bescheiden zu leben schien. Es handelte sich um eine 2 - Zimmer Wohnung.
Als Jan sich kurz entschuldigte, um Kaffee für uns kaufen zu gehen, beschloss ich, mich etwas umzusehen.
Zuerst ging ich in die Küche. Völlig normal schien sie. Auch das Bad war normal eingerichtet und das Wohnzimmer schien sehr gemütlich, wenn auch etwas klein.
Ich wollte die 4te Türe öffnen, doch - sie war verschlossen.
Seltsam, dachte ich. Wieso verschloss jemand seine eigene Schlafzimmertür?
Ich kam ins träumen. Vielleicht hatte er etwas vorbereitet, für mich - für uns.
Da der nächste Supermarkt etwas entfernt war und Jan so noch etwas brauchte, entschloss ich, mich überraschen zu lassen und wieder ins Wohnzimmer zu gehen. Jan hatte es gemütlich eingerichtet. Ein schwarzes Ledersofa hatte seinen Platz in der Mitte des Raumes gefunden. Frontal von diesem stand eine Schrankwand auf dieser ein Fernseher gestützt war.
Viele Schubladen waren in dieser Wand eingebaut. Neugierig öffnete ich sie. Seltsam, die meisten von ihnen waren völlig leer. Doch in einer fand ich ein Buch. Ich hob es vorsichtig aus der Schublade hinaus. Es handelte sich um ein sehr dickes Buch.
Doch als ich deren Aufschrift las, bekam ich eine Art Schock.
" Das 6. und 7. Buch Mose" lautete die Aufschrift dieses dicken Wälzers. Um die 300 Seiten schien es zu umfassen. Und ich hatte schon einiges von diesem Buch gehört und wusste, über was es handelte und welche Glaubensgemeinde dieses Buch bevorzugte.
Nun konnte ich mir einiges erklären. Plötzlich hörte ich etwas hinter mir. Erschrocken fuhr ich herum, Jan stand direkt hinter mir. Ich hatte sein Buch in der Hand und sah ihn an.
Was hatte das zu bedeuten? Doch nicht etwa das, was ich leider denken musste?
Jan nickte und setzte sich aufs Sofa. Automatisch setzte ich mich neben ihn, immer noch wie gelähmt.
Er schien nicht zu wissen, wo er anfangen sollte.
"Ich wollte es dir schon seit langem sagen", sprach er endlich, " aber ich wusste nie wie".
Er erhob sich wieder, nahm meine Hand und führte mich zu dem verschlossenem Raum - schloss ihn auf und öffnete diesen.
Was sich dann vor mir bot, war wahrhaftig eine Überraschung. Aber nicht solch eine, wie ich mir erhofft hatte.
Jan hatte all seine Poster, Totenschädel, Musik CDs und Ketten, zum Beispiel mit umgedrehten Kreuzen, hier gelagert.
Damit ich dies nicht merkte, hatte er diesen Raum verschlossen. Das Buch musste er in all der Eile vergessen haben.
"Wie... wie soll es nun weitergehen?" fragte ich ihn verzweifelt. Er wusste doch, dass ich ein Christ war und dies auch Ernst zu nehmen wusste.
"Ich wollte es dir erst nicht sagen. Ich hatte Angst, du verlässt mich ... " er sah betrübt zu Boden.
Ich schüttelte den Kopf "Das, was du hier machst, ist völliger Quatsch. Ich weiß nicht wieso du solch einer Sekte beigetreten bist aber... es ist nie zu spät etwas daran zu ändern"
Leicht irritiert sah Jan mich an.
Nun nahm ich seine Hand und führte ihn zurück ins Wohnzimmer. Die ganze Nacht redete ich mit Jan, bei all seinen Begründungen, wieso er ein Satanist war, konnte ich ihm ein Gegenbeispiel meines Glaubens aufweisen. Und jedes mal musste Jan mir zustimmen.
Sicher lag es daran, dass er mich wirklich liebte und mir deswegen so lange und geduldig zuhörte wie er es wohl noch nie getan hatte.
" Ich werde aus dieser Sekte austreten. Du hast Recht. Ich habe aus Leichtsinn gehandelt, nur weil mich Freunde überredeten, früher, im Heim. Gleich morgen werde ich es ihnen sagen, auch wenn dies sicher nicht zu Freuden der Sektenmitglieder sein wird. Aber... ich werde es überleben" sagte er mit einem Lächeln.
Ich fiel ihm glücklich um den Hals und gab ihm einen Kuss.
Die nächsten Wochen waren die schönsten in meinem ganzen Leben. Jan war nicht mehr so verschlossen, zeigte sein wahres Ich.
Er erzählte mir, dass er früher im Heim einmal wöchentlich mit allen Kindern einen katholischen Gottesdienst besuchte. Doch dann hatten ihn Freunde von außerhalb angesprochen, dass er in ihrer Sekten beitreten solle. Da war er gerade mal 15 Jahre alt.
Einmal überraschte ich Jan und ging mit ihm zum Abendgottesdienst. Er freute sich sehr darüber und verfolgte den Gottesdienst interessiert mit.
Schon lange Zeit waren wir nun zusammen, ich war schwanger und Jan hatte mir sogar einen Heiratsantrag gemacht.
" Bei uns Christen wird das doch so gemacht" hatte er mit einem Lächeln gesagt.
"Ja" hatte ich gesagt und seinen Antrag angenommen.
Ich blätterte gerade einen Katalog mit Brautkleidern durch, war im 9. Monat schwanger.
Da klingelte es an der Türe.
Das musste Jan sein, er wollte mit mir die letzten Vorbereitungen der Hochzeit treffen. Nächste Woche würde es endlich losgehen.
Ich stand auf und ging zur Tür, öffnete diese.
Aber vor mir stand nicht Jan.
2 Polizisten hatten geklingelt. "Was gibt es?" fragte ich die beiden Beamten überrascht.
"Es geht um ihren. . " sie sahen meinen kugelrunden Bauch "... um ihren Mann. Jan Schmitz"
"Baldiger Mann, nächste Woche heiraten wir" antwortete ich "Aber, worum geht es? Was ist mit ihm?"
"Es tut mir Leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr ... Freund... mit schweren Verletzungen im Krankenhaus eingeliefert wurde. Zeugen zufolge wurde er von mehreren schwarz gekleideten Männern, welche satanistische Symbole trugen, niedergestochen. " erklärte mir einer der beiden Polizeibeamten.
"Das kann nicht sein" sprach ich leise, wie in Starre stand ich an der Türe. Sofort wusste ich, dass es sich um diese Sekte handeln musste, aus welcher Jan ausgetreten war.
Ich ließ die Beamten vor meiner Türe stehen und rannte zum Auto.
So schnell war ich wohl in meinem ganzen Leben noch nicht gefahren.
Bald war ich im Krankenhaus angekommen, stieg aus und schlug schnell die Türe hinter mir zu.
Ich sprach den ersten Arzt an den ich sah, dieser konnte mir zum Glück sofort weiterhelfen.
Mit ihm gemeinsam betrat ich Jans Zimmer. Er lag auf der Intensiv Station. Der Arzt hatte mir erklärt, dass er sehr schwere Stichverletzungen davongetragen hatte und unter ständiger Beobachtung stehen müsse.
Ich nickte nur und schluckte trocken. Nie hätte es soweit kommen dürfen.
Langsam ging ich auf Jan zu. Er hatte die Augen geschlossen. Ich nahm seine Hand und langsam öffnete er seine Augen.
Ein schwaches Lächeln zeichnete sein Gesicht, er schien sehr froh, mich zu sehen.
Sanft küsste ich ihn auf die Stirn "Alles wird gut" flüsterte ich leise und sah ihn an.
Plötzlich merkte ich einen heftigen Stich im Bauch. Ich fuhr leicht zusammen, der Arzt sah mich kritisch an. Er konnte sich denken, was los war. Sofort brachte er mich auf eine andere Station, wo ich, 2 Wochen zu früh aufgrund des Stresses, einen kleinen Sohn gebar.
Gemeinsam mit ihm wurde ich in einem Rollstuhl zu seinem Vater gebracht.
Ich legte den Kleinen in Jans Arme. Glücklich sah Jan mich an.
Der Kleine, wir hatten uns noch gar keinen Namen für ihn ausgesucht, schlief in seines Vaters Armen.
Ich hielt immer noch Jans Hand, als er seine Augen schloss und sein Händedruck nachgab.
Ein gleich bleibender, lang gezogener Ton der angeschlossenen Geräte verriet die bittere Wahrheit.
2 Tage später, ich war immer noch im Krankenhaus und hatte mit der Wahrheit zu kämpfen. In 5 Tagen wollten wir heiraten.
Wir hatten einen Sohn.
Ich werde es überleben, das hatte er lächelnd gesagt, als er aus der Sekte austreten wollte.
Er hatte Unrecht, leider.
Ich sah zu meinem Sohn - unserem Sohn und vergoss eine Träne.
"Du wirst es gut bei mir haben, kleiner Jan" sagte ich leise zu meinem Sohn und küsste ihn sanft auf die Stirn.
Eingereicht am 07. Juli 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
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