Maries Villa Kunterbunt
© Nicoletta Ann-Micaela Garreis
Die Tür fällt ins Schloss. Die Perlen meines Türvorhangs tanzen noch immer.
"Ich schau dir in die Augen Kleines" Ich zitiere - Casablanca - der Fernseher läuft ohne Ton.
"... soll ich dich lieben oder lieber lassen?" ... Das Radio reißt mich von meinem Stummfilm. Ich bekomme Gänsehaut... Diese Melodie, ... wie der Geschmack von frischen Erdbeeren... Annika, meine beste Freundin, sie und ich befreundet seit wir denken können. Wir waren schon immer so verschieden und doch unzertrennlich. Annika studiert, Psychologie, sie tanzt durchs Leben, ganz ohne Bausparvertrag. Ich dagegen könnte von meiner Büroschublade ohne weiteres mehr als eine Woche überleben und habe gleich
zwei Lebensversicherungen.
Ich schenke mir Kaffee nach, habe keine Lust Milch aufzuschäumen.
Annika. Sicher in der Uni.
Warum bestehe ich nicht darauf sie anzurufen?
Warum nehme ich Süßstoff, wenn mir Zucker besser im Kaffee schmeckt?
Kein Feuerzeug. Ich lass den Toaster schnallen und zünde mir meine Zigarette an.
Lieber lassen! Ich übersehe mein Handy.
Ich heiße Marie, bin 26 Jahre, tituliere mich "Assistentin der Geschäftsführung" und mein Geburtsdatum ergibt eine Quersumme von neun.
Tom, der meinen Türvorhang hat soeben tanzen lassen, ist ein Drei, die Drei passt DREI mal in die NEUN!!! Die Vernissage, mir wird flau in der Magengegend, die Vernissage war vor ziemlich genau drei Monaten.
Dort bin ich Mr. "Ich rieche nach Jean Paul Gautier" begegnet.
Ich lege Musik auf, setze mich rauchend zu meiner Latte Macchiato die ohne Milchschaum eigentlich keine Latte Macchiato ist.
Ich atme tief ein, im Volkshochschulkurs lehrte man uns, wenn der sog. "Geiergriff" nicht mehr hilft, Resettaste gedrückt halten, neu booten. Ich atme aus, in der Ferne die Töne des Neustarts.
Meine Gedanken versinken in der Vorstellung des nichtvorhandenen Milchschaums...
ich sehe mich im Spiegel meines Lieblingscoiffeurs wieder.
...ein neuer Look...
Vielleicht liegt Annika mit ihren Thesen über die Liebe gar nicht so falsch:
"Liebe ist ein biochemisches Gewitter". Unsere Frau Dr. vertritt wie andere auch die Meinung, dass Männer und Frauen nicht zusammen passen. Annika. Ich ruf sie an. Nein, ich schreibe ihr. Nachricht gesendet. Ich starre auf mein Handy, da, der ersehnte Briefumschlag. Nachricht lesen. "Setz den Espresso schon mal auf, bin gleich da"
Ich schalte den Fernseher aus. Hilft ja nichts. Annika ohne Milchschaum ist wie.... Ach ihr wisst was ich mein.
Ich lege Musik auf. Ich wirble durch den Raum.
Ich bin wieder ein Single und ich lebe lieber allein. Ich bin frei, kann tun und lassen was, wo und wie ich es auch immer will!
Gestern? Liegt mir nicht!
Ich fühle mich ungewöhnlich frei. Es klingelt. Ich eile. Ein Blick durch den Spion, Annika.
Küsschen links, Küsschen rechts. Wir gehen in die Küche.
Zucker oder Süßstoff?
Ich hasse Süßstoff! Ich weiß.
Wow, die drei Phasen eines Latte Macchiatos, was kannst du eigentlich nicht perfekt?
Ich kenn den Weg nicht so genau.
Bitte? Tom?
Ja.
..vorbei die Leichtigkeit fühle mich wie schwer wie ein Sack Mehl, klein wie ein Gnom und hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken...
Marie? Hörst du mir überhaupt zu?
Entschuldige, was hast du gesagt?
Kann ich bitte deine schmucke Alessizuckerdose bekommen?
Hier.
Danke. Erzähl schon, was ist mit Mr. Right?
Ich habe ein Angebot bekommen.
Marie! Was ist los?
Mailand.
Marie zum letzten Mal, was ist los?
Ich starre auf mein Handy.
Er ist fort, der Schlüssel liegt vorn auf dem Sideboard. Er kommt nicht mehr.
Nein Marie! Nicht verkehrte Welt. DU hast ihn vor den Kopf gestoßen!
Ich dachte, das Jobangebot in Mailand habe sich erledigt!
Ich dachte, du hast dich für Tom und endlich fürs Leben entschieden. Vorbei die Altersvorsorge, vorbei die Nächte im Büro. Marie seit drei Monaten lachst du wieder. Er liebt dich, du liebst ihn. Wo zur Hölle liegt dein Problem?
Kneift mich mal bitte, wer spricht da mit mir?
Ich kann mich nicht mehr halten, der Boden verabschiedet sich ins Nirgendwo.
Ich weine.
Halt mich fest und lass mich nie mehr los.
Annika.
Ja?
Ich bin SCHWANGER.
Stunden später und viele Tränen leichter steige ich aus der Badewanne.
Der Spiegel ist beschlagen, vernebelt mein Bad.
Eilig schlüpfe ich in meine jüngste Ebayerrungenschaft, ein kuscheliges rosa Homedress.
Durch den Perlvorhang, Türe auf. Es hängt noch:
"Maries Villa Kunterbunt"
Mein Türschild. Annika hat es mir vor zwei Jahren zum Einzug geschenkt.
Ich rieche Jean Paul Gautier. Ein zarter Kuss auf meiner Stirn. Ich versinke in meiner Kuschelhöhle.
Ich bin zu Hause.
Eingereicht am 25. April 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.