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Die Liaison seines Lebens

Meiko Gutmann


Er war jung, ziemlich jung, wenn man den Altersunterschied zwischen ihm und seinen Freunden berücksichtigt. Gerade erst 18 geworden, konnte er weder durch cooles Outfit noch durch selbstsicheres Auftreten bestechen. Hinzu kam sein Gesicht, immer noch gebrandmarkt durch die Nachwehen einer hartnäckigen und großflächigen Akne. Alles in Allem also ein Mauerblümchen, jemand der nicht auffällt, einer der den Strom entlang schwimmt.
Erster Tag Berufsschule, die Sommerferien in Nordrhein-Westfalen waren beendet, etwas nervös ob der anstehenden Vorstellungen seiner neuen Kameraden, machte sich der junge Mann, nennen wir ihn Puffy, auf den Weg zur neuen Schule. Ganze zehn Minuten kam er zu spät, als er eintraf waren alle Plätze bereits belegt. Alle, außer einem. Ehe er sich versah, orderte ihn der Lehrer zu einem Vierertisch, vor und neben ihm besetzt durch drei Waaaaahnsinns"frauen". Er sah sich in einem Traum der bitte, bitte nie enden sollte. Schon jetzt freute sich der kleine "Durchschnittskonsument" auf die kommenden drei Jahre. Drei Jahre in Anwesenheit solcher Schönheiten, der liebe Gott hatte es gut mit ihm gemeint.
Er hatte kaum seine Sachen ordnen und auf den Tisch legen können, da forderte der Lehrer ihn auf seine Baseballmütze abzunehmen. Ein Schock, wusste er doch wie er zurzeit, nachlanger Friseurabstinenz ohne die selbige ausschaute. Ungekämmt, die Wirbel wüst in alle Himmelsrichtungen verteilt, wie Sattelitenschüsseln ausgerichtet, nahm er die Kappe vom Kopf. Nach einem Moment Stille war das erste Kichern aus der Ecke hinten rechts im Raum zu vernehmen. Der Rest der Klasse stieg nach Millisekunden in das Konzert eines wahren Lachorchester mit ein. Eine Frisur, weder Fisch noch Fleisch, ließ ca. 20 junge Frauen im Alter von 18-22 zu einer Horde fieser, schadenfroher Hexen werden. Puffy merkte wie ihm eine gesunde purpurrote Farbe ins Gesicht schoss. Von einem Moment zum anderen wurde aus der gerade erlebten Freude ein Fluch. Das alles an diesem Tisch, mit diesen Frauen. Wie kann der liebe Gott mir nur so einen Arschtritt verpassen, dachte sich Puffy. Zu seinem Glück kehrte wenige Wochen später der Alltag ein, das gegenseitige Beschnuppern fand ein Ende und er merkte, dass es ihm eine Person ganz besonders angetan hatte. Nennen wir sie doch einfach Süße. Sie war knappe zwei Jahre älter als Puffy, hatte lange blonde Jahre, unglaublich blaue Augen, der talentierteste Maler hier auf Erden hätte das Gesicht nicht schöner malen können. Es war ihm klar, dass dieses Gesicht ihm sein Leben lang in Erinnerung bleiben würde. Eine Traumfrau für´s Leben. Er wachte morgens auf und dachte an sie. Auch abends kreisten seine Gedanken nur um diese Frau. Sie begleitete ihn Tag und Nacht. Zu seinem Leidwesen leider über Jahre hinweg nur in seinem Herzen oder auf gemeinsam unternommenen Partys. Davon gab es reichlich, er genoss jede Minute der Zweisamkeit. Da beide sich sehr gut verstanden, verbrachten sie während der Arbeitszeiten die Mittagspausen miteinander. Sie arbeitete nur 2 Autominuten von ihm entfernt bei einem anderen Autohändler. Trotzdem sie sich oft sahen, kam ihm die Entfernung zu ihr unüberwindbar vor. Sie spielten einfach in einer anderen Liga. Hier, die heißeste Anwärterin auf einen Championsleagueplatz. Dort, die graue Maus, das gesicherte Mittelfeld vertreten durch Puffy.
Irgendwann kam es ihm in den Kopf sich einem Stilwandel zu unterziehen. Während der Sommerferien, alle waren im Urlaub, ging Puffy zum Friseur, ließ sich einen modischen Kurzhaarschnitt verpassen, besuchte zum ersten Mal in seinem Leben die Sonnenbank und bestellte gleich mehrere schnieke Klamotten im Otto Katalog. Der erste Berufsschultag nach den Ferien rückte immer näher. Puffy konnte es kaum erwarten, voller Vorfreude auf die hoffentlich positive Resonanz seiner Süßen, konnte er die Nacht zuvor nicht schlafen.
An besagtem Morgen betrat er die Schulklasse als erster. In seiner Vorfreude hatte er vergessen, dass erst um 09:00 Uhr die erste Unterrichtsstunde beginnen sollte. Da öffnete sich die Tür, mehrere seiner Klassenkameradinnen gingen grußlos an ihm vorbei. Auf einmal fuhr ihm eine Hand über den Rücken. Mit einem erstaunten, "Puffy, was hast du denn gemacht!?" begrüßte ihn eine seiner drei Sitznachbarinnen. Der Stilwandel hatte seine gewünschte Wirkung erzielt. Die Klasse war begeistert. Die Metamorphose Ei->Larve>Puppe>Insekt war gelungen. Nur brachte ihn auch die Änderung seines Aussehens keinen Schritt bei Süße weiter. Es zogen weitere Monate voller Partys, Festlichkeiten und Mittagspausen ins Land. Schon längst hatte Puffy mit dem Kapitel Süße abgeschlossen. Leidlich musste er eingestehen seinem größten Traum nie Wirklichkeit verschafft zu haben.
Kurz vor Beendigung der Lehre zogen mal wieder alle hinaus um miteinander Spaß zu haben. Ein Dorffest, ein wenig Alkohol, gute Laune und einen Chance zur Übernachtung sollte es dieses Mal werden. Doch die Party war grausam, ohne jegliches Niveau und relativ schnell wieder beendet. Am "Hotel Mama" angekommen, wurde noch ein wenig gequatscht ehe man sich in kleineren "Schlafgruppen" zusammenfand. Puffy, Süße und Kramer (eine Frau und gute Bekannte) schliefen zusammen auf der Eckcouch. Glücklicherweise Puffy und Süße mit dem Gesicht zueinander. Schnell wurde es ruhig. Ein leises Flüstern schwebte durch den Raum. Wie so oft in den vergangenen Jahren hatten sich Puffy und Süße noch jede Menge zu erzählen. Sie hielt seine Hand, mal wieder ging es Puffy so unendlich gut. Trotzdem nichts Ungewöhnliches. Ab und zu kamen solch Berührungen während Ihrer Freundschaft vor. Für Puffy kein Grund um nervös zu werden. Ihr Daumen, diese traumhaft schönen Hände, fingen an seinen Handrücken zu streicheln. Okay, ob der Intensität schon ein wenig komisch aber immer noch nichts Besorgnis erregendes. Dann nahm sie langsam seinen Zeigefinger in die Hand und führte ihn zu ihrem Mund. Ihre Zunge liebkoste gefühlvoll erst den Finger und dann die ganze Hand. Da fuhr es ihm wie ein Blitz durch den Körper, für einen Moment verlor er fast den Verstand. Nein, das geht weit über das Verhältnis einer Freundschaft hinaus. Neben ihm liegt Süße, drei Jahre lang seine aus der Entfernung angehimmelte Göttin. Die Frau seines Herzens lutschte gerade an seinem Finger und ihr schien es mächtig Spaß zu machen. Da dachte er für einen Moment an Gott, mit einem kurzen Stoßgebet gen Himmel bat er diese Situation Wirklichkeit und keinen Traum seien zu lassen. Das Gebet wurde erhört, er befand sich in der Realität. Puffy war gerade dabei mit Süße eine Bettszene zu starten. Für Augenblicke der glücklichste Mensch auf Erden. Nie zuvor und nie danach konnte er je wieder so empfinden. Süße hörte auf sich mit dem Finger zu beschäftigen und widmete sich seinem Mund. Der erste Kuss, wahrhaft lange hatte er sich so danach gesehnt, sie nur einmal küssen zu dürfen. Er konnte gar nicht von ihr ablassen. Der trübe begonnene Abend sollte zur Nacht seines Lebens werden. Knisternde Leidenschaft wie er sie noch nie in seinem Leben verspürt hatte. Seine Gänsehaut verteilte sich wie ein Flächenbrand über den ganzen Körper, das Herz raste und obwohl weiter nichts in dieser Nacht geschah, war dies bis heute das aufregendste Erlebnis seines Lebens. Am nächsten Morgen völlig zerstreut wendete er seinen Blick der auf der Couch sitzenden Süßen zu. Sie schauten sich tief in die Augen, ein kurzes "was war das gestern Abend" machte ihm deutlich, dass die letzte Nacht wohl eine einmalige Angelegenheit bleiben würde.
Kurz tauschten sie sich aus und kamen beide zu der Übereinstimmung in Zukunft auf die platonische Ebene zurückzukehren. Puffy wollte sich gefühlsmäßig nicht die Blöße geben und tat es mehr oder weniger locker ab.
Wieder vergingen einige Monate. Nachdem beide Ihre Ausbildung erfolgreich absolviert hatten, trafen sich Puffy und Süße nunmehr nur zu privaten Anlässen. Süße arbeitete nicht mehr in der Nähe, sie hatte kurzfristig in einer anderen Stadt einen Job gefunden. Es wurde nie wieder über diese eine Nacht gesprochen, trotzdem litt das Verhältnis nicht darunter.
In der Unregelmäßigkeit regelmäßig fanden Disco- oder Partybesuche statt. Eine tolle Zeit, obwohl Puffy keine weitere Chance sah, ging es ihm gut mit der Situation. Im Laufe der Lehre wurde aus ihm ein selbstbewusster Mann, er gefiel sich und war mit sich im Reinen.
An einem Wochenende ging es mal wieder in den Prater, einer schicken Discothek in Bochum. Es wurde ausgelassen gefeiert, Puffy musste zwar fahren, dies tat seiner Stimmung aber keinen Abbruch. Zu einer kurzen Ruhepause fanden sich sämtliche Freunde in der Chillout-Zone zusammen. Puffy saß direkt neben Süße als sie ihm anfing was ins Ohr zu flüstern. Völlig unerwartet hauchte sie ihm zu: "Ich würde dich gerne noch einmal so küssen wie vor ein paar Monaten!" Puffy lehnte sich für einen kurzen Moment in seinen Stuhl zurück. Wieder fuhr ihm ein Karussell durch den Kopf. Er drehte sich wieder zu ihr und erwiderte:" Sieht im Moment schlecht aus, die anderen würden wahrscheinlich vom Stuhl fallen." Mit allem hätten die Freunde gerechnet. Nicht aber mit einem Kuss der beiden Hauptakteure. Mit einem Mal ging es Süße sehr schlecht, sie wollte nach Hause und prompt machte man sich auf den Weg. Nachdem Puffy alle Freunde abgeliefert hatte, fuhr er, na klar zu Süße. Aus seinem 78er Volvo 244 holte er die letzten Pferdestärken raus. Wahrscheinlich wäre Puffy auch weiter gerannt, hätte das Auto eine Panne gehabt. Nicht mal 10 Minuten brauchte er für den Weg, schnell suchte er sich einen Parkplatz direkt vor dem Haus. Er zog den Zündschlüssel ab, verschloss in Eile sein Auto, mit einem beherzten Sprung wuchtete er sich über den Eingangszaun und hetzte zur Tür. Sie stand schon an der Tür und ging mit ihm in die Küche. Süße platzierte sich ihm direkt vor der Nase, schaute ihm unendlich lange in die Augen ehe sie fragte:" Was jetzt?" Puffy überlegte nicht lange strich ihr mit einer Hand durch das Haar und fing an sie leidenschaftlich zu küssen. Minutenlang küssten sie sich im Stehen bevor Puffy sie hochhob und ins Schlafzimmer trug. Die beiden verbrachten daraufhin mehrere Stunden voller Ekstase, Leidenschaft und Sinnlichkeit. Viel besser als in jedem Film. Dann schlief sie in seinen Armen ein, er streichelte sie die ganze Nacht ohne damit aufzuhören. Warscheinlich würde er heute, gute acht Jahre später immer noch zärtlich Ihren Körper liebkosen. Über einen guten Monat trafen sich beide immer mal wieder für die gewissen Stunden. Auch wenn er ihr es gern gesagt hätte, war ihm klar dass es nie zu einer Beziehung zwischen beiden kommen würde. Nach einer Zeit, wie soll es auch anders enden, beendete sie diese Liaison und beide verständigten sich drauf in Zukunft nur noch Freunde zu sein. Anders als beim ersten Mal verflachte der Kontakt, Puffy und Süße lernten neue, feste Partner kennen. Süße ist ihrem Partner bis heute noch treu geblieben. Dieses Jahr steht die Hochzeit an. Ab und zu texten sich beide noch SMS zu. Ein routinemäßiger Austausch uninteressanter Neuigkeiten. Puffy ist sich dennoch sicher diese paar Monate nie zu vergessen, wenn er zurückdenkt und sich an die Nächte erinnert, fühlt er jede Berührung und jeden Kuss, als würden gerade in dem Moment ihre Lippen zärtlich die seinen berühren. Er hat nie mit ihr geschlafen. Diese Schwelle wurde nie übertreten. Im Nachhinein ist er nicht traurig darum. Vielleicht ist es ja das was diese Liaison zur Liebe des Lebens werden lässt.



Eingereicht am 24. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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