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Stürmische Begegnung

Von Rosita Hoppe


Laura saß im Linienbus, der sie von Wittdün nach Süddorf brachte. Sie freute sich sehr, nach fast zwei Jahren wieder auf Amrum zu sein. Heute hatte sie sich entschlossen, von Süddorf aus am Strand zurück nach Wittdün zu laufen.
Laura liebte lange Strandspaziergänge und dieser endlose, kilometerlange Strand, Kniepsand genannt, war genau das Richtige für sie.
Schon als Kind war sie oft mit ihren Eltern an der See gewesen. Meist auf einer der ostfriesischen Inseln. Seither liebte sie diese meerumschlungenen Inseln, deren Strände entweder in der Sonne glitzerten oder bei gewaltigen Stürmen der rauen See trotzten.
Ihr Vater war oft mit ihr zum Strand gegangen, wenn die Wellen bei Sturm und Regen dunkel drohend und wild den Strand überspülten. Doch sie hatte keine Angst gehabt. Ihr Vater hatte beschützend ihre Hand gehalten.
Nun war sie zum zweiten Mal auf Amrum. Die unendliche Weite des Strandes übte eine enorme Anziehungskraft auf Laura aus. Sie freute sich darauf, ihren ersten Strandspaziergang dieses Jahres zu machen.
In Süddorf stieg Laura aus und ging durch den Kiefern- und Fichtenwald in Richtung Dünen. Kilometerlange Bohlenwege durchzogen die Dünenlandschaft der Insel. Laura fand das eine sehr gute Maßnahme, um die Natur von den Touristenscharen zu schützen, die sonst ungehindert alles zertrampeln würden.
Unterwegs überlegte sie, ob sie noch auf den Leuchtturm steigen sollte, der in der Sonne glitzerte. Doch sie entschied sich, gleich zum Strand zu gehen. Den Leuchtturm wollte sie ein anderes Mal besuchen.
Tief atmete sie die herrlich salzige Seeluft ein, als sie endlich am Kniepsand angekommen war. In der Ferne sah sie das Meer. Es war ziemlich weit entfernt. Laura überlegte, ob noch Ebbe oder bereits aufsteigende Flut war. Sie hatte vergessen auf ihren Tidekalender zu schauen. Da sie bis zum Wasser gehen wollte, marschierte sie quer über den Strand, immer ein wenig in Richtung Wittdün.
Der Wind wurde stärker. Laura sah, dass die Wellen weiße Schaumkronen trugen. Sie liebte dieses Bild. Je weiter sie ans Wasser kam, umso stärker blies der Wind. Sie sah sich um. Ganz weit entfernt türmten sich dunkle Wolken auf. "Na ja, so schlimm wird es schon nicht werden", dachte sie. Immer wieder bückte sie sich um Muscheln oder besonders schöne Steine aufzuheben. Sie lächelte. Dachte an ihren Vater, der immer geschimpft hatte, wenn sie Unmengen von Muscheln mit nach Hause nehmen wollte. Noch heute hatte sie einen Karton mit den schönsten Schätzen vergangener Urlaubstage in ihrem Schrank versteckt.
Laura zog den Reißverschluss ihrer Windjacke ganz nach oben und zog sich auch die Kapuze über die Ohren. Nun war es richtig stürmisch geworden. Laura sah ein, dass es besser war, möglichst schnell nach Wittdün zu gelangen. Sie hatte zwar keine Angst vor Wind und Regen, doch in der Ferne hörte sie Donnergrollen und sie hatte auch schon einige Blitze gesehen. Vor einem Gewitter an der See hatte sie höllischen Respekt.
Der Weg zog sich endlos hin. Laura hatte nicht das Gefühl dem Ort näher zu kommen. "Hätte ich doch bloß auf den Wetterbericht geachtet!", schimpfte sie laut mit sich. Inzwischen kamen die ersten dicken Tropfen vom Himmel. Die See war aufgewühlt und die Wellen kamen dunkel und drohend an Land.
Laura blickte besorgt hinter sich und erschrak, als sie sah, dass immer wieder Blitze aus dem blauschwarz verfärbten Himmel zuckten. Sie fing an zu rennen. Doch das war auf Sand gar nicht so einfach. An manchen Stellen war der Sand sehr weich und Laura sackte immer wieder ein. Kein Mensch war mehr am Strand zu sehen. Nur die bunten Strandkörbe leisteten ihr aus der Ferne Gesellschaft.
Der Regen wurde immer stärker. Er peitschte gegen ihren Rücken. Ihre Jeans war schon durchnässt und klebte schwer an ihren Beinen. Sie spürte, dass ihre Jacke auch nicht das hielt, was ihr der Verkäufer versprochen hatte. Der Regen durchdrang ihre Kleidung. Sie war inzwischen nass bis auf die Haut. Sie zitterte. Teils vor Kälte, teils vor Angst. Noch ein paar hundert Meter schätzte sie, dann hatte sie es geschafft. Doch ihre Beine waren wie Blei. Sie hatte das Gefühl, kaum vorwärts zu kommen. Ihren Blick auf den Boden gerichtet, stolperte sie über den Strand. Als sie nach einer Weile hochblickte, sah sie eine dunkle Gestalt auf sich zulaufen. "Noch so ein Wahnsinniger!", schoss es ihr durch den Kopf.
"Sind Sie verrückt geworden! Wieso laufen Sie bei so einem Sturm am Strand?", schrie die Gestalt, die Laura inzwischen erreicht hatte.
"Es kam so plötzlich!", versuchte Laura zu erklären, froh, einen Menschen getroffen zu haben.
"Diese verdammten Touristen. Nichts als Ärger hat man mit denen!", schimpfte der Mann, von dem sie außer Nase und dunklen Augen nichts erkennen konnte, weiter. Er hatte die Kapuze seiner schweren Regenjacke tief ins Gesicht gezogen. "Kommen Sie! Ich bringe Sie in Sicherheit!" Er nahm ihre Hand und zog sie hinter sich her. "Wir müssen uns beeilen." Laura hatte Mühe mit ihm Schritt zu halten.
Am ersten Aufgang zur Promenade lief Laura mit ihrem Retter in Richtung Häuser. "Hier entlang. Ich wohne nicht weit von hier!" Er schob sie in die linke Richtung. Tatsächlich, kurze Zeit später stoppte er und zeigte auf ein kleines Häuschen mit großen Panoramafenstern. "Hier ist es. Kommen Sie schnell rein."
Laura fiel ein Stein vom Herzen, als sie endlich im Trockenen stand. "Danke!"
"Ziehen Sie sich aus!"
"Was?"
"Na, wollen Sie etwa ihre nassen Sachen anbehalten? Ich hole Ihnen etwas von mir. Es wird wahrscheinlich zu groß sein, aber wenigstens trocken. Dort hinten ist das Bad, Sie können auch duschen, wenn Sie wollen."
Er drückte Laura ein paar Sachen in die Hand und zeigte auf die letzte Tür des Flures. Laura stand nur da und wusste nicht, wie ihr geschah. Ihr Retter hatte noch immer seine Regenjacke tief ins Gesicht gezogen. Laura wurde etwas unheimlich zu Mute.
"Nun, machen Sie schon! Sonst holen Sie sich eine saftige Erkältung!"
Laura schlüpfte schnell ins Bad und schloss hinter sich ab. Ihr Herz klopfte. Was sollte sie tun, wenn er sie belästigte? Doch sie war froh, dass er ihr geholfen hatte und eine heiße Dusche und trockene Kleidung konnten wirklich nicht schaden.
Sie beeilte sich und war schon eine Viertelstunde später fertig. Ein Handtuch hatte sie um ihre noch nassen Haare geschlungen. Der Jogginganzug, den sie anziehen sollte, war zu groß. Die Ärmel hatte sie umgekrempelt und um die Hose hatte sie den Gürtel aus ihrer Jeans gebunden. Vorsichtig kam sie aus dem Bad. Wo sollte sie jetzt hin?
"Kommen Sie!", kam die Stimme ihres Retters aus dem vorderen Raum. "Ich habe Ihnen inzwischen einen Tee gekocht."
Laura betrat das Wohnzimmer und sah einen jungen Mann am Fenster stehen. Er hielt ihr eine dampfende Tasse entgegen.
"Danke", murmelte Laura und nahm ihm die Tasse ab. Sie musterte ihn verstohlen. Er hatte schulterlanges blondes Haar, war braungebrannt und etwa in ihrem Alter. Er sah nett aus, musste sie sich eingestehen. Eigentlich zu gut. Vom Typ her Surflehrer aus Fernsehserien.
"Geht es Ihnen jetzt besser?" Er sah sie an. Musterte sie unverhohlen. "Nett sehen Sie aus. Ein tolles Outfit."
"Ja, nicht wahr!" Laura sah an sich herunter und musste lachen. "Vielleicht sollte ich in die Modebranche wechseln."
"Gute Idee!", lachte nun auch ihr Gegenüber. Er hielt ihr seine Hand entgegen. "Ich heiße Jan."
"Und ich Laura. Danke für die Rettung. Wie haben Sie mich eigentlich gefunden?"
"Bei aufkommendem Sturm stehe ich oft hier am Fenster. Wenn es meine Zeit erlaubt. Ich liebe es, den Sturm und die wilde Brandung zu betrachten. Am liebsten, wenn ich dabei im Warmen sitze. Durch mein Fernglas habe ich Sie entdeckt. Da kam mein Beschützerinstinkt zum Vorschein, obwohl ich mich eigentlich immer ziemlich aufrege, wenn ich sehe, wie unvernünftig manche Leute sind."
"Das Wetter hat mich überrascht. Ich kam von Süddorf und wollte über den Strand nach Wittdün laufen."
Laura zuckte zusammen, als plötzlich ein Blitz den Himmel erhellte und augenblicklich ein lauter Donnerschlag die Fensterscheiben erzittern ließ.
"Keine Angst, du bist hier in Sicherheit."
"Bin ich das wirklich?", dachte Laura als Jan einen Arm um ihre Schultern legte und sie an sich zog. Mit seiner anderen Hand strich er ihr beruhigend über den Rücken. Ihr Herz klopfte unregelmäßig. Es tat gut in seinen Armen zu liegen. Und er roch so gut. Sie wagte nicht sich zu bewegen, um den Zauber dieses Momentes nicht zu zerstören. Aber konnte sie ihm vertrauen? Sie sah vorsichtig zu ihm auf. Seine dunklen Augen blickten ihr bis in die Seele. Langsam löste er das Handtuch, das sie um ihren Kopf geschlungen hatte. Mit beiden Händen fuhr er durch ihre dunklen langen Locken.
"Ich sammele oft Strandgut", begann er leise, "besonders nach einem Sturm. Aber so etwas wie dich habe ich bisher noch nicht gefunden."
Er verschloss ihre Lippen mit einem zärtlichen Kuss. "Ich auch nicht", dachte Laura und war glücklich, dass dieser Sturm über sie hereingebrochen war.



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