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Júlio

Von Anja Rößler


Es war ein heißer und schwüler Tag, als ich Júlio traf. Ich hatte mich mal wieder mit meiner Mutter gestritten und war mit nichts als einem hellen Sommerkleid auf der Haut aus unserer Wohnung gerannt. Wir wohnten ziemlich weit im Süden Rio de Janeiros, den "vornehmeren" Wohngebieten der Stadt. Ich tat das, was ich immer tat, wenn mein Körper innerlich vor Wut kochte: Ich setzte mich in irgendeinen Bus und stieg an irgendeiner Haltestelle wieder aus, um dann schließlich langsam und gemütlich wieder nach Hause zu trotten. Meine Wut hatte sich dann wieder gelegt und ich konnte erneut versuchen mit meiner Mutter zu reden.
Nach einer Weile verließ der Bus die Innenstadt und fuhr auf einer kleinen engen Straße neben dem Strand entlang. Still beobachtete ich die Gegend, in der wir fuhren. Ich war noch nie hier gewesen. Der Strand war nicht wie üblich mit Touristen überdeckt. Die einzigen Menschen, die ich weit und breit sah, waren Jungen, die sich auf dem Sand ein kleines Fußballfeld gebaut hatten und jetzt ausgiebig dort spielten.
An der nächsten Haltestation stieg ich aus und rannte wieder zum Fußballfeld der Jungen. Auch wenn ich ein Mädchen war, mochte ich Fußball genauso gern wie ein brasilianischer Junge, der seine ganze Freizeit nur damit verbrachte, einem schon mehrmals geflickten Ball hinterher zujagen. Der heiße Sand machte mit schwer zu schaffen, denn ich kam kaum vorwärts. Ich befürchtete, die Jungs hätten schon längst mit dem Spielen aufgehört noch ehe ich bei ihnen war. Doch zu meiner Zufriedenheit bolzten sie noch immer als ich am Fußballfeld ankam. Sie waren wesentlich älter als ich vom ersten Blick aus dem Bus gedacht hatte: Ich schätzte sie auf mein Alter, wenn nicht gar noch älter. Da mich keiner von ihnen bemerkte, blieb ich ein wenig abseits vom Feld und beobachtete sie. Erst nach einer Weile wurde einer von ihnen aufmerksam auf mich, doch er ignorierte mich weiter. Ich näherte mich noch ein wenig den Jungs und auch wenn ich es in diesem Moment nicht war, fragte ich selbstbewusst, ob ich mitspielen dürfte. Die Jungs starrten sich einander überrascht an, dann wanderte ihr Blick zu mir. Niemand sagte etwas, doch dann ergriff ein Junge das Wort: "Spiel bei mir in der Mannschaft mit. Hilf Júlio bei der Deckung", forderte er mich auf und zeigte auf einen Jungen, der sich lässig an einen Torpfosten gelehnt hatte. Ich dankte ihnen mit einem Lächeln und schritt langsam zum dem Jungen, dem ich helfen sollte. Als ich beim ihm war, stand er immer noch am Pfosten. Er schaute mich mit einem höhnischen Grinsen an. Wie die anderen Jungen trug er nur eine kurze dreckige Hose, sein Oberkörper war frei. Es entging mit nicht, dass er im Gegenteil zu den anderen, die eher dünn und klein gebaut waren, kräftig und muskulös wirkte. Seine Haut und seine Haare waren dunkler als die seiner Freunde, zweifellos hatte er andere Vorfahren als die "üblichen" Brasilianer, wie ich auch.
Mein Mut kehrte zurück und ich zwinkerte Júlio zu. Doch er hatte keine Zeit zu antworten, denn das Spiel wurde fortgesetzt. Mein kurzes Kleid hinderte mich daran, den Jungs mein Fußballtalent zu beweisen, trotz allem verhalf ich meinem Team zu einem Sieg. Nach einer erneuten gewonnen Runde bemerkte ich, dass die Sonne gerade dabei war unterzugehen und mir wurde bewusst, dass ich schon seit Stunden unterwegs war. Ich wusste, dass sich meine Mutter wie immer schreckliche Sorgen machen würde. Ich wünschte mir, noch ein wenig weiterspielen zu dürfen, aber ich musste nach Hause. Ich verabschiedete mich von den Jungs und lief dann langsam weiter zur Bushaltstelle.
Ich wartete lange an der Haltestelle, doch ein Bus kam nicht. Es wurde immer dunkler und ganz langsam schlich sie die Angst bei mir ein. Als wir vor fünf Jahren in diese Stadt zogen, hatte man mich mehrmals vor der Dunkelheit Rio de Janeiros gewarnt. Jetzt befand ich mich in solch einer Situation und ich war allein. Ich wusste nicht was zu tun war: Eine Möglichkeit war zu warten, eine andere war den Nachhauseweg zu laufen. Doch ich würde mindestens zwei Stunden brauchen, außerdem wusste ich gar nicht wohin ich laufen sollte.
Plötzlich stand Júlio neben mir. Nach einem kurzen Moment des Aufschreckens lächelte ich ihm erleichtert zu. Er zündete sich eine Zigarette an und setzte sich auf die Bank. Er hatte nicht vor mit mir zu reden, und ich auch nicht. Minuten vergingen und noch immer hatte keiner von uns ein Wort gesagt. Doch auch wenn ich ihn nicht anblickte, so wusste ich doch, dass ich von ihm beobachtet wurde. Schließlich wagte ich doch einen Seitenblick auf ihn und als sich unsere Augen trafen, sagte er: "Der Bus kommt abends nur noch in vollen Stunden" Ich nickte dankend und wendete mich wieder von ihm ab. Auch wenn er mir durch seinen muskulösen Körper und sein männliches Gesicht mehr als nur gut gefiel, so hatte ich doch keine rechte Lust mich auf ein Gespräch mit ihm einzulassen. Sein Portugiesisch war stark dialektisch und ich hatte schon große Probleme das Hochportugiesische zu verstehen. Ich würde mich zum Trottel machen, daher ließ ich es ganz sein. So einer wie er würde sich doch nur über meine Sprachprobleme lustig machen.
Doch Júlio ließ wie erwartet nicht locker. Er fragte mich nach meinen Namen.
"Katharina", entgegnete ich ihm genervt, doch er nickte nur und fragte schließlich: "Du kommst nicht von hier, oder?" Ich schüttelte mit dem Kopf.
"Dafür kannst du aber ziemlich gut portugiesisch sprechen", sagte er und zog kräftig an der Zigarette. Ich lächelte ihn an, vielleicht würde sich ein Gespräch mit ihm doch lohnen. Ich setzte mich zu ihm auf die Bank und zündete mir die Zigarette an, die er mir angeboten hatte.
"Du kommst sicher aus der besseren Gegend?", fragte Júlio mich. Ich bejahte.
"Man merkt es an deiner Aussprache. Sie ist so fein", lachte er und schaute mir in die Augen. Er hatte schöne Augen, sie waren so schwarz wie die Nacht, man konnte sich in ihnen verlieren. Seine Lippen waren voll. Wie oft diese wohl schon schöne Mädchen geküsst haben?
"Du gefällst mir, Katharina", sagte er plötzlich, wobei er meinen Namen besonders betonte. Erstaunt wendete ich meinen Blick von ihm ab und starrte auf den Asphalt. Er war nicht der Erste der das sagte, doch stets hatten Jungs eine gewisse Absicht, die hinter diesen Worten steckte. Ich fragte schließlich nach dem Grund.
"Du bist nicht so braun wie die anderen Mädchen in Brasilien", grinste er. Ich lachte auf und schaute ihn fordernd an. Dann neigte ich meinen Kopf und starrte erneut seine Lippen an, doch bevor ich ihn küssen konnte, war er aufgesprungen und schrie, dass der Bus kommen würde.
Damit war für mich alles gesagt. Mein Mut kam mir leichtsinnig und dumm vor. Trotzdem blickte ich ihn an und lächelte zärtlich. "Danke, dass ich bei euch mitspielen durfte", grinste ich ein wenig verlegen. Doch Júlio nickte nur.
Der Bus kam, öffnete seine Vordertür und ich wollte einsteigen, doch plötzlich wurde meine Hand ergriffen. Es zog mich sanft zurück. Ich wendete meinen Körper und vor mir stand Júlio. Er drückte mich sacht an sich und nahm schließlich mein Gesicht in seine Hände. Dann neigte er seinen Kopf und küsste mich. Die Berührung seines Mundes war zärtlich, süß und schön. Sehnsucht flammte in mir auf. Ich wollte mehr als nur diesen einen Kuss. Júlio musste meine intensiveren und sehnsuchtsvolleren Gefühle an dem Kuss bemerkt haben, denn er hörte mich auf zu küssen. Er starrte mich ein wenig verwirrt an, doch schließlich sagte er: "Kommst du morgen wieder?" Júlio schaute mich fragend an und ich nickte. Und ich meinte es ernst.



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