Sie lächelte nie. Auf andere wirkte sie verhärmt und freudlos. Es fiel schwer, etwas Liebenswürdiges an ihr zu entdecken. Ihren langen weißen Haaren fehlte jene Leichtigkeit und träumerische Schwere, die lange Frauenhaare haben. Ihre jedoch waren ohne Schwung und Farbe. Sie pflegte sie nicht, ließ sie speckig und matt werden, bis sie an ihrem schmalen, scharfkantigen Gesicht rechts und links herunterfielen wie verwelkte Schneeglöckchen. Ihre schwarzen Augen lagen so tief in den Höhlen, dass sie wie Stechäpfel aus ihnen hervorschauten, gehetzt hin und her sprangen und bedrohlich wirkten.
Sie war nicht schön. Auch früher nicht, als sie noch in der Blüte ihres Lebens stand. Sie wusste das. Als sie sich morgens noch das Gesicht wusch, stand sie nie vor dem Spiegel, um prüfend allen Fältchen, die sich über Nacht zu den alten dazulegten, auf die Spur zu kommen. Aber sie sah in ihre Augen und fürchtete sich. Später hörte sie deshalb auf, sich zu waschen. Sie nahm schon lange nicht mehr die Veränderungen in ihrem alten Gesicht wahr und bald vergaß sie auch ihr früheres. Nur die Zeiten, die dazwischen lagen, vergaß sie nicht.
Als sie als junges Mädchen bemerkte, dass Gleichaltrige aus ihrem Dorf mit den starken Bauernsöhnen die Geschlechtsreife vollzogen, ließ auch sie sich an einem kalten Wintertag die Jungfräulichkeit nehmen. Von dem alten Bauern mit den gemästeten, rissigen Händen, der zuvor eine Sau im Hof geschlachtet hatte, in zwei Hälften teilte und auf eine verrostete Eisenstange hing, damit die letzten Blutstropfen aus ihrer Kehle sickern konnten. Die verbanden sich mit dem Schnee, färbten ihn scharlachrot und es roch nach warmem Kadaver, der in der eisigen Luft dampfte.
Nun war es also geschehen. Antonia war froh. Jetzt wusste sie, was die anderen auf den Heuböden und in den Kammern trieben. Später verdüsterte sich ihr Gesicht und wurde nicht mehr richtig hell. Der Bauer aber kam auf den Geschmack ihres zarten Fleisches. Oft holte er sie aus dem Bett, wenn er fluchend aus einem der drei Wirtshäuser heimkam, dann feuerte sie den Herd an, um ihm die Brennsuppe gegen seine Magengeschwüre zu wärmen. Dabei bohrten sich seine Blicke zwischen ihre weißen Schenkel, dass es ihr ekelte. Später, als er keuchend auf ihr lag, stellte sie sich vor, wie sie seinen fetten Leib in zwei Hälften teilte, ihn gespreizt mit den Füßen nach oben auf zwei Fleischerhaken hinge, sodass sein Säuferkopf auf den Eisboden krachte. Wie sie dann die Hofhunde von ihren Ketten losließe und wie sie sich entfesselt auf ihn stürzen würden, an ihm hochsprängen und die mit Brennsuppe voll gestopften Gedärme herausrissen und die Katzen damit auf dem Hof Ringareiha spielten.
Als er fertig war, kratzte er sich am Hintern, grunzte und hieß sie die Kühe melken gehen. Antonia trank im Stall 47-prozentigen Selbstgebrannten, den sie dem Bauern aus der vollen Vorratskammer stahl, um den leichenbitteren Geschmack loszuwerden. Aber losgeworden ist sie ihn nie. Auch später nicht, als sie aus Steinhof verlegt wurde und nach Schwarzau kam, wo Frauen mit Stricken und Putzen der Zeit ihrer Entlassung entgegendämmerten.
Jeden Morgen, lange bevor die Wärter um sechs Uhr mit den Eisenschlüsseln an die Zellentüren hämmerten, sang sie das Sterbelied, das ihr der Pfarrer mit seinen Fleischfingern beibrachte, als er den Takt auf ihrem nackten Mädchenbauch klopfte und dabei immer so viel Speichel verlor, dass man damit ganze Weihwasserkessel hätte füllen können. Antonia hatte keine einzige Note vergessen.
Mit langen, weißen Haaren wurde sie nach zwanzig Jahren entlassen. Es war an einem eisigen Dezembertag, der Sechste, nein, sie glaubte, es war der Fünfte oder der Siebte. Es war so kalt, dass die Rinden der Bäume aufplatzten und knallten. Ihre rote Lodenjacke war brüchig, altmodisch und viel zu eng geworden und sie roch nach verrotteten Schränken, in denen jedes Gewebe, ohne Luft und Licht, die Farbe verlor, genauso wie Antonia. Frierend stand sie auf der Straße und schämte sich.
Nach wenigen Wochen, als der Schnee schon von den Dachrinnen tropfte, fanden zwei Bahnwärter etwas Blassrotes neben einem alten Puchrad auf dem Mariazeller Bahngleis liegen.
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