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Kurzgeschichten Krimi Spannung

Warten

Eine Kurzgeschichte von Raiko Milanovic


Ina zog die Zeitung zu sich heran und lauschte kurz auf ein Geräusch an der Tür; nein nichts. Ihr Croissant sank in die Tasse, tauchte kaffeeprall wieder auf und zog auf dem Rückweg eine Spur über die Zeitung. Sie beäugte vergnügt, mit wohlig gekrümmten Zehen, die Flecken und sog am Croissant. Dann lehnte sie sich zurück, streckte ihre Beine und blinzelte wohlig in die Wintersonne.
Ina biss noch mal ab und beugte sich über die Zeitung. Ihre Augen umfuhren im Slalom die Kaffeeflecken bis sie einen sinnvollen Pfad im Text fanden: "Deutscher Tourist erliegt Herzanfall in Bangkoker Bordell." Ihr Blick huschte wieder zur Tür, ließ den Touristen links liegen und suchte weiter: "Der Präsident des örtlichen Kleintierzüchtervereins lädt die Ehefrauen der Mitglieder zum geselligen Beisammensein ein." Eine entschlossenen Hand drückte zu, ertränkte den Präsidenten und erlöste die Ehefrauen.
So etwas hätte sie im Urlaub brauchen können, als Kurt und Karl ihr Thema fanden. Es war eine wirklich nette Urlaubsbekanntschaft, in einem schönen Land gewesen, bis zu dem Moment, als alles dem Fußball weichen musste. Kultur hin, Blutdruck her, was wusste dieser Quacksalber schon, ihr Karl regte sich trotzdem auf und ernster als der Papst bei einer Bulle konzentrierte er sich auf seinen Streit mit Kurt. Dafür hatte sie ihn gehasst.
Ina biss gerade an, als der Briefkasten nebenan klapperte. Das Croissant sank herab, sie zog die Füße an und blickte zur Tür. Sie wartete, dass seine Schritte langsamer wurden, auf sein Wühlen nach Post in der knarrenden Tasche und auf die grausame, kurze Pause bevor er den Schlitz aufriss und, ob sie wollte oder nicht, etwas hinein schob.
Der Briefkasten rührte sich nicht, kein Brief wurde ausgespuckt. Ina lauschte bis seine Schritte verklangen und lehnte sich mit einem Seufzer zurück. Nichts - er war fort. Der Croissantzipfel schwebte zurück zur Tasse, wo er wollüstig heißen Mokka einsog, bevor er auf den Rückweg auch den Touristen auslöschte. Sie knabberte am Zipfel und verglich noch einmal das Neujahrsangebot von Neckermann mit der Reise, die sie Karl geschenkt hatte. Dann streckte sie wieder die Beine unter ihren Tisch. Weder heute noch sonst wann würde Post aus Bangkok kommen.




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