Hugo geht den Abfluss runter
© Margit Schaafberg
Trübsinnig starrte ich auf mein Stück Blätterteiggebäck. Ich hasse Kaffeehäuser. Ich hasse Kaffee und ich hasse Kuchen. Aber ich brauchte dringend einen Protagonisten. Also hatte ich dem mit Bier und Korn gefüllten Kühlschrank den Rücken gekehrt und war in die Stadt gefahren.
Leider war die Expedition bisher nicht zu meiner Zufriedenheit verlaufen. Was will man denn an einem ganz normalen Dienstagnachmittag auch erwarten? Alte Tanten mit Hütchen auf den Dauerwellen eigneten sich wohl kaum als Profikiller im neuesten Fall für Mike den furchtlosen Großstadtdetektiv.
Am Nebentisch wurden Stühle gerückt, offenbar waren gerade zwei oder drei weitere Vertreterinnen der Silberlöckchenfraktion eingetroffen. Ich überlegte, ob ich mir nicht wenigstens noch einen Kognak bestellen oder doch lieber gleich gehen sollte.
"Nun erzähl schon, Frieda. Wie läuft es denn? Hat Hugo schon Verdacht geschöpft?"
"Keine Spur, du kennst doch Hugo, der ist so blöd, dem kannst du das Gift neben die Kaffeetasse stellen, und er merkt nicht, dass du ihm welches rein getan hast."
"Wie kommst du aber auch immer an solche Typen? Das ist jetzt der vierte Ehemann, den du unter die Erde bringst, und einer stellt sich dümmer an, als der andere."
Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen.
"Das Rezept ist ganz einfach, je reicher, desto weniger Grips haben sie im Kopf. Und was gibt es für ein besseres Motiv für einen Mord, als eine hübsche, kleine Erbschaft? Wir wollen doch nächstes Jahr wieder ins Spielcasino nach Monte Carlo fahren, da würde Hugo doch nur stören."
Ich strich den Cognac aus meinen Überlegungen. Hier hieß es einen klaren Kopf zu bewahren. Die netten alten Ladies hatten es faustdick hinter ihren sicher höhrgerätgespickten Ohren. Hugos Leben stand auf dem Spiel, und ich war der einzige, der es retten konnte. Ich würde meinen Revolver ziehen, mich vor die beiden hinstellen und sagen "Hey Ladies, ich weiß, was Sie planen. Ich schlage vor, das Gift verschwindet ganz schnell im Müll, wenn Hugo etwas zustößt, sind Sie dran." Und wenn sie dann eingeschüchtert
Nachhause gegangen waren, würde ich mich in mein Cabrio setzen und die Ermittlungen bezüglich der anderen drei Ehemänner aufnehmen, die im Gespräch erwähnt wurden.
Die Sache hatte nur einen Haken, ich war nicht Mike Halloway, der waghalsige Detektiv aus meinen Romanen, ich war nur Michael Haller, ein Krimischriftsteller, der seit einem halben Jahr wegen Trunkenheit am Steuer keinen Führerschein mehr hatte, geschweige denn ein Cabrio oder einen Revolver. Aber wessen Wissen verdankte denn Mike seine Erfolge?
"Diesmal verwendest du also Abflussreiniger?"
"Genau. Er wurde schon in die Limoflasche umgefüllt, letzte Woche, als der Klempner da war. Der kann bezeugen, dass die Plastikflasche leckte, und dass nichts anderes zur Hand war, um das Zeug hineinzufüllen."
"Woran man da alles denken muss. Ich bewundere dich, auf was für Ideen du kommst. Wie war das noch mit Klaus-Erich? Eine Gasexplosion, stimmts?"
"Na ja, ein bisschen was muss man sich schon einfallen lassen. Wenn du immer die gleichen Methoden verwendest, kommen dir die Leute schnell auf die Schliche. Du, ich muss los, schön, dass wir uns mal wieder gesehen haben."
"Erzählst du mir, wie es mit Hugo ausgegangen ist?"
"Du erfährst es als erstes, versprochen."
Hastig warf ich einen Geldschein auf den Tisch, der meinen Verzehr sicher doppelt und dreifach abdeckte, aber ich hatte keine Zeit, noch auf mein Wechselgeld zu warten. Schneller als erwartet hatte Frieda das Kaffee bereits verlassen, ich sah gerade noch, wie sie ihrer Freundin zuwinkte und dann zur nächsten Straßenbahnhaltestelle eilte. Ich rannte hinterher.
Die Vier war gerammelt voll, und ich hatte schon Angst, ich könnte sie aus den Augen verlieren. Doch Frieda blieb beharrlich auf ihrem Platz. Endlich erreichten wir die richtige Haltestelle. Jetzt musste ich ihr nur noch bis zu ihrer Wohnung folgen, dann konnte ich Hugo den lebensrettenden Tipp geben. Die Freundin würde im nächsten Jahr alleine nach Monte Carlo fahren, dafür würde ich sorgen.
Die Gegend kannte ich nicht, Frieda eilte durch ein Einkaufszentrum. Ihre dicke Aktentasche schlug ihr gegen die Beine. Was mochte sie darin transportieren? Eine weitere Flasche Abflussreiniger, falls die erste nicht reichte? Von Giften hatte ich keine Ahnung. Mike klärte ganz andere Verbrechen, ein Schuss, ein Schlag mit einem harten Gegenstand, ein scharfes Messer - da hatte das Opfer doch wenigstens noch einen Hauch von einer Chance. Aber Hugo?
Wir hatten die Hochhäuser des Viertels bereits hinter uns gelassen und eilten nun auf ein einzelnes Gebäude zu, das hell erleuchtet auf der anderen Straßenseite lag. Frieda stieß die Eingangstür auf.
"Frau Wendt, ein Glück, dass Sie endlich da sind, wir hatten schon befürchtet, Sie würden uns versetzen. Dabei sind wir heute restlos ausverkauft."
Die junge Frau in Jeanslatzhosen und Jesuslatschen zerrte Frieda in einen Saal, aus dem bereits lautes Stimmengewirr drang. Mein Blick fiel auf das Plakat, das ich beim Hereinkommen ganz übersehen hatte, 'Heute Abend live hier im Bürgerzentrum: Frieda Wendt liest aus ihrem neuesten Kriminalroman "Klaus-Erichs Weg in den Himmel"'.
Ich schaffte es gerade noch bis zu einem leeren Platz in der letzten Zuschauerreihe, bevor mir vor Erleichterung die Knie weich wurden. Vielleicht sollte ich mich in Zukunft doch besser über die Kollegen in meiner Heimatstadt auf dem Laufenden halten.
Eingereicht am 19. März 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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