Schlauer als die Polizei erlaubt
© Manfred Schröder
Hauptwachtmeister Steiner sass alleine in der Wachstube des Polizeirevieres.
Er hatte es sich bequem gemacht und die Füsse ganz unvorschriftsmässig auf seinen Schreibtisch ausgebreitet.
Durch das geöffnete Fenster lauschte er den Vögeln, die im Garten, welcher zum Revier gehörte, den Frühling aus ihren Kehlen zwitscherten und gab sich einer angenehmen Kühle hin. Er stellte sich vor, wie herrlich ein Polizistendasein wäre, gäbe es da nicht die bösen Räuber, die einem das Leben schwer machten. Er wäre schon beinahe in ein verbotenes Nickerchen gefallen, als es klopfte und die Tür sich öffnete. Er blickte in das freundliche Gesicht von Gerda Rosenbaum.
-Darf ich?-
Natürlich wusste sie, dass sie immer willkommen war. Das Gesicht von Hauptwachtmeister Steiner strahlte.
-Nur hereinspaziert.-
Gerda Rosenbaum war klein und zierlich. Ihr Haar war schneeweiss und sie wäre bestimmt die Lieblingsoma aller Enkelkinder dieser Welt gewesen. Sie hatte vor kurzem ihr siebzigstes Lebensjahr gefeiert und war immer noch rüstig und geistig beweglich. Und sie hatte ein Hobby. Freude am Verbrechen.
Nein, nein. Nicht dass sie selber etwas Böses tat. Doch sie las furchtbar gerne Kriminalgeschichten und keinen Fernsehkrimi liess sie aus.
Doch leider konnte sie nicht immer Wirklichkeit und Phantasie voneinander unterscheiden. Und dies war auch der Grund, warum man sie gerne hier im Revier sah.. Hauptwachtmeister Steiner konnte sich noch ganz gut daran erinnern, als sie zum ersten Male hier auf der Wache erschienen war. Er hatte gerade Dienst gehabt. Was war das für eine Aufregung gewesen! Um eine Leiche war es gegangen, die jemand am Flussufer abgelegt hatte. Gerda Rosenbaum hatte es mit eigenen Augen gesehen. Man war ausgerückt, mit Mannschaft
und Wagen. Und wie hatte man nachher gelacht. Eine Schaufensterpuppe unbestimmten Geschlechts und andere Sachen, hatte ein Besitzer eines Kleidergeschäftes, der Bankrott gemacht hatte, verbotener Weise, dort abgelegt. So hatte alles vor zwei Jahren angefangen.
Hauptwachtmeister stellte ihr einen Stuhl hin und nahm neben ihr Platz.
-Na, wo gibts denn heute eine Leiche im Keller-? fragte er mit gutmütigem Spott.
Sie lächelte schüchtern zurück.
-Ich glaube, dass ich einem grossen Verbrechen auf der Spur bin. - Sein Gesicht blieb unbeweglich. Er ging zum Schreibtisch, nahm Notizblock und Kugelschreiber zur Hand und rückte seinen Stuhl näher zu ihr. Er war ganz Ohr.
-Erzählen Sie!-
Sie blickte ihn ernst an.
-Auf der anderen Seite des Hauses, wo ich wohne, gibt es ein Lokal.- Er kannte es. Es war ein beliebter Treffpunkt für junge Leute.
-Ja, ich kenne es, Frau Rosenbaum.-
Ihre Stimme wurde leiser, sodass er sich vorbeugen musste, um sie zu verstehen. .
-Und jeden Samstagabend kommt ein schwarzes Auto vorgefahren, aus dem vier Männer mit Musikinstrumenten steigen, und ins Lokal gehen.- Er wusste, wer sie waren. Vier junge Jazzmusiker, die dort an den Wochenenden spielten.
-Sehr interessant-, murmelte er, während er sich eifrig Notizen machte.
Gerda Rosenbaums Stimme wurde jetzt ganz geheimnisvoll.
-Ich glaube aber nicht, dass sich in den Koffern Musikinstrumente befinden.
-
Hauptwachtmeister Steiner blickte sie mit erstaunten Augen an.
-Nein?-
-Nein. Ich bin sicher, dass es Waffen sind.- Er kannte auch den Film ´Ladykiller´. Bestimmt drei Mal hatte er ihn gesehen.
-Frau Rosenbaum!-
Seine Stimme war voller Bewunderung.
-Sie haben uns einen grossen Dienst erwiesen. Jetzt können wir endlich
zuschlagen.-
Sie lächelte glücklich und erhob sich.
-Jetzt muss ich aber gehen und will nicht weiter stören. Ihr habt bestimmt viel zu tuen.- Er begleitete sie zur Türe.
-Nochmals vielen Dank, Frau Rosenbaum.-
Gerda Rosenbaum stand jeden morgen um sechs Uhr auf. Ging zum Bäcker und kochte sich dann einen starken Kaffee. Ass mit Genuss ihre mit Marmelade bestrichenen Brötchen und suchte in der Zeitung nach einem neuen Verbrechen.
Es dauerte heute nicht lange, bis sie fündig geworden war. In grossen Lettern stach es auf der zweiten Seite hervor. Ein Überfall auf die Sparkasse, die nicht weit von ihrem Haus entfernt lag. Kurz vor Dienstschluss hatte ein maskierter Mann die Angestellten mit einem Revolver gezwungen, ihm das Geld, welches sich in den Schalterkassen befand, auszuhändigen. Die Beute war nicht sehr gross gewesen. Rund zehntausend Euro. Kurze Zeit später konnte der Täter gefasst werden. Doch das Geld hatte er nicht mehr bei sich.
Bei der Vernehmung behauptete er, es verloren zu haben. Die Polizei vermutete jedoch, dass der Bankräuber die Beute noch schnell verstecken konnte, oder sie einem Komplizen zugesteckt hatte. Jetzt suchte die Polizei nach einem braunen, abgenutzten Lederbeutel, an den sich die Angestellten erinnern konnten.
Gerda Rosenbaums Augen strahlten. Sie beschloss zur Bank zu gehen um sich dort umzusehen. Sie zog sich an und verliess das Haus. Wie immer, ging sie durch den Park, wo sich auf einer Bank ein Stadtstreicher von der Morgensonne bescheinen liess. Kurz vor dem Ausgang bemerkte sie etwas im Dickicht der hohen Hecke, welche den Park umzäumte. Neugierig trat sie näher. In dem Gegenstand erkannte sie einen bräunlichen Beutel. Es war nicht einfach, ihn herauszuziehen. Die Dornen der Hecke hatten sich an ihm festgehakt.
Mit Geduld schaffte sie es schliesslich doch. Jetzt, wo sie ihn in der Hand hielt, betrachtete sie ihn genauer. Er war aus Leder, abgenützt und mit etwas, das raschelte, gefüllt. Mit einem dünnen Band war er oben zugeschnürt. Der Beutel lag leicht in ihrer Hand und es war nicht schwer für sie zu erraten, was sich darin befand. Sie atmete tief, öffnete dann öffnete das Parktor und trat auf die Strasse. Links lag das Polizeirevier und rechts das Haus, in dem sie wohnte. Eine Zeitlang stand sie sinnend da und ging
dann nach rechts.
Zu Hause angekommen, zog sie ihren Mantel aus, und ging zum Tisch. Behutsam öffnete sie die Schnur des Beutels und schaute kurz hinein. Dann hob sie ihn in die Höhe und drehte ihn um. Geldscheine regneten auf die Tischplatte.
Mehrere Male liess das knisternde Papier durch ihre Finger gleiten, bevor sie es zurücksteckte.
Dann nahm sie den Beutel und legte ihn in den Kleiderschrank. Sie zog wieder ihren Mantel an und begab sich zum Polizeirevier. Aus langer Erfahrung wusste sie, dass heute Hauptwachtmeister Steiner da sein würde. Und wusste ebenso, dass man wegen dem Überfall auf die Stadtsparkasse keine Zeit für sie haben würde. Sie fühlte sich heiter und beschwingt. Als sie die Wachtstube betrat, waren ausser dem Hauptwachtmeister noch zwei andere Beamten anwesend. Als sie Gerda Rosenbaum erblickten verstummten sie und man sah
ihnen an, was sie dachten.
´Bloss heute nicht. Wir haben alle Hände voll zu tun`.
Gerda Rosenberg lächelte auf ihre schüchterne Art.
-Hoffentlich störe ich nicht. Doch ich habe eine wichtige Meldung zu
machen.-
Die Beamten sahen sich gegenseitig an und seufzten. Es war Hauptwachtmeister Steiner, der mit seinem schönsten Lächeln das Wort ergriff.
-Frau Rosenbaum; wie wär´s mit morgen. Dann haben wir bestimmt Zeit für Sie.-
Sie lächelte zurück.
-Ich muss die Meldung aber wirklich heute machen. Es wird nicht lange dauern.
Ich verspreche es. -
Hauptwachtmeister Steiner zuckte resigniert mit den Schultern.
-Na, gut. Aber wirklich nur ganz kurz. Denn wir haben viel zu tuen. Wegen dem Überfall auf die Sparkasse.- Gerda Rosenbaum blickte erstaunt.
-Ein Überfall auf die Sparkasse? das ist aber interessant.- Die Beamten fürchteten schon, dass sie weitere Fragen stellen würde.
-Ja, um es kurz zu machen-, fuhr sie fort. - Ich bin nur gekommen, um zu sagen, dass ich Geld gefunden habe. Und was ich damit machen soll. - Die Beamten ahnten schlimmes. Einer der Kriminalgeschichten hatte sie wieder durcheinander gebracht. Hauptwachtmeister Steiner blickte fragend zu seinen Kollegen.
-Ich glaube, und das ist wohl das Beste; sie kann es behalten. Oder?- Die beiden anderen nickten erleichtert. Sie brauchten wirklich ihre Ruhe.
Gerda Rosenbaum machte ein erstauntes Gesicht.
- Sie meinen wirklich, dass ich es behalten kann? Ich denke...- Der Hauptwachtmeister nickte.
-Die paar Euro, oder nicht?-
Gerda Rosenbaum zeigte ihr hilflosestes Gesicht.
- Na, ja. Nur ein paar Euro. Doch ich wollte nur behilflich sein.- Steiner lächelte erleichtert. Man würde seine Ruhe haben. Zumal es nicht lange dauern würde und sie die Geschichte vergessen hätte.
Sie blickte nochmals von einem zum anderen.
-Ich darf also das Geld behalten?-
-Sie dürfen es-, sagte Steiner.
-Sie dürfen es!
Als Gerda Rosenbaum die Türe hinter sich schloss, hörte sie die drei Beamten lachen. Auch sie lachte. Leise und verhalten.
Zwei Wochen später sass Gerda Rosenbaum im Flugzeug. Sie wollte immer schon New York kennenlernen.
Eingereicht am 13. März 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.