Räuberische Nachhilfe
© Margit Schaafberg
"So, Frau Mümmelman, " mit genervtem Gesichtsausdruck beugte sich Herr Surbier über den Banktresen. "Jetzt erkläre ich ihnen das noch mal ganz ruhig zum Mitschreiben. Hier gehört der Betrag hin und da die Währung, nicht umgekehrt. Verstehen Sie?"
Natürlich verstand Elfriede Mümmelmann. Es war ja nicht das erste mal, dass sie ein Überweisungsformular ausfüllte. Bisher hatte sie auch noch nie einen Fehler gemacht, nur heute in der Eile und ohne ihre Lesebrille, da musste es wohl passiert sein. "Soll ich das schnell für sie machen?" Gönnerhaft lächelte er sie an. Sie konnte sich vorstellen, was er dachte. Die alte Schachtel ist zu blöd, um zwei und zwei zusammenzuzählen. Wenn er wüsste, dass sie sich im Bankgeschäft mindestens ebenso gut auskannte,
wie er selbst. Allerdings hatte sie zu ihrer Zeit noch keine Formulare ausfüllen müssen. Gottergeben nickte sie. Während er die nötigen Eintragungen machte, blickte sie zum Fenster der Bankfiliale. Ein Motorrad fuhr vor und ein korpulenter Mann in einem Lederanzug stieg ab. Ein Blick nach links, dann einer nach rechts, schon kam er auf die Eingangstür zu, den Sturzhelm immer noch auf dem Kopf. 'Sieh an, ein Banküberfall', dachte Elfriede. Das war wenigstens mal eine Abwechslung vom täglichen Einerlei im Seniorenheim.
Neugierig harrte sie der Dinge, die da kommen sollten. Tatsächlich, nun zog er einen Revolver aus seiner Jackentasche. 'Vorsicht', dachte Elfriede, 'halt ihm den nicht zu dicht unter die Nase. Ich sehe doch von hier, dass der nicht echt ist.'
"GeGeGeld heheheher, dadadas ist ein ÜÜÜÜberfall." Erwartungsvoll sah Elfriede Surbier an. Aber der Bankkassierer zeigte keine Reaktion.
"Hören sie, junger Mann", wandte sich Elfriede an den Räuber. "So kann das doch nicht funktionieren. Wenn Sie so stottern, müssen Sie Ihre Forderungen auf einen Zettel schreiben. Daran kann man sie doch viel zu leicht erkennen."
Einen Moment stutzte er, dann machte er ein paar schnelle Schritte auf sie zu und hielt ihr den Revolver an die Schläfe." "WeWeWeWenn dududud",
"Ach, lass mich das machen, so wird das doch nie etwas. Er will sagen, wenn Sie ihm nicht das Geld geben, dann legt er mich um." Elfriede strahlte Surbier an, der immer noch unsicher auf die Szene starrte.
"Haben Sie denn etwas dabei, wo er das Geld reintuen kann? Wenn Sie wollen, leihe ich Ihnen meine Einkaufstasche. Na los", zischte sie jetzt Surbier an. "Worauf warten Sie denn noch? In einer halben Stunde wird eine alte Derrick-Folge wiederholt. Bis dahin muss ich wieder zu Hause sein."
Sie schob ihm ihren Beutel zu, ohne sich im Mindesten um den Räuber zu kümmern, der sprachlos daneben stand. Endlich schien Surbier zu begreifen. Mit fliegenden Fingern sammelte er ein paar kleine Scheine zusammen und stopfte sie in die Tasche.
"Und was ist mit den Hundertern?" fauchte Elfriede. "Davon kann er sich ja nicht mal ein warmes Mittagessen leisten."
"Das große Geld ist unten im Tresor, der ist durch ein Zeitschloss gesichert. Da komme ich auch nicht ran."
Enttäuscht wandte sich Elfriede um.
"So ein Pech! Ja haben Sie das denn nicht ausgekundschaftet? Wenn man eine Bank überfallen will, dann muss man das doch anständig vorbereiten."
Sie seufzte.
"Na, da kann man wohl nichts machen. Beim nächsten Mal würde ich es an Ihrer Stelle in der Filiale am Marktplatz versuchen, die haben meist größere Geldbeträge vorrätig. Ach, und wenn ich Ihnen noch einen Rat geben darf, es gibt auch auf dem Spielzeugmarkt bessere Attrappen als den da."
Gelassen nahm Elfriede dem Räuber den Revolver aus der Hand.
"Und an Ihrer Stelle würde ich mir mal im Fernsehen anschauen, wie so ein Ding richtig gehalten wird. Wenn dieser Surbier nicht so ein hoffnungsloser Trottel wäre, hätte er gleich gesehen, dass Sie von Waffen keine Ahnung haben."
Mit freundlichem Lächeln reichte Elfriede dem Räuber Einkaufstasche und Revolver. "DaDaDaDanke", konnte der nur noch stammeln. Dann eilte er aus dem Kassenraum, gerade in dem Moment, als das erste Polizeifahrzeug um die Ecke bog. Die Zeit war zu knapp, um noch das Motorrad zu starten. In einem verzweifelten Zuckeltrab versuchte der Räuber davonzulaufen. Aber schnell hatten ihn die Polizisten eingeholt.
'Schade', dachte Elfriede, 'hat der Surbier also doch den Alarm ausgelöst. Ich hätte ihm gewünscht, dass er davonkommt.
Wenig später brachten zwei Beamte den Räuber in Handschellen zurück. Erschrocken erkannte Elfriede den älteren wieder.
"Ist das der Räuber? Was hat er gemacht?"
Surbier setzte ein wichtiges Gesicht auf.
"Ein Überfall. Der Mann kam rein, hat mich mit einem Revolver bedroht und die Alte da als Geisel genommen."
Zum ersten Mal sah der Polizist nun auch Elfriede an.
"Das gibt es doch nicht, die Mümmelmann!"
Elfriede errötete. Sie mochte es gar nicht gerne, wenn sie jemanden aus ihrer aktiven Zeit traf.
"Stellen Sie sich vor, Ihre Geisel ist eine der berüchtigtsten Bankräuberinnen der sechziger Jahre. Dreiundzwanzig Überfälle konnten wir ihr nachweisen, als wir sie endlich hatten." Elfriede nickte stolz.
"Aber jetzt habe ich meine Strafe abgesessen und bin im Ruhestand. Junger Mann", wandte sie sich an den Räuber, der unter seinem Motorradhelm ungefähr so aussah, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. "Sie müssen sich wirklich besser auf Ihre Arbeit vorbereiten. Mit Ihrer Figur hätten Sie doch nie zu Fuß fliehen können."
Dann wandte sie sich an Surbier.
"Wegen der Überweisung komme ich morgen noch mal vorbei. Wenn Sie mich noch brauchen, ich wohne im Seniorenstift an der Ecke."
Mit diesen Worten griff Elfriede Mümmelmann ihre Handtasche und bahnte sich an den Beamten vorbei ihren Weg nach draußen. Sie freute sich schon auf die alte Derrick-Folge.
Eingereicht am 11. März 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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