Der arme Heinrich
© Manfred Schröder
Professor Dr. Heinrich Waldrausch, ein angesehener Gelehrter der Toxikologie, hatte beschlossen, seine Frau umzubringen. Nicht aus Vergnügen. Nein, er war kein Monster, kein Ungeheuer. Er hatte lange nachgedacht und alles abgewogen, und den Mord, wenn auch nicht für gut, so doch für notwendig befunden. Natürlich ging es, wie sollte es auch anders sein, um eine andere Frau. Jünger und schöner, als seine eigene. Er hatte sie, Veronica, in einer Ausstellung über moderne Kunst kennen gelernt und sich, trotz Verstand
und Wissenschaft, mit dem, was vielen Männern das wichtigste zu sein scheint, in sie verliebt.
Sicher, eine Scheidung wäre die beste Lösung gewesen. Doch es ging ja nicht nur um Veronica, sondern auch ums Geld. Er würde leer ausgehen. Nicht dass er dann am Hungertuche nagen müsste. Er verdiente als Professor nicht schlecht. Doch sein Verdienst stand in keinem Verhältnis zu dem Vermögen, dass Margarethe, so hiess seine Frau, von ihrem Vater geerbt hatte. Nur wenn er sie überleben sollte, wäre er der alleinige Erbe da sie keine Kinder hatten. Doch warten, bis sie eines natürlichen Todes starb, du lieber
Himmel! Obschon sie auf die sechzig zuging, war sie noch rüstig wie eine, er musste an Bergziegen denken. So blieb ihm keine andere Wahl, als sie...wir wissen es. Bisher war es das Problem gewesen, wie er sich ihrer entledigen könnte. Er hatte sich vieles durch den Kopf gehen lassen. Zum Beispiel mit ihr in einem Boot weit auf den See hinauszurudern uns sie dann mit einem Stoss... doch in seiner Vorstellung, war er es, der ins Wasser fiel, und sie ihn herausfischte. Er konnte nicht schwimmen, während sie eine
hervorragende Schwimmerin war.
Oder mit ihr einen hohen Berg besteigen und sie dann von oben herab...Allein der Gedanke, so hoch oben zu stehen, liess ihn schwindelig werden. Nein; alles was bisher durch seinen Kopf gegangen war, hatte sich als undurchführbar herausgestellt. Und er hatte schon daran gedacht, sich seinem Schicksal zu ergeben und alle Pläne aufzugeben. Doch dann fiel ihm, ob er dem Himmel, oder der Hölle dankte, wir wissen es nicht, ein Fläschlein mit einem bemerkenswerten Inhalt in die Hände. Bei einem toxikologischen Kongress,
der irgendwo in Ostasien stattgefunden hatte, machte er die Bekanntschaft mit einem einheimischen Arzt, der ihm von einem Gift erzählte, dass er bei einem primitiven Volk entdeckt hatte. Ein Gift, das keine Rückstände zurückliess und völlig geruch-, und farblos war. Und da der Herr Professor sich interessiert zeigte und wie nebenbei einfliessen liess, dass er dieses Gift für seine wissenschaftlichen Untersuchungen gebrauchen könne, machte ihm jener Arzt ein Fläschlein mit dieser bemerkentswerten Flüssigkeit zum
Geschenk. Nun hatte er, was er er brauchte.
Sicher, zeitweise waren Gewissensbisse aufgetreten und hatten sein inneres Gleichgewicht gestört. Moralische Bedenken, die sich seiner zu bemächtigen versuchten. Und einmal war er sogar nahe daran gewesen, von seinem Vorhaben abzulassen. Denn ein guter Mensch, wer wär´s nicht gern. Doch da waren nun mal die widrigen Umstände. So hatte er sich wieder aufgerafft und war standhaft geblieben, wie der tapfere Zinnsoldat. Es musste getan werden. Denn der Gedanke, seine Frau in eine bessere Welt zu befördern, würde
immer wieder von ihm Besitz ergreifen. Und er womöglich, überhastet, einen Fehler machen könnte. Denn jetzt hatte er ein Mittel, um seine, ja es waren böse Gedanken, in die Tat umzusetzen. Mit einem Wässerchen, so klar und unschuldig, als könne es kein Härchen trüben. Kann man es ihm, ganz objektiv betrachtet, verübeln, dass sein Herz jubelte. Denn er würde mit diesem Wässerchen das perfekte Verbrechen begehen. Ein simples Herzversagen, oder eine sonstige, natürliche Ursache. Nun brauchte die Tat nur noch vorbereitet
werden.
´Fünf Tropfen reichen um eine Ochsen zu töten´, wie ihm sein asiatischer Arztkollege versichert hatte. Das einfachste würde sein, ihr das Gift in ihren Fruchtsaft zu tröpfeln, den sie jeden Morgen zu sich nahm. Doch dann hatte er eine andere Idee. Ob sie jedoch aus der Sicht des Verbrechens auch die bessere war, sei dahingestellt. Denn er glaubte Stil zu besitzen. Anstatt auf die Schnelle beim Frühstück, könnte es am Abend, bei einem Gläschen Wein, über die Bühne gehen. Bei dem Gedanken Bühne, lächelte der Herr
Professor. Das Leben ist nun mal ein Theater, bei dem Shakespeare Pate steht.
Als er nach dem Essen über den Rand seiner medizinischen Fachzeitschrift hinweg, ihr den Vorschlag unterbreitete, es sich am Samstagabend bei einer Flasche Wein gemütlich zu machen, nickte sie dankbar.
-Das Leben ist ja so kurz-, sagte er mit warmer Stimme.
Sie freute sich aufrichtig, dass er Zeit für sie hatte. Denn er hatte es ja auch nicht einfach. Wie oft kam er des Abends müde nach Hause, weil er noch im Institut gearbeitet hatte. Es geschah nicht selten, dass er sogar über Nacht dort blieb, wenn es allzu spät geworden war. Und hatte ihr am nächsten Tage Blumen als Aufmerksamkeit und Entschuldigung mitgebracht.
Am Samstagabend, sie hatten früher gespeist als sonst, begaben sie sich in die Bibliothek, wo die hohen Regale mit den verstaubten Büchern standen. Dem Dienstmädchen hatten sie frei gegeben. Sie könnte den Abwasch am nächsten Morgen machen.
-Ach-, sagte Margarethe-, wie ich sehe, hast du den Wein schon aus dem Keller geholt.-
Sie nahm die Flasche in die Hand und blickte auf das Etikett.
-Meine Lieblingsmarke. Wie aufmerksam von dir.-
Er lächelte.
-Wie könnte ich das vergessen.-
Margarethe ging zur Vitrini und nahm zwei Gläser heraus.
-Dann lasst es uns gemütlich machen.-
Sie liess sich in einen der rot-violetten Sessel fallen, die um einen kleinen runden Tisch gruppiert standen. Lächend schaute sie ihm zu, wie er die Flasche öffnete. Dann schenkte er ein und machte es auch sich bequem. Er hob das Glas und stelle es dann wieder auf den Tisch. Umständlich begann er in seinen Taschen zu kramen.
-Vermisst du etwas-? fragte Margarethe.
Ihre Stimme war voller Anteilnahme. Er zuckte ärgerlich mit seinen Schultern.
-Ach, wie dumm von mir. Ich habe meine Zigaretten im Arbeitszimmer vergessen.-
Er wollte sich erheben, doch Margarethe war schon aufgestanden.
-Bleib sitzen. Ich werde sie dir holen.-
-Aber Margarethe-, protestierte er.
-Ich kann doch....-
Sie war schon an der Türe. Der Herr Professor lächelte. Wie stolz war er doch auf seine Menschenkenntnisse. Dann wurde sein Gesicht ernst. Er wartete noch einen Augenblick und holte dann aus der Innentasche seiner Jacke ein kleines Fläschlein hervor. Mit zitternden Händen schraubte er den Verschluss auf. Auch er war nur ein Mensch. Doch fünf Tropfen, hell und klar, fielen in ihr Glas. Schnell verschloss er das Fläschlein wieder und steckte es in seine Jacke zurück.
Er hörte die Schritte von Margarethe und versuchte seine Nerven unter Kontrolle zu halten.
-Das war aber lieb von dir. Du hättest dich wirklich nicht bemühen brauchen. Ich hätte...-
Sie unterbrach ihn und blickte ihn freundlich an.
-Ich mache es doch gerne.-
Sie reichte ihm die Zigaretten, setzte sich und hob beide Arme in die Höhe.
-Ach, wie schön das Leben doch ist. Weisst du, ich möchte gerne Music hören. Erinnerst du dich noch an die Schallplatte, die du mir aus Italien mitgebracht hast. Würdest du sie auflegen?-
Unmut kam in ihm auf, doch er lächelte.
-Natürlich, Liebling.-
Er erhob sich und ging zum Musikschrank, über dem das Bild ihres Vaters hing, der mit strengem Blick auf ihn herabschaute. Dem Herrn Professor fröstelte. Margarethes Blick fiel auf sein Weinglas. War da nicht ein dunkler Fleck am Rand zu sehen? Etwas Bräunliches hatte sich da festgesetzt. Fürsorglich wie sie war, wechselte sie schnell die beiden Gläser. Sie wollte nicht, dass er aus solchem trank. Dann erklang Mandolinenmusic. Wie er dieses Geklimper hasste. Diesmal war es Margarethe, die das Glas hob.
-Auf ein langes und gesundes Leben!-
Auch er griff zum Glas und sie stiessen an. Während sie trank, beobachtete er sie aus lauernden Augen. Sie schien den Wein zu geniessen.
-Wirklich ein guter Wein-, bemerkte sie.
Plötzlich griff der Herr Professor sich an den Hals und begann zu röcheln. Sein Herz krampfte sich zusammen und er fühlte das Blut in seinen Adern gerinnen. Er blickte ein letztes Mal auf Margarethe; dann brachen seine Augen. Sein Körper fiel dumpf auf den Boden. Mit entsetztem Gesicht sprang sie auf. Sie ging in die Knie und beugte sich über ihn. Kein Schlagen seines Herzens fühlte sie mehr. Sie lief zum Telefon und schrie nach einem Krankenwagen. Als der Arzt kam, konnte nur noch den Tod feststellen.
-Wohl Herzversagen-, bemerkte er.
Margarethe stand da und Tränen liefen ihr übers Gesicht.
-Armen Heinrich-, sagte sie.
-Armer, armer Heinrich.
Eingereicht am 17. Februar 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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