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Kurzgeschichten Krimi Spannung

Tim

© Manfred Schröder


Tim gehörte zu jenen Menschen, die sich nie ganz sicher waren. Fragte man ihn um Auskunft, befielen ihn Zweifel, ob er auch die richtige Antwort gegeben hatte. Verliess er die Wohnung, so wusste er des öfteren nicht mehr, ob er den Ofen abgestellt hatte, oder das Licht noch brannte. Rannte er dann nach oben, keuchend und ausser Atem, stellte er natürlich fest, dass alles in Ordnung war. Er wäre bestimmt ein gefundenes Fressen für einen Seelendoktor, der gerne Ausschau nach einem Opfer und nach Geld hält. Doch die Neurose ist meistens nur ein kleiner Tick und nicht selten liebenswert.
Wie schon gesagt, Tim gehörte zu jenen Menschen, die sich selbst nicht trauten. Doch dieses Mal, da war er sich ganz sicher. Denn er sah, wie diese Person geschickt aus der Handtasche einer älteren Dame eine Geldbörse herauszog, und sie ihrem Begleiter zusteckte. Solche Scenen kannte er aus Kriminalfilmen, wo Teamwork gefragt ist. Die Person mit den langen Fingern war klein, schwarzhaarig, südländisch und sehr hübsch. Ihr Partner dagegen war blond, gross und breitschulterig. Und hatte ein fröhliches, sogar sympathisches Gesicht. Als dieser die Geldbörse in seine Tasche verschwinden liess, dieses spielte sich im Kaufhaus vor einem Kosmetikstand ab, trafen sich ihre Blicke. Für den blonden Riesen war es klar, dass Tim sie beim Taschendiebstahl beobachtet hatte. Er lächelte breit. Und Tim war sich nicht sicher, ob das Lächeln freundlich war, oder eine Warnung. Er war kein Held, doch er schaute ihm ernst ins Gesicht. Und war sogar bereit den Vorfall dem Hausdedektiven zu melden. Zum lauten ´Haltet den Dieb´, reichte es allerdings nicht. Deshalb ging er erst einmal nach draussen und zündete sich eine Zigarette an. Zwecks Beruhigung seiner Nerven. Die Beschreibung des Nord-Süd Paares hatte er ja.
Als der Glimmstängel qualmte und er den Rauch tief einzog, bedeckte ihn ein grosser Schatten. Vor ihm stand lächelnd der blonde Riese. Tim zuckte zusammen und überlegte krampfhaft, ob er ihn hier gleich zur Rede stellen sollte. Doch seine Mundwinkel gingen wie von selbst in die Breite und er erwiderte schüchtern das Lächeln seines Gegenübers.
Erst jetzt bemerkte er, dass der Andere ein aufklappbares Messer in seiner rechten Hand hielt. Tim wagte kaum zu atmen und rührte sich nicht von der Stelle. Vor seinem geistigen Auge erschien Chinatown, wo man einem zu neugierigen Dedektiven die Nase aufgeschlitzt hatte. Eine angenehme und tiefe Stimme schob das lehrreiche Bild zur Seite.
-Heute haben wir endlich schönes Wetter, oder?-
Was sollte er sagen. Es war in der Tat schön. Ihm blieb nichts anderes, als dem zuzustimmen. Dann holte der blonde Riese zur Tims Überraschung einen Apfel aus seiner Tasche.
-Sehr gesund. Doch vorher sollte man sie schälen.-
Er klopfte Tim auf die Schulter. Ganz leicht und vorsichtig; wünschte noch einen guten Tag und ging zu seiner Partnerin, die lächelnd auf einer der Bänke sass. Eigentlich war sich Tim nicht mehr so sicher, ob sie wirklich die Geldbörse aus der Handtasche gezogen hatte.

Eingereicht am 28. Dezember 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.




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