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Kurzgeschichten Krimi Spannung

New Sherlock - Wie alles begann

© Susanne Eglmeier


Da stand ich nun. Oxford Street 189, direkt an der Kreuzung zur Baker Street. Ein ungewöhnlich ruhiges Fleckchen Erde, denn es lag mitten in der belebtesten Einkaufsstraße Londons. Doch dies war nicht im Mindesten das Seltsamste an diesem Haus, die Bewohnerin würde sich noch als tausendmal seltsamer herausstellen. Bevor ich mich an die Haustür heranwagte, betrachtete ich noch einmal die Anzeige, die ich aus einer Zeitung ausgeschnitten hatte. ZIMMER ZU VERMIETEN Oxford Street 189b. Mehr außer der Telefonnummer stand nicht darauf. Ich warf noch einen kurzen Blick auf den Ford 17M P2, der vor der Garage stand, denn solche Oldtimer sah man nicht oft in dieser Gegend. Nervös fuhr ich mir durchs Haar, dann klingelte ich endlich. Kurz darauf hörte ich es schon hinter der Tür schon poltern. Eine ungestüme, ältere Dame öffnete mir, unschwer zu erkennen war, dass sie die Haushälterin sein musste. "Ah, Sie müssen der Herr sein, der auf die Annonce in der Zeitung geantwortet hat. Treten Sie ein, sie wird gleich bei Ihnen sein." Die Haushälterin Mrs. Wallace führte mich eine Treppe hinauf zu einer Tür, hinter der die Wohnräume lagen. Ich trat ein und sah ein großes Wohnzimmer, von dem aus mehrere Türen in andere Räume führten. Die Einrichtung wirkte etwas altmodisch und erinnerte an Biedermeier, nur der Laptop und das Handy, das auf dem Schreibtisch lag, lies erahnen, dass man sich im 21. Jahrhundert befand. Plötzlich stürmte ein schwarzer Labrador zu mir und bellte mich an. Aber nach ein paar Streicheleinheiten stupste der Hund mich an und ich konnte den Anhänger an seinem Halsband lesen. "Miss Marple" stand darauf. Ich konnte mir ein kurzes Lachen nicht verkneifen, denn nachdem was ich von meiner zukünftigen Mitbewohnerin wusste (was zur damaligen Zeit nicht viel war), musste sie eine große Detektivin sein. Ein zimmerhohes Bücherregal nahm mein Interesse ein und so lies ich mich in einen bequemen Sessel fallen, der vor dem Kamin stand, um ein paar Bücher genauer in Anschein nehmen zu können. Gerade betrachtete ich den Einband eines Lexikons über tropische Krankheiten, als sich die Tür öffnete. Eine gutaussehende Frau Ende zwanzig betrat den Raum, legte den Trenchcoat ab und begrüßte kurz ihren Hund. Ihre kinnlangen, schwarzen Haare waren zerzaust und doch wirkte sie mit dem Hosenanzug, den sie trug, sehr vornehm. Etwas überrascht erhob ich mich aus dem Sessel und die Frau begrüßte mich mit einem kräftigen Händedruck. "Sie sind bestimmt John Watson. Sherly Warren, sehr erfreut." "Die Freude ist ganz auf meiner Seite." Nach ein paar Förmlichkeiten gebot sie mir mit einer Handbewegung, mich wieder zu setzen. Sie wiederum holte erst ein silbernes Etui aus ihrer Handtasche und steckte sich eine Zigarette an, bevor sie sich auf dem Sessel mir gegenüber niederließ. Sherly fixierte mich mit ihren großen, grauen Augen und nach kurzer Zeit sprach sie "Nun Mr. Watson", "Nennen Sie mich ruhig John" unterbrach ich sie. "Tja, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich Sie nur Watson nenne? Ich spreche Männer nämlich generell nur mit ihren Nachnamen an, das bewahrt eine gewisse Förmlichkeit." Leicht verwundert stimmte ich zu ihr zu. Langsam wurde mir klar, dass ich es hier nicht mit einer gewöhnlichen Frau zu tun hatte.
"Nun Watson", fuhr sie fort "Sie schienen am Telefon sehr interessiert an diesem Zimmer zu sein. Gibt es einen Grund für Ihr Interesse?" "Nun ja, der Weg zum Krankenhaus, indem ich arbeite wäre von hieraus sehr viel kürzer. Eine eigene Wohnung wäre auch viel zu groß für mich allein." "Ich bin beeindruckt, Sie sind Arzt?" "Ja, ich arbeite in der Kinderabteilung im Middlesex Hospital, wenn auch nur als Assistenzarzt." gab ich schüchtern zu.
"Das Middlesex Hospital liegt in der Tat nicht weit von hier, das wäre ein großer Vorteil für Sie. Aber sind Sie sich denn auch bewusst, auf was Sie sich hier einlassen? Ich meine, ich bin keinesfalls eine einfache Mitbewohnerin." Dies machte mich doch etwas neugierig. "Was meinen Sie damit?" "Watson, Sie enttäuschen mich. Sie machen sich auf dem Weg hierher und kennen nicht einmal die phantastischen Gerüchte über mich? Nun, dann werde ich Sie einmal aufklären.
Tja, wo soll ich anfangen? Seit nun mehr vier Generationen arbeiteten die Warrens in Berufen, die dem Gesetz dienten. Ein Polizist, ein Staatsanwalt, ein Richter und ich, die Detektivin. Der Grund dafür lag uns, sozusagen, im Blut. Meine Ururgrossmutter Odette Warren lernte in ihrer Heimatstadt Paris einen Detektiv kennen. Er hatte dort einen großen Fall zu lösen, deshalb hielt er sich für zwei Monate dort auf." "Und wer war dieser Detektiv?" unterbrach ich Sherly.
"Es war kein anderer als der berühmte Sherlock Holmes persönlich. Meine Ururgrossmutter und er verliebten sich ineinander. Diese Affäre hielt allerdings nicht allzu lange und so verlies Sherlock meine Vorfahrin als er den Fall gelöst hatte und kehrte nach London zurück. Doch Odette war, ohne dass ihr Geliebter dies wusste, von ihm schwanger geworden. Als er sie verließ, brach er ihr das Herz und doch erzählte sie ihm nicht, dass sie sein Kind bekam. Sie zog meinen Urgroßvater in Paris auf und auch ich wurde in Paris geboren." Als ich dies hörte, kamen mir seltsame Gedanken in den Kopf. Ist das etwa Schicksal? fragte ich mich. Ich bin Doktor John Watsons direkter Nachkomme. Soll ich es ihr erzählen?
Ich entschied mich zu schweigen, und Sherly fuhr fort:
"Als ich das neunzehnte Lebensjahr erreichte beschloss ich, nach London zu ziehen und dort eine Detektei zu eröffnen. In der ersten Zeit kam ich bei einer entfernten Verwandten unter, dann fand ich diese Wohnung hier und zog ein. Natürlich ist eine so große Wohnung wie diese nicht geschaffen, um alleine darin zu wohnen. Deshalb gab ich Anzeigen in den verschiedensten Zeitungen auf. Es meldeten sich zahlreiche Interessenten, doch verschreckte sie wohl die Tatsache, dass ich Detektivin bin. Sie sind der erste, der sich trotz dieses Wissens hierher wagte. Also hoffe ich, dass mein Beruf Sie nicht so einschüchtern wird, wie all die anderen." Ich saß immer noch stumm dar, in Gedanken versunken. Sherly schien diese Tatsache etwas zu beunruhigen. "Watson, geht es Ihnen nicht gut? Soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen?" "Nein, es geht schon, vielen Dank" sagte ich und fasste mich am Kopf. "Es ist nur einfach unglaublich. Das so ein Zufall möglich ist, unfassbar." Ich sah Sherly direkt in ihre großen, grauen Augen. "Mein Ururgroßvater war John Watson, der langjährige Gefährte von Sherlock Holmes! Schon die Leben unserer Vorfahren waren miteinander verbunden! Und nun werde ich womöglich bei Ihnen einziehen, das ist einfach unglaublich!" Sherly lehnte sich wieder entspannt in ihren Lehnsessel zurück Sie schien diese Tatsache nicht weiter zu stören. "Und diese Tatsache macht Ihnen so zu schaffen? Nun, Sie verwundern mich, ich dachte, Sie würden im Hier und Jetzt leben und sich nicht um Vergangenes kümmern." Als sie mich genau gemustert hatte fuhr sie fort. "Watson, ich habe nicht vor, das Leben eines Mannes zu immitieren, der etwa hundert Jahre vor uns lebte. Es war ganz allein meine Entscheidung den Beruf eines Detektivs auszuführen und genauso war es Ihre Entscheidung, sich auf meine Anzeige zu melden. Ich dachte es mir schon, als Sie mir am Telefon Ihren Namen nannten. Doch dies ist keinesfalls Schicksal oder Ähnliches. Also möchte ich Sie bitten, sich keine Gedanken mehr deshalb zu machen." Um der Stille zu entweichen, die sich nach der Rede Sherlys gebildet hatte, fragte ich sie:
"Wie kommt es, dass Sie einen perfekten londoner Akzent sprechen, wo Sie doch aus Frankreich stammen?" Lächelnd ging Sherly auf meinen Themawechsel ein "Wie der Name Warren auf sich schließen lässt, liegen auch meine Wurzeln eigentlich in England. Deshalb wurden ich und mein Bruder zweisprachig aufgezogen. Nun," sprach sie nach einer Weile " Es tut mir Leid, Sie jetzt schon verabschieden zu müssen, doch leider gibt es da eine unaufschiebbare Sache, um die ich mich kümmern muss. Von mir aus könnten Sie sofort einziehen, doch wird es wohl einige Zeit dauern, bis all ihre Habseligkeiten hier eintreffen können. Also wäre es wohl das Beste, wenn Sie mich vorher anrufen könnten, damit ich hier etwas Platz schaffen kann. Meine Arbeitsutensilien nehmen in letzter Zeit immer mehr die ganze Wohnung in Anspruch." Ganz überrascht von Ihrer plötzlichen Zusage fragte ich verwundert "Ich kann das Zimmer haben?" Sherly grinste mich an "Natürlich, ich kenne niemanden, der besser hierher passen würde." Sie zog ihren Trenchcoat an, holte noch ein paar Gegenstände aus der Schublade des Schreibtischs und auch ich näherte mich der Tür, um mich zu verabschieden.
Plötzlich kam es mir wieder in den Sinn "Wie kamen Sie eigentlich auf den Namen "Miss Marple" für Ihren Hund?" "Nun," antwortete Sherly und sperrte die Tür zur Wohnung ab "Ich fand, es wäre passend, einen echten Spürhund so zu nennen." So kam es letztendlich zu der ungewöhnlichen Wohngemeinschaft von Sherly und mir. Zwei Wochen bezog ich schon das Zimmer in ihrer Wohnung und lernte immer mehr das Leben eines Detektivs kennen.





Eingereicht am 14. März 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.




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