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Kurzgeschichten Krimi Spannung

Voreilig

© Roswitha Kraxner


Es ist Montag, der 27. Dezember, kurz vor Dienstschluss im Kriminalkommissariat. Hauptkommissar Gruber Heinrich trinkt noch seinen kalten Kaffee aus. "Willst du noch schöner werden als du schon bist?" Sein Assistent Gernot Habermüller kann sich diese Frage nicht verkneifen, obwohl er weiß, dass sich sein Chef darüber ärgert. "Du kannst es auch nicht lassen ..." Kommissar Gruber will gerade kontern, als das Telefon läutet. Assistent Habermüller nimmt ab: "Kriminalkommissariat, Habermüller, was kann ich für sie tun? Ah, und wo, genau, Ausfahrt West, links, ca. 1,5 km. im Wald, wir kommen." Habermüller hat alles aufgeschrieben und blickt nun in Richtung Chef: "Kein Feierabend, Arbeit ist angesagt. Die Autobahngendarmerie hat zufällig im Wald bei der Autobahn ein verbranntes Auto mit zwei verkohlten Leichen gefunden. Seiner Schilderung nach ist nicht mehr viel übrig. Der oder die Täter haben ganze Arbeit geleistet, sagt er. Ich ruf noch die Spurensicherung und den Gerichtsmediziner an." Gruber ist gar nicht begeistert, er hätte heute noch einen Kegelabend mit Freunden verbringen wollen. "Immer dasselbe, habe ich einmal etwas vor, kommt etwas dazwischen. Wie verhext. Ich glaube, ich suche mir einen anderen Job. Aber was nützt die Jammerei, komm fahren wir!"
Am Tatort ist alles hell beleuchtet. Die Spurensicherung ist schon eingetroffen und auch der Mediziner ist bei der Arbeit. Das Auto, ein teurer Luxusschlitten ist reif für die Schrottmühle, kein Kennzeichen. Und von den Personen ist auch nicht mehr viel übrig. Der Mediziner kommt auf den Kommissar zu: "Herr Kommissar, das wird ein gewaltiges Puzzlestück, hoffentlich gibt es noch zahntechnische Spuren, sonst sehe ich bei der Identifizierung schwarz." "Dr. Santeler, sie sind doch auf diesem Gebiet ein Genie, der Täter hat nicht mit ihrer Detektivarbeit gerechnet. Wenn jemand die Lösung findet, dann doch nur sie." Über so viel Lob ist der Mediziner erstaunt: "Nun übertreiben sie mal nicht, ich tue was ich kann. Ich rufe an, sobald sich etwas ergibt. Näheres wie immer nach der Obduktion, wie gesagt, in diesem Falle kann sie etwas länger dauern. Die Leute von der Spurensicherung suchen nach verwendbaren Hinweisen, doch es ist nicht viel zu finden. "Bringt bitte das Wrack zur Untersuchung, vielleicht sieht man bei Tageslicht morgen mehr." Der Kommissar winkt dem Assistenten. "Ich glaube, wir können heute auch nichts mehr tun. Vielleicht gibt es morgen schon einen Hinweis. Apropos Hinweis, bring ein Foto noch an die Presse, dann steht morgen die Tat in der Zeitung und ein Leser kann uns vielleicht ein Stück weiterhelfen. Also, bis morgen. Ich komme ja noch rechtzeitig zu meinem Kegelvergnügen." "Viel Vergnügen! Der Assistent verabschiedet sich von seinem Chef und fährt noch in die Presseabteilung.
Dienstag, den 27. auf dem Kommissariat um 8 Uhr früh. Assistent Habermüller ist schon da, als sein Chef, ziemlich verkatert eintrifft. "Guten Morgen, Chef, darf ich raten, heute früh ins Bett gekommen?" "Psst, bitte nicht so laut, bringen sie mir lieber mein Aspirin und ein Kaffee wäre auch nicht schlecht. Gibt es was Neues in Sachen Brandopfer?" "Ja, eine Fluggesellschaft hat angerufen. Die Angestellte, Frau Monika Zettel hat die Geschichte in der Zeitung gelesen. Dabei hat sie sich an eine Frau Keltz erinnert, die Nachforschungen nach ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter machen wollte. Die Reise ist wohl gebucht, aber es gibt keine Eintragungen auf der Passagierliste zum angegeben Termin. Frau Zettel habe selbst Nachforschungen angestellt, doch die angegeben Personen sind nie nach Thailand geflogen. Sie sagt auch, nach ihren Ermittlungen wäre das nicht möglich, die besagten Personen scheinen auf keiner Liste auf. Sie hat mir die Adresse und die Telefonnummer der Frau Sabine Keltz gegeben. Frau Zettel möchte, dass wir uns diese Sache ansehen sollten, vielleicht gibt es einen Zusammenhang."
Kurze Zeit später bei besagter Frau Keltz. Nach kurzem Läuten an der Villa öffnet eine kleine, zierliche Frau, graue aber sehr gepflegte Haare, der Kommissar schätzt sie Mitte 60, die Türe: Die Kommissare stellen sich vor. Ganz misstrauisch schaut die Dame, dann bittet sie die Kommissare doch einzutreten, weil sie erfährt, dass beide Herren im Auftrag der Fluggesellschaft kommen. "Kommen Sie herein. Darf ich ihnen etwas anbieten? Hauptkommissar Gruber sieht sich in der Nobelvilla um und dann zur Frau gerichtet: "Ein Kaffee wäre wunderbar, wenn es keine große Umstände macht." "Herr Kommissar ich bitte sie, heute braucht man nur noch ein Knopf drücken und schon kann man herrlichen Kaffee genießen, ich bin nämlich eine große Kaffeetante. Kein Wunder, hat es doch früher zu meinem Beruf gehört, Kaffee zu testen. Ich war Einkäuferin in unserer Firma, eine bekannte Kaffeerösterei, die mein Sohn nach dem Tode meines Mannes übernommen hat. Mein Hausarzt schimpft zwar, wegen meinem hohen Blutdruck, aber Kaffee ist eines meiner Laster und das lass ich mir nicht nehmen." Und schon verschwindet sie in ihrer Küche. Die Kommissare nehmen im Esszimmer auf einer riesigen Ledercouch platz. Gleich kommt Frau Keltz mit zwei Tassen würzig-duftigen Kaffees und sitzt gegenüber auf den Ledersessel: Der Assistent bedankt sich: "Herzlichen Dank für Ihre Mühe, aber erzählen sie nun von ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter. Und verraten sie mir auch ihr Alter?" Die Frau rührt ihren Kaffee um und fängt zu erzählen an: "Mein Alter, also ich bin 79, im Sommer werde ich 80." Der Kommissar unterbricht sie mit Staunen: "Also, ich hätte sie höchstens auf Mitte 60 geschätzt, sie haben sich gut gehalten, meinen Respekt, wenn ich da an meine Schwiegermuter denke ... Aber fahren sie fort": "Mein Sohn und meine Schwiegertochter wollten am Donnerstag, den 23. nach Phuket fliegen, in die Weihnachtsferien, aber ich habe noch kein Lebenszeichen von den beiden erhalten. Mein Sohn ruft immer an, wenn er verreist, nur ein kurzes Hallo, aber er informiert mich doch. Doch dieses Mal, auch am 24. kein Anruf, das hat mich sehr stutzig gemacht. Die Katastrophe am 26. hat mich aufhorchen lassen. Doch keiner will mir bei meiner Suche weiterhelfen. Angeblich sei mein Sohn und Schwiegertochter gar nicht geflogen, das teilte mir das Flughafenbüro mit. Laut Passagierliste und Nachfrage in Phuket sind beide noch hier. Meine Schwiegertochter hasst die Feiertage, deshalb hat sie meinen Sohn überredet, dieses Mal zu verreisen. Können sie sich das vorstellen, er lässt seine alte Mutter an diesem Fest, das Fest der Familie allein. Gerade heuer habe ich eine wunderschöne Tanne gekauft. Den alten Christbaumschmuck habe ich auch schon vom Speicher geholt. Nein, am 23. musste er unbedingt mit seiner Frau in exotisches Gefilde." Gruber schreibt ein paar Stichworte auf und unterbricht nun ihren Redefluss: "Sie mögen ihre Schwiegertochter nicht?" Frau Keltz schaut ganz unschuldig auf den Kommissar: "Was heißt ich mag sie nicht, sie hat mir meinen Sohn weggenommen. Das wichtigste Familienfest im Jahr musste ich heuer allein verbringen. Nachdem er aber von Erpresserbriefen erzählt hat, die er in letzter Zeit regelmäßig bekomme, war ich eigentlich froh, dass er eine Weile nicht hier ist. Im Urlaub ist er sicher, so habe ich mir gedacht und meine Enttäuschung hinter dieser Einsicht verborgen." Kommissar Gruber unterbricht sofort: "Erpresserbriefe sagen sie, haben sie diese gesehen?" "Nein gesehen habe ich die nicht, mein Sohn erzählt mir immer alles. Ich glaube ihm auch. Wieso ist das für sie so wichtig?" Assistent Habermüller übernimmt das Wort: "Wir haben zwei Leichenfunde. Wenn ihre Angehörigen nicht im Flieger waren, könnten sie vielleicht einem Mordanschlag zum Opfer gefallen sein. Erpresserbriefe sind meistens ein Hinweis einer solchen Tat." Frau Keltz erschrickt sichtlich. Sie steht auf und nestelt an ihrem Zeitungsständer "Mein Gott, wo haben sie die Leichen gefunden. Das kann nicht mein Sohn sein. Das glaube ich nicht. Mein einziger Enkel, der Manuel sagte mir, er habe seine Eltern zum Flughafen gebracht." Der Kommissar: "Sie sagen, sie haben einen Enkel. Wo finden wir den?" "Mein Enkel wohnt noch im Hause seiner Eltern wenn er nicht gerade studiert. Jetzt in den Semesterferien ist er sicher daheim. Die schöne Villa, gerade neben meiner, die gehört meinem Sohn. Wenn sie Glück haben ist Manuel zu Hause. Mein Sohn will unbedingt, dass er das Jusstudium zu Ende bringt. Doch Manuel ist ganz anderer Meinung. Ihn interessiert Musik vielmehr. Deshalb gibt es immer und immer wieder Streit zwischen Jung und Alt. Fragen sie ihn aber selber. Sehen sie, sein Auto steht vor dem Hause. Er ist hier." Frau Keltz sieht aus dem Fenster und redet in Richtung Kommissare. Beide stehen auf und Habermüller geht auf Frau Keltz zu, gibt ihr die Hand: "Herzlichen Dank für den Kaffee, wir werden uns wegen der Reise ihres Sohnes umhören. Wir melden uns wieder bei ihnen. Es kann sein, dass wir sie mit auf das Präsidium mitnehmen müssen, aber das ist sicherlich kein Problem für sie?" Die alte Dame verneint dies und verabschiedet sich sehr liebenswürdig von beiden Herren.
Nach längerem Läuten an der Nobelvilla Keltz öffnet ganz verschlafen der Junior. "Was machen sie in aller Frühe so einen Krach, wer sind sie?" Kommissar Gruber sieht auf die Uhr. "Ihre erste Frage zu beantworten: es ist 10 Uhr 30, also Vormittag und die zweite: ich bin Kriminalhauptkommissar Gruber und das ist mein Assistent Habermüller. Wir haben Fragen bezüglich ihrer Eltern. Dürfen wir herein kommen?" "Ja bitte, aber meine Eltern sind nicht hier, die sind im Urlaub, ich glaube in Phuket, wenn ich mich richtig erinnere." Habermüller ganz erstaunt: "Sehen und hören sie zur Zeit keine Nachrichten, haben sie von der Katastrophe nichts gehört?" "Von welcher Katastrophe?", jetzt sieht der Student ganz verdutzt aus der Wäsche. "Ich bin mit meinen Freunden drei Tage und Nächte durch die Lokale gezogen und sie wecken mich jetzt. Ich bin noch gar nicht richtig wach, bitte verschwinden sie jetzt und lassen mir meine Ruhe!" Er deutet auf die Haustüre und will sie hinausbefördern. Kommissar Gruber wird jetzt sichtlich zornig: "Mein lieber Herr Keltz, wir erfahren, dass ihre Eltern wahrscheinlich nie im Urlaubsflieger gesessen haben, dass man sie wahrscheinlich ermordet hat, und sie regen sich auf, weil man sie weckt. Bitte ziehen sie sich an und begleiten uns auf das Präsidium." Dieser Wutausbruch hat seine Wirkung nicht verfehlt. "Entschuldigung, Herr Kommissar." Er verschwindet im oberen Stockwerk. Gruber zu Habermüller: "Komische Sache, die wir zwei momentan am Hals haben, da bin ich gespannt, was da noch alles heraus kommt.
Kurze Zeit später im Büro des Hauptkommissars: "Nehmen sie Platz, Herr Keltz. Und nun erzählen sie mir von ihren Eltern" "Meine Eltern sind mir ziemlich egal, das kann ich ihnen sagen. Jahrelang waren sie nicht für mich da, wenn es Probleme gab, gab es einen Geldschein. Und jetzt müsste ich für sie da sein, studieren was der alte Herr sich einbildet, ja die Firma, die müsste ich übernehmen. Habe aber keinen Bock darauf, ich will Musiker werden. Ich habe auch schon eine Band gegründet. Wir spielen jeden Mittwoch im "Trompetenguru", den kennen sie sicher, würde mich freuen, wenn sie uns einmal zuhören würden." Habermüller schaut von seinem Notizbuch auf: "Ihre Oma hat erzählt, sie wären mit ihren Eltern zum Flughafen gefahren, stimmt das?" "Nein, ich habe meine Herrschaften am 22. das letzte Mal gesehen. Sie haben mir zwar mitgeteilt, dass heuer die Familienfeier ausfällt, weil sie in den Urlaub wollen, aber, wie gesagt, das interessiert mich schon lange nicht mehr. Ich gebe meine Wäsche ab, und wenn die Luft rein ist, ich meine wenn die Herrschaften verreist sind, schlafe ich hier." Kommissar Gruber schüttelt ungläubig den Kopf: "Ihre Oma hat uns von Erpresserbriefe erzählt, wissen sie davon etwas?" Manuel Keltz kann sich ein Lachen nicht verkneifen: "Meine alte Oma, die sieht manchmal Gespenster. Sie ist ein wenig senil, sie wissen was ich meine, deshalb will sie meine Mutter in ein Altersheim stecken. Aber im Internet kennt sie sich sehr gut aus." "In ein Altersheim", Habermüller ist ganz erstaunt, "davon hat uns ihre Oma nichts erzählt, und senilen Eindruck macht sie mir auch nicht." "Ich kann ihnen nur sagen, was mir meine Mutter andauernd vorjammert bezüglich Oma, sie will sie für unmündig erklären lassen, wenn sie nicht freiwillig in ein Altersheim geht." Manuel Keltz schüttelt die Achsel, als wollte er sagen, dass er das Ganze ja auch nicht versteht. Kommissar Gruber verfolgt die Unterhaltung und unterbricht: "Können sie mir noch sagen, bei welchen Zahnarzt ihre Eltern waren, wir brauchen diesen Hinweis sicherlich zu Identifizierung unserer Opfer." Manuel schreibt den Namen und die Adresse auf den Notizblock und steht nun auf: "Ich glaube, ich kann nun gehen, oder?" Der Kommissar nickt: "Sie können gehen, ihre Adresse und Telefonnummer haben wir, aber bitte halten sie sich zu unserer Verfügung. Sobald wir von den beiden Toten genaueres wissen, sagen wir ihnen Bescheid. Und in der Zwischenzeit informieren sie sich über die Katastrophe und über den Verbleib ihren Eltern. Wir wären ihnen sehr dankbar. Auf Wiedersehen!"
Kaum hat der Zeuge das Kommissariat verlassen, läutet das Telefon. Der Gerichtsmediziner, Dr. Santeler ist am Apparat: "Ich brauche dringend die Unterstützung der Zahnmedizin. Habt ihr schon einen Hinweis auf einen Zahnarzt?" Habermüller gibt die Adresse weiter und bittet den Gerichtsmediziner, sich sofort zu melden, wenn die Untersuchung etwas Neues ergibt. Dieser verspricht dies und legt auf. "Habermüller, haben sie auch Hunger, schon Mittag fast vorbei. Ich lade sie heute zu einer Pizza ein." Der Angesprochene, sichtlich erfreut: "Wie komme ich zu dieser Ehre?" Kommissar Gruber: "Ich habe ein gutes Gefühl, dass wir zwei den Fall bald aufgeklärt haben, deshalb möchte ich mich bei ihnen bedanken. Auf mein Gefühl kann ich mich verlassen." "Ihr Wort in Gottes Ohr, trotzdem Danke für die Einladung. Mein Magen der knurrt nicht mehr, er streikt, weil er heute noch nichts bekommen hat."
Nach der Mittagspause im Kommissariat. Kaum im Raum, da läutet das Telefon. Dr. Santeler ist am Apparat: "Bingo, das mit der zahntechnischen Untersuchung. Die Opfer sind mit ziemlicher Sicherheit Herr Martin Keltz und Frau Cornelia Keltz. Die Kiefer wurden, nach dem Mord, stark zertrümmert. Als wollte der oder die Täter nicht, dass man die Opfer identifiziert. Beide weisen auch Schussverletzungen im Oberbauch auf. Wahrscheinlich wurden sie zuerst getötet und danach, wahrscheinlich um Spuren zu verwischen, in diesem Auto verbrannt."
Hauptkommissar Gruber schreibt das Gehörte mit und informiert sofort seinen Kollegen. "Mein Gefühl, ich weiß, ich kann mich darauf verlassen. Holen sie mir bitte Frau Keltz und deren Enkel ins Kommissariat. In dieser Umgebung fragt es sich leichter, als in der Nobelvilla." Der Assistent Habermüller sieht dies auch so und ist schon unterwegs.
Kommissar Gruber schlürft gerade seinen Nachmittagskaffee, als der Assistent mit Manuel Keltz eintritt. "Die Vernehmung der alten Frau Keltz kann ich nicht verantworten, Chef, ihr geht es nicht gut. Ich habe gesagt, sie soll sich ein wenig ausruhen. Wir müssen der alten Damen später einen Besuch abstatten." Kommissar Gruber stellt seine Tasse auf seinen Schreibtisch und wendet sich an den Junior: "Das mit ihrer Oma verstehe ich, aber sie können mir schon ein paar Fragen beantworten? Wo waren sie in der Zeit vom 23. - 27.Dezember, mit wem waren sie unterwegs, bitte alle Namen mit Telefonnummern." Manuel Keltz sitzt sich auf den Stuhlrand und schaut den Hauptkommissar ganz verdutzt an: "Nur weil ich mit meinen Alten nicht klar komme, heißt das für sie nicht automatisch, dass ich mit dieser Geschichte etwas zu tun habe. Ich schreibe ihnen jetzt alle Namen auf und sie können gerne jeden einzelnen befragen. Ich bin unschuldig, ich war immer unterwegs aber nie alleine, haben sie gehört, nie, nie alleine!" Assistent Habermüller nimmt die Notiz mit Adressen und ruft gleich die erste Telefonnummer an: "Guten Tag, Kriminalabteilung, Assistent Habermüller mein Name, eine Frage, kennen sie einen Herrn Manuel Keltz? Ja? Können sie gleich hier ins Präsidium kommen? Ja? Das wäre fein. Vielen Dank." So geht er die ganze Liste durch. Fast alle sind erreichbar und auch einverstanden, für Manuel Keltz auszusagen. Leider ergibt die Befragung auch nichts Neues. Jeder behauptet, mit Manuel eine andere Art Weihnachtsfest gefeiert zu haben, kein Fernsehgerät gesehen und kein Radio gehört zu haben. Manuel Keltz, sichtlich ganz stolz auf seine Freunde: "Nun haben sie ja gesehen, ich meine gehört, ich habe mit meinen Alten nichts zu tun. Aber was mir jetzt einfällt, ich musste für Oma am 20. Dezember von der Bank fünfzigtausend Euro in bar holen. Ich habe eine Vollmacht bei ihrer Bank, ich erledige ihre Bankgeschäfte öfters. Sie weiß, dass ich mir aus Geld nicht so viel mache wie meine Mutter. Ich liebe die Musik und wenn dabei noch ein Essen und Quartier herausschaut, bin ich schon zufrieden. Heuer wollte sie sich etwas ganz besonderes leisten. Pelze und Perlen liebt sie so sehr. Die bestellt sie über Internet. Innerhalb 24 Stunden wird geliefert und bar abgerechnet. Ich glaubte auch, sie wollte mir das obligatorische Kuvert mit wertvollem Inhalt unter den Tannenbaum legen. Mir fällt dies gerade ein, weil ich heuer leer ausgegangen bin, ich meine mit Geschenken. Ist mir vorher noch nicht eingefallen. Sie wissen ja, heuer etwas die andere Art zu feiern" .... Habermüller staunt ganz laut: "Was sagen sie da, ihre Oma braucht so viel Geld, und da haben sie nicht gefragt, wofür?" "Nein, habe ich nicht, wie gesagt, meine Oma ist Jahrgang 1925 und ein bisschen senil, das kommt sicherlich daher, dass sie immer alleine ist - aber ich denke mir immer, solange sie noch Geld am Konto hat, soll sie doch tun damit was sie will. Ich bin nicht wie meine Mutter, die wollte das ganze Geld meiner Oma schon zu Lebzeiten, deshalb sollte sie wohl ins Altersheim." "Herr Keltz, sie können gehen, Gruber geht auf ihn zu, falls wir noch Fragen haben, werden wir sie sicherlich nochmals belästigen. Wir fahren jetzt zu ihrer Oma. Hoffentlich ist sie so weit uns ein paar Fragen zu beantworten."
Nach längerem Läuten an der bekannten Villa: "Sie schon wieder", empfängt sie die kleine Dame. Ihr Atem riecht irgendwie nach Alkohol, fällt beiden Kommissaren sofort auf und sie schauen sich beide fragend an. "Entschuldigen sie nochmals die Störung, liebe Frau Keltz, aber wir haben noch ein paar Fragen an sie" Sie gehen in den schon bekannten Essplatz mit der großen Ledercouch. Was Habermüller sofort auffällt, der Zeitungsständer ist leer und blank geputzt.
"Frau Keltz, geht es ihnen schon wieder besser, sie haben ja ein wenig Ordnung gemacht in ihrer Wohnung wie ich sehe." "Wieso sehen sie dass ich Ordnung gemacht habe, nichts habe ich getan, ich habe mich ein wenig ausgeruht." Und wer hat ihnen den Zeitungsständer ausgeräumt?" "Den Zeitungsständer, ah den, sie kommt etwas ins Stottern, den habe ich ausgeleert. Die Zeitungen werden morgen in der Früh abgeholt." "Und wohin haben sie diese gegeben?" "Na, in den Keller, dort holt sie mir mein Nachbar und legt sie zu den Altpapieren, die dann geholt werden." "Darf ich mir die einmal ansehen?" Frau Keltz ganz verzweifelt an den Hauptkommissar: "Darf er denn das?" Gruber weiß selbst nicht, was sein Assistent damit bezwecken will, doch er kennt ihn gut genug um zu wissen, er hat eine Spur. "Sicherlich darf das mein Assistent." Habermüller ist schon unterwegs und kommt kurze Zeit später mit einem Stapel Zeitungen. Keine gewöhnlichen Zeitungen, nein Buchstaben sind einzeln herausgeschnitten, wie man sie für Erpresserbriefe manchmal verwendet: "Haben sie dafür eine Erklärung?" "Ich mache manchmal ein Spiel, da schneide ich Buchstaben aus und setzte einen Brief zusammen ..." "Aha, so ein Spiel. Ihr Enkel hat uns von fünfzigtausend Euro erzählt, die er von ihrem Konto holen musste. Ist das wahr?" "Mein Enkel holt sich öfter Geld von meinem Konto, wieso soll er nicht. Er hat meine Vollmacht, sein Vater hält ihn ziemlich kurz, da sage ich immer, bevor der Junge auf die schiefe Bahn kommt, da soll er sich doch das Geld von mir nehmen. Er ist ja alles noch, was ich habe. Mein Sohn versteht mich nicht, meine Schwiegertochter will, dass ich ins Altersheim übersiedle. Sie will meine Villa verkaufen. Mein Vater sagte immer, zieh dich erst aus wenn du ins Bett gehst, daher habe ich mich immer geweigert, ins Altersheim zu ziehen. Ich bin gesund und rüstig und im Oberstübchen ist auch noch alles in Ordnung. Und im Internet da surfe ich die ganze Zeit. Da lernt man so richtig nette und hilfsbereite Leute kennen. Die helfen sogar, wenn man große Probleme hat ..." "Zum Beispiel, Frau Keltz?" Habermüller ist schon wieder in seinem Element. Und im Internet, da ist er fast schon zu Hause. "Darf ich mir einmal ihren PC ansehen?" "Wieso nicht, bitte in meinem Schlafzimmer habe ich den stehen. Wenn ich nicht schlafen kann, surfe ich eine Runde in der großen weiten Welt umher." Sie geht mit dem Assistenten zu ihrem Heiligtum, schaltet dieses ein und geht wieder zum Hauptkommissar Gruber. "Herr Kommissar, sie glauben doch nicht, dass ich mit der ganzen Geschichte etwas zu tun habe?" "Meine liebe Frau, sie setzen uns in Erstaunen. Erst die Zeitungen, dann das Geld. Ihr Enkel behauptet, dass er davon nichts gesehen hat, er dachte das wäre zum Teil ein Weihnachtsgeschenk für ihn." "So, sagt er das, sie werden doch einer Dame mehr glauben, als einem arbeitslosen Musiker." Ihre Stimme überschlägt sich fast. Und diese Stimme verrät auch eine bestimmte Gefühlskälte, die manchen alten Menschen so eigen ist. Kommissar Gruber kennt das von seiner Großmutter. Sie war schon im "Mittelalter" sehr dominant, im Alter hat sich dieser Zustand zum Leidwesen seiner Mutter, die sie pflegen musste, zugenommen. War nicht einfach, für meine so liebevolle Mutter. Wir waren alle froh, als unsere Großmutter verstorben ist. Die letzten zehn Jahre ihres Lebens hat sie uns allen den letzen Nerv gezogen. Kein Wunder, dass keiner in der Familie über diese Frau je ein Wort verliert, schließlich soll man über Verstorbene nichts Schlechtes nachsagen....
Diese Gedanken gehen dem Hauptkommissar durch den Kopf, als sein Assistent Habermüller aus dem Schlafzimmer von seiner Internettour kommt. "Chef, kommen sie mit, sie müssen sich diese Internetseiten unbedingt ansehen. Besonders die vom 20. Dezember. Da verschlägt es auch ihnen die Sprache. Und erst die Email. Meine Güte. Da sind wir zwei richtige Weisenknaben." Beide Kommissare verschwinden vor dem PC. Frau Keltz gönnt sich noch einen doppelten Kognak.
"Frau Keltz, wir müssen sie leider festnehmen. Sie haben, laut unserer Durchsicht an Ihrem PC dieses Mal keinen schicken Pelzmantel und Perlenketten bestellt, sie haben um die fünfzigtausend Euro den Mord an ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter in Auftrag gegeben." Die Dame gönnt sich noch einen Doppelten und schreit: "Ja, ja, tun sie nur, was sie nicht lassen können. Ich habe mich nur gewehrt. Wer will schon freiwillig in ein Altersheim. Kein Geld, kein PC, kein Internet, keine Email, keine Pelze und Perlen. Dann schon lieber in den Knast. Den 80. Geburtstag lieber im Gefängnis als im Altersheim zu feiern, das ist doch nicht schlecht, was sagen sie dazu, Herr Kommissar?" "Da kann ich noch sicherlich etwas lernen!" Jetzt fängt sie zu lachen an und reibt sich die Hände. "Nur habe ich den Plan zu früh in die Tat umgesetzt. Hätte ich die beiden doch fliegen lassen, eine höhere Gewalt hätte mir alle Probleme abgenommen. Ich bin immer zu voreilig mit der Abwicklung meiner Geschäfte. Das ist mir schon im Berufsleben zum Verhängnis geworden". Und wie zu sich selbst: "Manche Probleme lösen sich von selbst, man muss nur warten können, das hat mir doch mein Vater immer und immer wieder gesagt, warum habe ich das nie kapiert?"





Eingereicht am 14. Februar 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.




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