Tiefenbach und der Tote in der Badewanne
© Helga Schittek
"Das wirst du doch nicht tun!", kreischte der Bauunternehmer Hardy Thadäus.
"Lass uns in Ruhe darüber reden!" Sein Gesicht war kreidebleich. Mit weit aufgerissenem Mund starrte er auf sein Gegenüber.
"Nein!", schrie Thadäus. - Sein letzter Schrei!
Es war kurz nach acht, als Kriminalhauptkommissar Harald Tiefenbach am darauf folgenden Morgen am Tatort eintraf.
"Sieh an, ein Toter im Lavendelbad!", gähnte Tiefenbach in die Runde.
"Die Ehefrau hat ihn kurz sieben gefunden", brummte Kriminalhauptmeister Werner Neubauer. "Sie sitzt im Wohnzimmer."
"Wie lange liegt er in der Badewanne?"
"Vermutlich seit acht bis zehn Stunden", meldete sich der Gerichtsmediziner zu Wort, während Ingo Sassen von der Spurensicherung einen schwarzen Fön aus dem Wasser zog.
"Einen Unfall können wir ausschließen", fügte er hinzu und deutete mit dem Zeigefinger auf die Steckdose oberhalb des Waschbeckens. "Das ist die einzige im Raum."
"Herr Kommissar", eröffnete Irmhild Thadäus das Gespräch, "Sie werden es sowieso erfahren: Mein Mann und ich hatten uns seit Jahren auseinander gelebt. - Einen Geliebten gibt es derzeit nicht."
"Wo hatten Sie den gestrigen Abend verbracht?"
Die Witwe zerdrückte den weißen Filter ihrer Menthol-Zigarette in dem halbvollen Aschenbecher und warf ihren rot kolorierten Lockenkopf in den Nacken: "Gegen 17 Uhr hatte ich mich von unserer Haushälterin Frau Dümpelfeld, die zu diesem Zeitpunkt das Gäste-WC auf Hochglanz brachte, verabschiedet. Mein Mann, unser Sohn Markus und unser Buchhalter Friedhelm Illinger spielten Skat im Wohnzimmer. - Ich war mit Freunden beim Italiener und anschließend im Casino, wie jeden Montag."
Die Fünfzigjährige bemerkte, wie sich Tiefenbachs Stirn in Falten legte und nickte: "Friedhelm Illinger war früher Filialleiter der Sparkasse. Damals, nach dem Überfall, verbrachte er mehrere Monate in einem Schweizer Sanatorium. Danach lebte er von Gelegenheitsjob, bis mein Mann ihn eingestellt hat. Die beiden kennen sich seit ihrer Schulzeit. Illinger ist Junggeselle. Seine Schwester lebt im Pflegeheim. Meiner Meinung nach, hat dieser Mensch etwas zu verbergen."
"Welcher Banküberfall? - Ist mir etwas entgangen?", fragte Werner Neubauer seinen Chef, während sie das einstöckige Wohnhaus verließen und quer über den Hof zu den, in Containern angesiedelten, Büroräumen gingen.
"Vor sieben Jahren hatte ein arbeitsloser Musiker die Kreissparkasse um 800.000 DM erleichtert. Der Bankräuber starb kurz nach seiner Verhaftung an Herzversagen. Ein Teil der Beute ist bis heute verschwunden."
Friedhelm Illinger, ein Mann mit anthrazitfarbenem Anzug, vergilbtem Hemd und roter Krawatte rollte mit seinem Stuhl ein Stück zur Seite und zog an seinem Zigarillo. Mühsam unterdrückte er seine Tränen: "Die Telefonistin hat mich kurz nach Arbeitsantritt über den Tod meines Freundes in Kenntnis gesetzt. Ich habe es vorgezogen, hier auf Sie zu warten", seufzte Illinger und schob einen Ordner beiseite. "Sind Sie sicher, dass er ermordet ...?"
"Jemand, der die Badewanne in einen Whirlpool verwandeln wollte, hat einen Fön ins Wasser geworfen", erwiderte Tiefenbach.
Illinger nippte an seiner Kaffeetasse und verzog das Gesicht: "Wir hatten gestern Abend viel gelacht, bis Vater und Sohn sich wieder einmal in die Haare gerieten. Der Bengel ist ständig pleite. Gegen 19 Uhr bin ich nach Hause gegangen."
Es goss wie aus Eimern, als die Beamten kurz vor zwölf ihren Dienstwagen in der Casinostraße parkten. Fluchend stapften sie die Stufen in den vierten Stock eines Neubaus empor. Nach mehrmaligem Klingeln öffnete ein junger Mann im Bademantel die Wohnungstür.
"Wir frühstücken gerade", sagte Markus Thadäus und führte die Polizisten in die Küche. "Darf ich Ihnen Charlotte Dümpelfeld vorstellen? - Hausangestellte meines Vaters und meine Verlobte!"
Ohne Gefühlsregung schilderte Markus Thadäus den Verlauf des Vorabends. Auf die Auseinandersetzung angesprochen, stellte sich sein blonder Bürstenhaarschnitt zu Berge.
Der 25-Jährige schüttelte den Kopf seufzte und strich sich übers Kinn: "Mein Vater hatte Illinger vor Beginn der Skatrunde ein Bündel Banknoten zugesteckt, das dieser mit einem mürrischen Gesichtsausdruck in seinem Jackett verschwinden ließ. Als ich meinen alten Herrn eine Stunde später um eine Kleinigkeit bat, weil ich mit der Miete im Rückstand bin, fing er an zu toben. Gegen 20:30 Uhr sind wir nach Hause gefahren ... Auf der Heimfahrt wäre ich um ein Haar auf halber Strecke frontal mit einem roten Golf
zusammengestoßen. Eigenartig, im ersten Augenblick dachte ich, es sei der Wagen meiner Mutter."
Schweigend fuhren die Beamten zum Präsidium, wo sie von der Sekretärin Frau Lutz erwarten wurden: "Frau Thadäus hat während der letzten Viertelstunde dreimal hier angerufen. Ihre Stimme klang gedämpft."
Irmhild Thadäus zitterte wie Espenlaub: "Kurz, nachdem ihre Männer gegangen waren, begann der Wasserhahn in der Gästetoilette zu tropfen. Als ich den Raum betrat, entdeckte ich im Klosett einen von Illingers Zigarillostummeln."
"Volltreffer!", meinte Neubauer und wandte sich seinem Vorgesetzten zu, der Sekunden nach ihm den winzigen Raum am Ende des Flures betrat.
Die Witwe lief auf dem Flur auf und ab: "Zugeben, Illinger ist mir unsympathisch. Doch nie hätte ich geglaubt, dass er zu einer solchen Tat fähig wäre. Verstehen Sie meine Angst?"
Tiefenbach schüttelte den Kopf.
"Illinger wird er Ihnen in den nächsten fünfzehn Jahren bestimmt nichts tun", sagte er und lehnte sich an die Tür. "Überzeugen Sie sich selbst!"
Irmhild Thadäus stolzierte heran. Ihr Plan schien aufzugehen. Doch dann entdeckte sie, dass sie außer jenem Corpus delicti, das Illinger überführen sollte, etwas Zigarettenasche und einen ihrer weißen Filter versenkt hatte.
Selbst nochmaliges Hinsehen änderte nichts an der Situation. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und heulte vor Wut.
"Für diesen Erbsenzähler Illinger samt Schwester hätte mein Mann sein letztes Hemd gegeben", stammelte sie. "Mich hat er im Casino sperren lassen und vor meinen Freunden bloßgestellt...Gegen diese Demütigung musste ich doch etwas unternehmen!"
Eingereicht am 13. Februar 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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