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Kurzgeschichten Krimi Spannung

Mein Liebster kommt aus Panama

© Kathy Winckler


Es gibt gewisse Momente, da möchte ich ganz für mich sein und dabei dennoch das pulsierende Leben spüren. Dann setze ich mich meistens in meinen Volvo, fahre hinaus zum Flughafen und lasse mich mit einem Pappbecher Milchkaffee in der großen Wartehalle nieder. Ich schlürfe den süßen Kaffee, schaue auf das muntere Treiben und überlasse mich ganz meinen Gedanken.
Auch heute beobachte ich die ankommenden Menschen. Ich versuche in ihren Gesichtern zu lesen und erfinde in Gedanken allerlei Geschichten über sie.
Woher mögen sie kommen? Was verschlägt sie in diese Stadt?
Inmitten meiner sich gemächlich ausbreitenden Fantasien taucht in der Menge urplötzlich ein Gesicht auf, das mich elektrisiert. Das ist doch nicht möglich!
Und doch, kein Zweifel - er ist es: Martin! Martin Sperber, meine erste - und einzige? - große Liebe. Der Mann, der mich über Nacht verlassen hat, der ohne Ankündigung einfach verschwunden ist. Wie lange ist das jetzt her? Zwölf Jahre?
Dreizehn?
Ich sehe seine hoch gewachsene, sportliche Gestalt, sein lockiges, braunes Haar, das so gut zu seinem grünen Augen passt. Schon strebt er mit eiligen Schritten dem Ausgang zu. In der Hand trägt er eine kleine rotbraune Reisetasche.
Ich springe auf und verschütte ein bisschen Milchkaffee auf mein neues blaues Kleid. Ich lasse den halbgefüllten Becher in einen Mülleimer fallen und laufe los. Will die breiten Schultern in dem perfekt sitzenden Jackett nicht aus den Augen verlieren. Raus aus der Eingangshalle, ein kurzer Sprint über den Zebrastreifen, und ich habe ihn eingeholt.
"Hallo Martin", rufe ich leise, doch laut genug, dass er mich hören muss. Er zuckt kaum sichtbar zusammen und eilt dann weiter. Ich beschleunige meine Schritte, bin jetzt auf einer Höhe mit ihm. "Hey, Martin", sage ich noch einmal.
Mit einem Ruck bleibt er stehen und schaut mir scharf ins Gesicht.
"Was wollen Sie von mir?" fragt er, und seine grünen Augen funkeln böse, "ich heiße nicht Martin ... Sie müssen mich mit jemandem verwechseln."
Will er mich für dumm verkaufen? Ich sehe doch das kleine, mandelförmige Muttermal unter seinem linken Ohrläppchen. Wie gut ich mich daran erinnern kann!
"Lass das", sage ich, "du weißt genau, dass du mir nichts vorspielen kannst, und du weißt ganz genau, wer ich bin."
Er sieht ein, dass er nicht so schnell davonkommt. "Okay, Gerti", sagt er, "okay, okay, du hast mich erkannt, und ich habe dich erkannt. Und was nun?"
"Lass uns irgendwo einen Kaffee trinken", schlage ich vor. Mein Herz pocht wild.
Ich fühle mich auf einmal aufgeregt wie ein Teenager vor der ersten Verabredung.
Ich erkenne, dass ich diesen Mann zwar lange Jahre aus meiner Erinnerung verdrängt, aber nie wirklich vergessen habe.
Zögernd stimmt er zu. Er sieht ein, dass er mich nicht einfach so abschütteln kann nach diesem unerwarteten Zusammentreffen. "Unter einer Bedingung", sagt er, "nenne mich nicht Martin. Sag bitte Robby, das reicht."
Was soll diese Heimlichtuerei? Wieso heißt er jetzt Robby? Irgendetwas stimmt nicht mit ihm, auch wie er so herumguckt, alle Leute aus den Augenwinkeln verstohlen mustert. Er steigt zu mir in meinen Volvo. Ich fahre zu einem kleinen Café in der Nähe des Stadtparks. Hier kann man draußen sitzen und auf einen kleinen See schauen. Es ist ein würdiges Plätzchen für ein romantisches Wiedersehen. Doch er will lieber drinnen bleiben, sucht sich einen Platz in der Nähe des Fensters mit Blick auf die Straße. Kaum sitzen wir, starrt er unaufhörlich nach draußen.
"Hey, was ist los mit dir?", frage ich. "Wir sehen uns nach langer Zeit mal wieder, und du sitzt da und starrst aus dem Fenster. Und warum heißt du jetzt überhaupt Robby?"
Jetzt schaut er mir direkt in die Augen. Eine Supernova explodiert in meinem Bauch und schickt heiße Wellen durch meinen ganzen Körper.
"Gerti", sagt er und greift tatsächlich nach meiner Hand. "Damals, als ich abgehauen bin ... sei ehrlich, wir haben doch gar nicht zusammen gepasst." Seine Mundwinkel ziehen sich spöttisch nach unten. "Klar, wir haben ein bisschen Spaß gehabt, aber das war's doch, oder?"
Mir wird übel. Grüne Augen können einen ganz besonders fies angucken. Und er macht erbarmungslos weiter. Seine Worte schmerzen wie gut gezielte Peitschenhiebe. Er schiebt meine Hand zurück.
"In Wirklichkeit warst du eine Nummer zu klein für mich, da kannte ich viel bessere Frauen. Irgendwann ist es einfach nur noch langweilig gewesen mit dir."
Die Supernova in meinem Bauch erstarrt zu kalter Lava. Ich bin absolut bewegungsunfähig, kriege kein Wort heraus.
"Als ich damals abgehauen bin, habe ich kurz darauf ein cooles Ding gedreht, das hat richtig Schotter gebracht", erzählt er weiter. "Und dann hab' ich mich nach Panama verpisst; zwölf Jahre war ich jetzt dort."
Er ist stolz wie Oskar, schießt es mir durch den Kopf. Oder warum erzählt er mir das alles?
"Und du wirst immer noch gesucht?" frage ich dümmlich, denn so, wie er unentwegt aus dem Fenster späht, ist die Sache doch klar wie Kloßbrühe.
Er nickt.
"Und warum kommst du dann zurück?" frage ich, obwohl es mich eigentlich überhaupt nicht mehr interessiert.
Wieder grinst er so fies. "Ich hab' noch Kohle hier, bei alten Freunden. Die hole ich mir, und dann fliege ich wieder zurück nach Panama."
Ich habe plötzlich keine Lust mehr auf dieses Zusammensein. Ich schaue aus dem Fenster und überlege angestrengt, wie wir zum Ende kommen können. Draußen steht eine große schwarze Limousine. Drinnen sitzt ein kahlköpfiger Mann. Er trägt eine dunkle Sonnenbrille, obwohl er sich eine Zeitung vor die Nase hält. Man sieht deutlich, wie er den Eingang des Cafés beobachtet. Martin, der jetzt Robby heißen will, folgt meinem Blick und erstarrt.
"Scheiße", sagt er. Klappernd stellt er seine Tasse zurück. "Da sind sie schon."
Auf einmal blicken seine Augen mich flehentlich an. Ein Hundeblick.
"Du musst mir helfen, Gerti", sagt er, und auf einmal höre ich sein zärtliches Flüstern von damals, vor zwölf Jahren, wenn wir aneinandergekuschelt unter der Bettdecke lagen. "Bitte!" fügt er hinzu. Seine Gestalt schrumpft vor meinen Augen. Er zieht den Kopf zwischen die Schultern und sinkt in sich zusammen.
In mir steigt Widerwille auf, fast Ekel. Aber ich empfinde auch Mitleid, denn die Angst in seinem Gesicht ist echt.
"Okay", sage ich, "dann komm!"
Wir erheben uns und gehen Richtung Hintertür. An der Theke bezahle ich den Kaffee. Martin, der jetzt Robby heißt und viel bessere Frauen als mich kennt, kämpft tapfer um Fassung, während die nette blonde Serviererin quälend lange mit dem Kleingeld hantiert. Dann treten wir hinaus auf den Parkplatz. Mein Volvo steht hinten in einer dunklen Ecke unter dicht belaubten Bäumen. Betont gelassen gehen wir hinüber, obwohl ich deutlich spüre, wie der Mann an meiner Seite vor Angst schlottert.
"Steig in den Kofferraum", sage ich und öffne den Deckel. Ohne Widerworte gehorcht er. Als ich den Kofferraum schließe, höre ich ihn erleichtert seufzen.
Ich steige ein, starte den Motor und lasse den Wagen langsam zur Ausfahrt rollen.
Als ich auf die Straße lenke, sehe ich, wie die blonde Serviererin zu dem Glatzkopf mit der Sonnenbrille ins Auto steigt. Sie küssen sich. Um ein Haar fange ich lauthals an zu lachen. Stattdessen gebe ich kichernd Gas, fahre einfach drauflos und beginne zu fantasieren, was ich jetzt mit dem Mann da hinten in meinem Kofferraum anstelle. Ich genieße die Macht, die ich unversehens über ihn gewonnen habe, denn er hat meine Gefühle tief verletzt.
Ich fühle mich jetzt als Frau über Leben und Tod.
Wie sehr habe ich ihn geliebt, denke ich bitter.
Zwei-, dreimal umfahre ich die Innenstadt auf der Ringstraße. Von hinten höre ich nach einiger Zeit ein dumpfes Pochen. Martin wird wohl langsam ungeduldig.
Vielleicht bekommt er es auch wieder mit der Angst zu tun. Aber lange muss er nicht mehr ausharren, denn ich habe meine Entscheidung bereits getroffen.
"Wir sind gleich da, Liebling", rufe ich.
Gleich da vorne muss ich links abbiegen, dann wieder rechts und dann die zweite Einfahrt nehmen. Das Tor zum Hof des Polizeipräsidiums steht weit offen.





Eingereicht am 03. Februar 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.




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