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Kurzgeschichten Krimi Spannung

Tödliche Mucke

© Johannes Hellrath


Als Harry Weinert meinte, sein Leben würde richtig beginnen, war es vorbei.
Seine letzten Sekunden verbrachte er in seinem Arbeitszimmer vor dem Laptop. Mit wieselflinker Zwei-Finger-Technik hackte er die letzten Absätze seiner Reportage in die Tastatur. Er fixierte den Bildschirm mit grimmigem Stolz. Diese Geschichte bedeutete garantiert seinen Durchbruch als Reporter. Schon bald, da war er sich ganz sicher, würden große Zeitungen an seine Tür klopfen. Wie lange hatte er auf eine solche Gelegenheit gewartet!
Harry schrieb seine letzten Zeilen bei dröhnender Rockmusik. Heavy Metal, um genau zu sein. Er liebte diese fetzige Musik bei der Arbeit. Das brachte ihn richtig in Fahrt.
"Harte Mucke fördert meinen kreativen Gedankenfluss", pflegte er immer etwas großspurig zu sagen.
Und weil das so war, bekam er jetzt nichts davon mit, als seine Wohnungstür plötzlich mit einem geräuschvollen Knacken aufsprang. Er nahm den Mann nicht wahr, der sich auf leisen Sohlen in sein Arbeitszimmer schlich. Selbst als der Eindringling schon direkt hinter ihm stand, war Harry noch vollkommen ahnungslos. Und gerade als ihm beim Gedanken an seinen zukünftigen Ruhm so richtig warm ums Herz wurde, fuhr kalter Schwedenstahl in dieses lebenswichtige Organ.
* * *
Miriam Neumann lenkte ihren Mini schwungvoll auf den Parkplatz hinter den alten Wohnblocks.
"Schau, dein Harry ist schon zu Hause", sagte sie zu ihrer jüngeren Schwester Eva, die neben ihr saß und deutete lachend auf Harry Weinerts alten, rostigen Golf. Den hatte Evas Freund - wie immer - verschämt in der hintersten Ecke geparkt. Miriam fuhr ihren kleinen Wagen neben die alte Rostlaube und stellte den Motor ab. Sie sah ihre Schwester liebevoll an und griff nach ihrer Hand.
Sie wusste, dass Eva sich ernste Sorgen machte, was ihren Freund Harry Weinert betraf. Seit er an dieser Reportage über die Chemiefabrik arbeitete, hatte eine unterschwellige Angst von ihr Besitz ergriffen. Sie wusste eigentlich nicht viel über diese Geschichte, denn Harry erzählte ja kaum etwas. Nur dass da krumme Dinge gelaufen sein sollten mit irgendwelchen giftigen Abfällen. Und dass die ganze Stadtverwaltung geliefert sei, wenn er den Mund aufmache, hatte Harry einmal geprahlt. "Einschließlich Bürgermeister!" hatte er noch feixend hinzugefügt. Dann aber hatte er sich in Schweigen gehüllt.
Seitdem das alles angefangen hatte, fühlte Eva sich irgendwie verfolgt. Und das Gefühl verstärkte sich, wenn sie mit Harry zusammen war. Manchmal glaubte sie einen blonden Mann mit einer schwarzen Sonnenbrille zu sehen, der sie beobachtete. Aber jedes Mal, wenn sie Harry gerade darauf aufmerksam machen wollte, war dieser Typ verschwunden. Und Harry musterte sie mit einem ganz merkwürdigen Blick.
"Du siehst Gespenster", sagte er dann mit einem nachsichtigen Kopfschütteln, und sie begann tatsächlich, an ihrer eigenen Wahrnehmung zu zweifeln.
* * *
Der Killer stellte die dröhnende Musik ab. Er ging mit leisen Schritten zur Wohnungstür und lauschte ins Treppenhaus. Es war nichts zu hören.
Im Garderobenspiegel sah er einen Blutfleck auf seinem Sakko. Er fluchte leise. Nun gut, es war nicht mehr zu ändern.
Zügig ging er zurück ins Arbeitszimmer und begann es systematisch zu durchsuchen. Der Mann hatte offensichtlich Routine. Er bewegte sich schnell, aber keineswegs hektisch. Nicht einen Quadratzentimeter ließ er bei seiner Suche aus. Den Toten hingegen beachtete er nicht mehr. Hin und wieder hielt er inne und lauschte. Nach und nach wanderten einige Papiere und Disketten in Harrys speckige Aktentasche, die passenderweise neben dem Schreibtisch stand. Schließlich klappte der Mann den Laptop zusammen und klemmte ihn sich unter den Arm. Noch einmal ließ er prüfend seinen Blick umherwandern. Dann wandte er sich zum Gehen.
* * *
Die beiden Frauen wollten gerade aussteigen, als sie die Schritte hörten. Im Rückspiegel sah Miriam einen blonden Mann nahen, dessen Augen von einer dunklen Sonnenbrille verdeckt waren. Sie stieß ihre Schwester an. Eva fuhr herum.
"Das blonde Phantom", hauchte sie, rutschte tief in ihren Sitz und hielt den Atem an.
Der Mann trug einen Laptop unterm Arm. Es war Harrys Computer, das sah sie sofort. In der Hand trug er Harrys alte Aktentasche. Der Schreck ließ Eva erstarren.
"Das sind Harrys Sachen!", stieß sie hervor und starrte ihre Schwester entsetzt an.
Der Blonde ging jetzt dicht an dem Mini vorüber. Er hatte die bewegungslos verharrenden Frauen nicht bemerkt. So als müsse er sich schützen, hielt er die Aktentasche vor seinen Bauch. Für einen kurzen Moment sah Miriam, dass die Tasche einen Fleck auf seinem Sakko verdeckte. Einen Blutfleck.
Warum Miriam nun so planmäßig handelte, konnte sie später nie erklären. Sie verstand es ja selber nicht.
Sie bedeutete ihrer Schwester zu schweigen und wartete stumm ab, bis der Mann in eine große schwarze Limousine mit getönten Scheiben stieg.
"Geh' nach oben und schau nach, was mit Harry ist!", befahl sie ihrer Schwester mit grimmiger Stimme, als sich der dunkle Wagen langsam in Bewegung setzte. Sie schaute Eva noch kurz hinterher, als diese über den Parkplatz hinüber zu den Wohnblocks lief. Dann drehte sie am Zündschlüssel. Mit einem leichten Vibrieren startete der Motor.
"Hoffentlich merkt der Typ nicht, dass ich ihm folge", murmelte sie und lenkte den Mini zügig vom Parkplatz. "Was soll ich dann bloß tun?"
Dank einiger waghalsiger Manöver im gefährlich dichten Verkehr gelang es ihr schnell, sich direkt hinter die Limousine des "Phantoms" zu hängen. Langsam näherten sich die Fahrzeuge dem Zentrum der Stadt. Die Zeit verrann, und gerade als sie fühlte, wie ein leiser Zweifel sich breit machte und ihr Mut langsam bröckelte, sah Miriam in einem Geistesblitz ihre Chance. Sie holte tief Luft.
Der Motor des kleinen Autos brüllte auf, als sie mit einem kräftigen Druck aufs Gaspedal zum Überholen ansetzte. Direkt vor der finsteren Karosse des Blonden scherte sie wieder ein. Mit klopfendem Herzen schaute sie in den Rückspiegel. Hatte der Typ etwas gemerkt? Sie wusste es nicht.
Die Ampel vor der Polizeiwache am Paulusplatz schaltete auf Rot. Anhalten. und Ruhe bewahren, befahl Miriam sich. Wieder ein forschender Blick in den Rückspiegel. Miriams Herz fing an wie wild zu pochen. Der Blonde schien sie durch die dunkle Brille unverwandt anzustarren! Ja, kein Zweifel - jetzt sah sie, wie er sich vorbeugte, wie seine Hände das Lenkrad krampfhaft umklammerten. Sie fühlte seinen bohrenden Blick wie Eishauch in ihrem Nacken.
Die Ampel schaltete auf Grün.
"Jetzt oder nie!" stieß sie mit zusammengebissenen Zähnen hervor, legte entschlossen den Rückwärtsgang ein und ließ die Kupplung fliegen.





Eingereicht am 01. Februar 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.




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