Der Gottesdiener
Von Petra A. Sandor
Er hatte sich entschieden. Er wird sie umbringen. Damit sein Leben wieder funktioniert. So wie früher, bevor sie dieses Chaos eingerichtet hat. Er wollte es nicht, doch er musste es tun.
Wie ein Tier im Käfig drehte er beim Laufen viele Runden, und mit jeder Runde wurden seine Schritte immer fester, immer sicherer. Ja, sogar heiterer. So fühlte er sich nur wenn er seine Zwiesprache mit Gott hielt. Seinem Gott. Diese Frau hatte sich zwischen ihn und seinen Gott aufgedrängt. Und die Strafe dafür soll der Tod sein. Ein Diener Gottes, oh ja, das ist er. Zitternde Hände hielten das Kreuz fest, als die Köchin ins Zimmer kam:
"Guten Abend, Herr Pfarrer. Soll ich das Abendmahl wie gewohnt herrichten oder bekommen Sie auch heute Gäste?"
Mit "Gäste" war der Bischof gemeint, der fast jeden Abend zu ihm kam. Seit er sein Herz zwischen Himmel und Erde aufteilte, war der Bischof immer in seiner Nähe. Auch der Gedanke, dass der Tod der Frau sein Herz für die Liebe Gottes freigeben konnte, kam von ihm.
"Heute Abend wie gewohnt, Jana ... heute Abend wie gewohnt ...", murmelte er und drehte sich um, damit Jana nicht sein Gesicht sah. Doch die Köchin war gewitzt und eine gute Kennerin menschlicher Schwächen. Sie hatte genug gesehen um zu wissen, dass der Pfarrer unter den Einfluss des Teufels stand. Oh, sie wird eine ganze Menge zu erzählen haben. Sie war die Frau des Dorfwirts und ihr Wirtshaus war der Stammplatz aller Dorfbewohner. Es sei denn, es war Viehmarkt, dann fuhren sie alle in die Stadt, um
sich dort zu amüsieren. Aber was könnte man auch sonst tun in so einer ländlichen Gegend, wie ihre eine war? Ein wenig Essen, ein Krug Ale, ein Kerzenlicht und eine gute Geschichte, und man war zufrieden. Und eine gute Geschichte hatte sie jetzt. Obwohl die Geschichten des Schusters, dass in der Stadt das Licht aus einem Holzpfahl kam und nicht aus einer Gaslampe, auch nicht schlecht waren.
Man höre, man höre! Ein Holzpfahl soll Licht geben und das im Jahre des Herren 1888. Na ja, alles nur Geschichten.
"Dann richte ich nur für Sie her, Hochwürdigen. Ein Gläschen Wein würde auch nicht schaden, ich kümmere mich um alles, Herr Pfarrer, so wie immer."
Voll zufrieden mit ihrer Rolle begab sich Jana in der Küche. Viele kleine Geräusche bezeugten ihre Arbeit.
Die schwarz gekleidete Gestalt des Pfarrers bewegte sich nicht von der Stelle. Starr und leer verharrte sie im Raum.
"Der Bischof hat Recht! Wenn sie tot wäre, würde ich nicht ununterbrochen an sie denken. An ihrer Stimme, an ihr weiches Fleisch, an die Wärme ihres Schoßes... Wenn sie tot wäre, würde ich meine Liebe Gott geben."
Das scharfe Einatmen der Köchin, die inzwischen das Essen auftrug, machte ihn stumm. Er verfluchte sich für sein lautes Denken.
"Haben Sie was gesagt, Hochwürden?", fragte Jana frohlockend.
Selbstverständlich hatte sie es genau gehört. Heilige Mutter Gottes! Das wird eine Geschichte geben...
"Nein, werte Frau. Es ist alles in Ordnung. Ich dachte gerade über eine neue Predigt nach, die Sünde. Ich denke, ich soll am Sonntag über die Sünde reden."
Jana schaute den Pfarrer ein wenig enttäuscht an. Doch dann strahlte ihr rundes Gesicht wie immer und sie verabschiedete sich für den Abend.
Angeekelt schaute der Pfarrer die Speisen auf dem schön gedeckten Tisch an.
Nein, er verspürte keinen Hunger. Er spürte nur das brennende Feuer in seinem Inneren, das ihn auffraß. Ein Schluck Wein, vielleicht würde ein Schluck Wein das Feuer löschen. Das Glas war nicht ganz gefüllt, als der Bischof hereinkam.
"Guten Abend, Hochwürden. Das ist aber ein Wetter!", beklagte sich der Bischof, während er seine Hände aneinander rieb, um sie aufzuwärmen.
"Ach, wie schön!", fuhr er weiter, "Gerade beim Abendbrot. Sehr gut, so lässt sich besser reden".
Er riss mit der bloßen Hand ein Stück Gänsebraten auf und stopfte es sich in den Mund.
Kauend sprach er weiter: "Es ist alles vorbereitet, Hochwürden. Sie können heute Nacht ihre Seele retten. Maria kommt, wie vereinbart, in die Kapelle. Sie wissen was zu tun ist. Nur wenn sie tot ist, wird Ihr Herz für Gott frei sein. Diese Frau ist ein Teufel. Es ist unsere Aufgabe, das Böse zu bekämpfen."
Der Pfarrer sagte kein Wort. Er blickte mit leeren Augen den Bischof an.
Ohne sich stören zu lassen, aß dieser weiter. Fettige Finger griffen nach der Weinkaraffe. Dem Bischof ging es prächtig.
"Mitternacht, Hochwürden. Ihr habt euch immer um Mitternacht getroffen. Auch das letzte Mal soll es um Mitternacht sein."
Schweigend saßen sie zusammen, bis die Uhr an der Wand die Mitternacht schlug.
Der Bischof ging schlafen, der Pfarrer ging töten.
Unterwegs zur Kapelle dachte der Pfarrer, dass die Zeit zu schnell verginge. Er würde sie nur all zu gern festhalten. Doch er musste seine Pflicht tun.
Das hat auch seine Exzellenz gesagt. Maria hat ihn verführt, sie war ein Teufel. Mit finsterem Gesicht betrat er die Kapelle. Er spürte Maria mehr als dass er sie sah.
"Ich bin hier, mein Liebster, komm zu mir."
Der Stimme folgend, fand er sie. Sie stand ihm gegenüber, voller Vorfreude.
Seine Hände streichelten ihre Haare, ihr Gesicht.
"Warum sagst du nichts, Liebster? Hast du mich nicht vermisst?"
Immer noch schweigend spielten seine Hände mit ihrem Gesicht.. Seufzend ließ sie es geschehen. Am Hals pulsierte eine Ader in Rhythmus ihres Herzens. Er spürte wie das Verlangen sich seiner bemächtigte, als Marias weicher, warmer Körper an ihm lehnte. Seine Hände streichelten weiter ihren Hals, umfassten ihn und drückten zu. Erst sanft und zögernd. Dann immer fester. Maria blickte ihn mit von Unglauben erweiterten Augen. Der Ausdruck wechselte zur Erkenntnis bevor ihr Blick glasig und undurchsichtig wurde. Er
wusste nicht wie lange er in dieser Position ausgeharrt hatte. Es war auch nicht mehr von Belang. Mit seiner letzten Kraft stieg er in den Glockenturm und nahm die Kordel seiner Soutane ab. Aus einem Ende machte er eine Schlinge, das andere Ende befestigte er an dem Dachholzbalken. Dann steckte er seinen Kopf in die Schlinge und zog sie fest um seinen Hals. Dann lies er sich fallen. Sein letzter Blick ruhte auf dem toten Körper am Altar.
Der Bischof betrachte selbstzufrieden den Ort des Verbrechens. Er hatte es sehr gekonnt angestellt. Ja, er war gerettet. Der dumme Pfarrer war doch für etwas zu gebrauchen. Aber nein, das wurde dem Ganzen gar nicht gerecht. Der Pfarrer hat es sogar besser hingekriegt, als er, der Bischof, es geplant hatte. Nicht nur dass der Pfarrer die ehemalige Geliebte des Bischofs umgebracht hat. Er hatte auch sich selbst, als der einzig möglichen Zeugen, gleichzeitig aufgeräumt.
Sein zufriedenes Gesicht fiel niemandem auf. Leise wie er es immer pflegte, entfernte sich der Bischof, während die Leichen abtransportiert wurden.
Vor seinem inneren Auge leuchtete Annas Gesicht. Er war frei für sie.
Mit forschen Schritten ging der Bischof ins Kirchenpfarrhaus, um dem neuen Priester willkommen zu heißen. Schwarze, lodernde Augen blickten verehrend den Bischof an, und er musste sich anstrengen um der leisen Stimme des neuen Pfarrers zu folgen: "Ich bin glücklich, Gott dienen zu dürfen, eure Exzellenz! Meine ganze Liebe gehört Gott!"