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Kurzgeschichten Krimi Spannung

...aus dem kein Wanderer je zurückgekehrt

Von Raiko Milanovic


Lisa und wurde, wie so oft, vor dem Klingeln des Weckers wach. Sie blieb auf der Seite liegen auf der sie aufgewacht war und fragte sich, ob sie aufstehen sollte. Aus dem Traum gefallen und im Jetzt zurück gelassen, blieb sie still liegen, bis der alte Wecker klickte, und sie automatisch hin griff, bevor er los rasselte. Die Entscheidung war ihr abgenommen und sie stand auf und ging ins Bad ohne zur anderen Betthälfte hinzuschauen.
Ihre Hand griff zum Schlüssel, sie runzelte kurz die Stirn über ihre sklavische Hand, schloss aber dennoch die Tür hinter sich. Dann stieg sie in die Dusche und drehte das Wasser auf, wartete auf die richtige Temperatur und erhöhte stetig die Temperatur weiter, während das Wasser ihr den Nacken streichelte. Etwas löste sich, etwas taute und sie dehnte sich genießerisch unter den heißen Strahlen, während sie an das Rädchen der Wasseruhr dachte. Ein winziges Rad aus rotem Plastik, das in dem großen Chromgehäuse unterhalb der schwarzen Zahlen saß und den ganzen Tag darauf wartete, dass der große Wasserzähler etwas Wasser durchließ und es wie irre losrasen konnte; immer wieder und immer weiter um sich selbst.
"Dreh dich, dreh dich, dreh dich. Drehe dich, bis dir schwindelig wird", summte sie und kicherte, bis sie das Wasser abstellte.
Die Haare bürstend, bemerkte sie Kurts Herztropfen auf dem Regal. Sie überlegte flüchtig, ob das Flakon in den Sondermüll gehörte, als sie es in das Waschbecken leerte.
Lisa ging zur Haustür und schloss sie auf. Es war Winter und die Luft sonnig klar. Noch warm von der heißen Dusche, dehnte sich behaglich in der reinen Luft, bevor sie die Treppe hinunter stieg und die zwei Brötchentüten holte. Sie öffnete die kleinere und holte ein Croissant raus und biss schon mal ab. Die größere ließ sie auf dem Schuhschrank liegen.
Im Briefkasten war nur ein Brief von Neckermann; die Quittung zu Kurts Reise, wie sich herausstellte. Sie klemmte sie mit einem Magneten auf die bunte Postkarte, die bereits am Kühlschrank klebte.
Lisa deckte sich den Tisch, brühte einen unmoralisch starken Kaffee auf und griff nach der Zeitung. Sie war von gestern, aber das tat ihrer Vorfreude keinen Abbruch, als sie sich hinsetzte und Kaffee und Zeitung zurechtrückte. Ihr Croissant sank in die Tasse, tauchte kaffeeprall wieder auf und zog auf seinem Weg zurück eine Spur über die Zeitung. Sie beäugte vergnügt, mit wohlig gekrümmten Zehen, die dunklen Flecken und biss ins Croissant. Dann lehnte sie sich zurück, streckte ihre Beine tiefer unter den Tisch und blinzelte in die Wintersonne.
Lisa biss noch mal ab und beugte sich wieder zur Zeitung. Ihre Augen umfuhren im Slalom die Kaffeeflecken bis sie einen sinnvollen Pfad im Text fanden: "Deutscher Tourist erliegt Herzattacke in Bangkoker Bordell". Ihre Augen huschten zum Kühlschrank und der Postkarte, dann kehrten sie zurück, ließen den Touristen links liegen und fanden: "Der Präsident des örtlichen Kleintiervereins lädt die Ehefrauen der Mitglieder zum Kaffee ein."
Lisas entschlossene Hand drückte zu - das Croissant entlud Kaffee, der den Präsidenten ertränkte und die Ehefrauen erlöste.
So etwas hätten sie im Urlaub auch brauchen können; eine rettend eingreifende Hand um Karl und Kurt zu stoppen. Es war bis dahin ein schöner Urlaub in einem exotischen Land gewesen. Lisa war zum ersten Male so weit von Deutschland entfernt gewesen und sie genoss das Neue. Sie begeisterte sich an der sanften Musik und den grazilen Tänzen, und entdeckte jeden Tag neue Seiten. Immer öfters war Lisa von Kindern umringt, die trotz der gegenteiligen Warnungen der Reiseleitung, sie nicht anbettelten. Sie folgte gerne den Einladungen zu Tempelanlagen und Ausflügen und war so berauscht von der unaufdringlichen Gastfreundschaft der Einheimischen gewesen, dass sie erst nach einigen Tagen bemerkte, dass sie ihr Lächeln angenommen hatte.
Lisa hatte die Urlaubsbekanntschaft, Kurt und seine Frau Heide, für reizend gehalten, sie hatten gemeinsam Ausflüge unternommen, aber das erstarb, als sie sah wie Kurt und Karl, gleichgültig gegenüber Kultur und der einheimischen Reiseleiterin, sich auf die Steine der Tempelanlage hockten. Mannschaften, Strategien, Siege und Niederlagen; es dauerte nicht lang und Kurts Stimme übertönte den Vortrag. Lisa versuchte nur einmal zu beschwichtigen, wollte ihm seine Beta-Blocker geben, aber Kurt wischte alles beiseite. Kultur hin, Blutdruck her (was wusste dieser Quacksalber zu Hause schon!), jetzt war er dran.
Alles, Exotik, freundliche Menschen, Kultur, alles wurde nebensächlich, ja belanglos, denn Kurt regte sich immer mehr auf und ernster als der Papst bei einer Bulle, konzentrierte er sich auf seinen Streit mit Karl und verdrängte ihr Lächeln. Dafür hatte Lisa ihn gehasst.
Ina biss gerade vom Croissant ab, als der Briefkasten nebenan klapperte. Ihre Hand sank, sie zog die Füße an und blickte zur Tür. Sie hörte die Schritte des Postboten, und sie wartete darauf, dass seine Schritte langsamer wurden und er begänne nach Post in der knarrenden Tasche zu wühlen und, ob sie wollte oder nicht, die Klappe des Briefkastenschlitzes aufriss und ungefragt etwas hinein schob. Die grausame, kurze Pause, in der sie, ungewiss ob er den Schlitz aufreißen oder in Frieden ließ, dehnte sich und Lisa blieb sitzen, wie sie beim Erwachen liegen geblieben war.
Lisa erschrak, als seine Schritte wieder erklangen. Der Briefkasten rührte sich aber nicht, er klapperte nicht und der Schlitz spuckte keinen Brief aus. Sie lauschte trotzdem darauf, ob seine Schritte verklangen und lehnte sich erst zurück als sie nichts mehr hörte; er war fort. Der Croissantzipfel schwebte zurück zur Tasse, wo er wollüstig heißen Mokka einsog, bevor er auf dem Rückweg auch den Touristen auslöschte.
Schließlich stand Lisa auf und nahm die Postkarte vom Kühlschrank. Sie verglich noch einmal das Datum mit dem Neujahrsangebot von Neckermann, das sie Kurt geschenkt hatte, bevor sie die Karte in kleine Schnipsel zerriss. Dann dehnte sie sich mit einem Seufzer. Es würde nie mehr Post aus Bangkok kommen.



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