Endstation Sin City
Von Rosmarie V.R. Pfister
Das Thermometer zeigte 30 Grad Celsius an, obwohl es früher Morgen war. Detektive Davis' Hemd war schon ganz durchgeschwitzt, was seine Aggression noch steigerte. Außerdem hatte er nach durchzechter Nacht nur 3 Stunden geschlafen, als ihn das Schrillen des Telefons aus dem Schlaf riss: Leichenfund im Casino.
Detektive Davis betrat die Suite des Scheichs Rahmad im noblen Casino Hotel "Golden Moon", Las Vegas.
"Wo ist die Leiche?"
"Gleich im angrenzenden Schlafzimmer, im Bett", entgegnete Detektive Snyder.
Mit weit aufgerissenen Augen lag Rahmad in blutdurchtränkten Laken. "Drei tiefe Stiche in die Brust, die augenblicklich zum Tode führten", berichtete Gerichtsmediziner Ashcroft, der die Leiche bereits untersucht hatte.
"Was sagt die Spurensicherung?". Suchend schaute sich Detektiv Davis um.
"Wir sind gleich fertig", entgegnete Mr. Pears und öffnete den Reißverschluss seines weißen Overalls. "Wir müssen alles noch auswerten".
"Hmm, das sieht nicht nach einem Kampf aus, wahrscheinlich wurde der Scheich ermordet, als er durch ein Geräusch aufwachte, aber da war es zu spät, der erste Stich muss bereits tödlich gewesen sein; aber wo ist die Tatwaffe? Der Mörder muss die Waffe, wahrscheinlich ein großes Messer mit breiter Klinge, mitgenommen haben".
"Was fehlt?; wurde irgendetwas gestohlen?" Fragend blickte Davis Detektive Snyder an. "Das kann uns am besten sein Bodygard Abdul Mulah erzählen."
Snyder ließ den Bodygard ins Schlafzimmer holen. Dem großen, bulligen Mann standen die Schweißperlen auf der Stirn. Nervös und verstört stammelte er: "Ich war es nicht, ich würde so etwas niemals tun, ich muss ihn doch beschützen, ich habe versagt."
"Ja, ja, nun beruhigen Sie sich doch, das wird sich schon noch alles klären!" Detektive Davis schob ihm einen Stuhl zurecht und drückte ihn sanft in den Sitz.
"Also, wie lange arbeiten Sie schon für Scheich Rahmad?"
"Sieben Jahre schon, ich war ihm immer treu ergeben, war immer an seiner Seite" verzweifelt blickte Abdul Mulah zu Davis hoch. "Aber dieses Mal konnte ich ihn nicht beschützen, es tut mir so leid. Gleich als ich die Leiche sah, bemerkte ich, dass die Ringe, die mein Scheich gestern Abend noch trug, fehlten. Es waren kostbare Ringe mit Edelsteinen, außerdem hatte er eine Schmuckschatulle mit Ketten, die er im Nachttisch aufbewahrte und mehrere tausend Dollar."
"Was, und das hat er nicht im Hotelsafe deponiert?" Detektive Davis runzelte fragend die Stirn.
"Ja, ich gebe zu, mein Chef war da etwas sorglos, aber was sollte ich machen?"
"Alles weg, der Schmuck, das Geld, alles!" Detektiv Snyder blickte zu Davis.
"Also haben wir es mit Raubmord zu tun. Wer hatte Zugang zur Suite?"
Davis blickte Abdul Mulah fest in die Augen.
"Los, gestehen Sie! Sie stehen unter dringendem Tatverdacht, denn Sie hatten Zugang und Sie besitzen einen Zweitschlüssel, wie uns der Hoteldirektor mitteilte."
"Ja, das mit dem Schlüssel kann ich bestätigen." Jetzt schaltete sich Mr. Adrian der Hoteldirektor ein. "Wissen Sie, Mr. Davis, Scheich Rahmad ist langjähriger und gerngesehener Kunde unseres Hauses. Er kommt regelmäßig vorbei, sieht sich die Shows hier an und genießt das Glücksspiel. Diskretion liegt uns sehr am Herzen, Sie verstehen."
"Ja, aber bei Mord ist's vorbei mit der Diskretion, ich muss jetzt wissen, wie sich alles abgespielt hat" entgegnete Davis ärgerlich .
"Ich werde Ihnen alles erzählen, was ich weiß!" Abdul Mulah's Stimme überschlug sich fast vor Aufregung. "Scheich Rahmad und ich waren im Spielcasino hier, der Scheich in Begleitung einer attraktiven Dame. Sie spielten und amüsierten sich. Ich hielt mich diskret im Hintergrund. So gegen 22.00 Uhr verließen beide das Casino und fuhren mit dem Lift in das 13. Stockwerk. Ich bin ihnen dann gefolgt und habe draußen vor dem Zimmer des Scheichs gesessen, so wie ich es immer mache, wenn er Besuch hat.
Wissen Sie, Mr. Davis, mein Scheich hatte immer dieselben Gewohnheiten: zuerst das Glücksspiel, dann attraktive Damen zur Unterhaltung. Ja und dann kam noch der Zimmerservice und brachte ein paar Flaschen Champagner und einige Delikatessen. Dazu öffnete ich die Tür zur Suite nur kurz, um den Servierwagen in den Vorraum zum Wohnzimmer reinzuschieben. Ja, jedenfalls habe ich gewartet, bis die Dame das Zimmer wieder verließ."
"Wann war das?", wollte Detektive Davis wissen.
"So gegen 00.30 Uhr" entgegnete Abdul Mulah.
"Ich öffnete dann die Tür der Suite und fragte meinen Chef, ob er noch etwas bräuchte. Er sprach noch ein paar Worte mit mir und ich verließ das Zimmer und ging gleich nebenan in meinen Raum. Ich bin dann eingeschlafen und war pünktlich um 8.00 des nächsten Morgens vor der Suite des Scheichs, um auf das Frühstück zu warten, das gewohnheitsmäßig immer um 8.00 früh gebracht wird. Und so war es dann auch: der Kellner schob den Servierwagen mit dem Frühstück vor, ich öffnete die Suite und der Kellner nahm gleich
den Servierwagen vom Vorabend mit. Ich wartete kurz im Wohnzimmer, um auf Anweisungen des Scheichs zu warten, aber es war still, zu still. Ich bin dann vorsichtig ins Schlafzimmer gegangen und habe gleich die blutigen Laken und die Leiche entdeckt. Mit meinem Cellphone rief ich dann sofort den Notruf."
"Hmm", stirnrunzelnd sah sich Davis nochmals im Zimmer um, als Adrian, der Hoteldirektor wieder erschien.
"Mr. Davis, gerade eben wurde uns von der Rezeption mitgeteilt, dass Scheich Ramad so gegen 1.00 unserer Zeit noch mit Europa telefoniert hat. Dort war es dann so gegen 10.00 morgens."
"Wir haben außerdem den Film der kameraüberwachten Gänge durchgesehen", rief Detektiv Snyder aufgeregt. "Es kann eindeutig belegt werden, dass Abdul Mulah um 00.40 in sein Zimmer ging und dort auch blieb. Bis heute früh um 8.00 Uhr hat sich keine Person mehr der Suite des Scheichs genähert."
"Dann scheidet er höchstwahrscheinlich als Mörder aus". Davis kniff die Augen zusammen und man konnte sehen, wie sich die Adern seiner Schläfen erweiterten. Wäre auch zu leicht gewesen, den Bodyguard als Täter zu entlarven, ärgerte sich Davis.
"Verdammt noch mal, irgendwie muss doch der Mörder ins Zimmer gekommen sein!".
Alles war plötzlich ganz still, sogar die Leichenträger, die gerade den Toten im Leichensack verstauten, hielten inne. Man spürte förmlich die Spannung, die in der Luft lag.
"Der Servierwagen", schrie Davis plötzlich, "wo ist der Servierwagen?"
Snyder blieb die Luft weg, so sehr hatte er sich erschrocken. "Der wurde doch vom Kellner heute morgen abgeholt", entgegnete er.
"Snyder, haben Sie veranlasst, dass das Hotel abgeriegelt wurde?", rief Davis aufgeregt.
"Ja natürlich, das wurde sofort nach Eingang des Notrufs gemacht".
Snyder wusste, dass Davis Choleriker war, aber so aufgebracht und aggressiv wie heute hatte er ihn noch nicht erlebt.
"Los schnell, lasst uns in die Hotelküche runterfahren, der Mörder befindet sich wahrscheinlich noch unter uns. Er darf uns nicht entkommen!"
Davis' Hirn arbeitete auf Hochtouren: Scheich, Mord, Tatwaffe, Kellner, Servierwagen, MÖRDER!! Das Puzzle setzte sich immer mehr zusammen, als sie endlich die Küche erreichten und den Servierwagen, welcher noch mit vollen Champagnerflaschen und Eiskübeln beladen war, inspizierten.
"Vorsicht!", mahnte Detektive Davis, "hier könnte die Spur sein, die zum Mörder führt".
Mr. Pears von der Spurensicherung untersuchte den Wagen, der mit einem weißen Baumwolltuch vollständig bedeckt war. Behutsam hob er die Decke hoch und entdeckte auf dem golden lackierten Eisengestell weiße Puderspuren.
"Was ist das?", fragte Detektive Davis ungeduldig.
"Hmm, das kann ich erst sagen, wenn wir das im Labor untersucht haben. Es sieht fast so aus wie Mehl, weißer Staub oder vielleicht auch Talkum".
"Talkum?" Verwundert drehte sich Davis zum Hoteldirektor. "Nehmen die Kellner Talkum, um die schweren Servierwägen besser transportieren zu können?"
"Aber nein, das ist doch eher was für Trapezkünstler", überlegte Direktor Adrian.
"Haben Sie zur Zeit Artisten im Haus?" fragend sah Davis zu Adrian.
"Ah, ja. Ja!. Aber die haben ein Festengagement für zwei Jahre. Eine kleine Künstlergruppe, bestehend aus vier Sumoringern und einem fliegenden Zwerg. Nichts besonderes, aber ganz unterhaltsam und lustig. ‚The flying Liliput'"
"Los, schnell, reden wir nicht lange! Wo sind sie?" Aufgeregt sah sich Davis um.
"In der Showhalle beim Training", rief Adrian noch und war schon auf den Weg dorthin.
"Alles Stop!" Davis laute Stimme hallte durch den Raum. "Bitte kommen Sie alle mal zu mir und stellen Sie sich in einer Reihe auf!".
Verwundert folgten die fünf Artisten dem Befehl.
"Ich bin Detektive Davis und muss einen Mord aufklären, der letzte Nacht hier geschah. Bitte verhalten Sie sich ruhig. Ich weiß, dass der Mörder unter uns ist".
Alles war plötzlich ganz still und Davis sah jedem der Artisten tief in die Augen. Kaum einer traute sich, tief zu atmen. In Davis Hirn hämmerte es: Scheich, Mord, Tatwaffe, Kellner, Servierwagen und…. ZWERG!!!!!!
Er sah den Liliputaner der Truppe und wusste sofort, dass nur er der Mörder sein konnte. Aber wie sollte er ihn überführen, ohne sich selbst lächerlich zu machen: er hatte keine Beweise. Ich muss es riskieren, befahl er sich selbst und sein erhöhter Adrenalinspiegel gab ihm den nötigen Mut.
"Los, gestehen Sie, Sie haben den Scheich ermordet. Sie sind überführt. Leugnen hat keinen Sinn!! Sie haben Spuren hinterlassen. Ihre Garderobe wird gerade untersucht und man wird die Tatwaffe finden". Davis' Gesicht wurde
vor Erregung rot und wieder konnte man deutlich die Adern seiner Schläfen erkennen.
Starr, ohne jegliche Regung stand der Liliputaner da, er starrte Davis in die Augen und der Schweiß rann ihm von der Stirn.
"Ich, ich wollte es nicht, ich, wir waren doch fast befreundet..." Charlos der Liliputaner war völlig perplex und fand keinen Ausweg mehr.
"Das können Sie alles gleich zu Protokoll geben", siegessicher triumphierte Davis auf. "Die Sache ist klar, Sie haben den Scheich beobachtet, als er im Spielcasino war und anschließend mit der Dame verschwand. Erzählen Sie, wie gings dann weiter!"
Davis Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
Charlos wurde plötzlich ruhig und seine Augen verengten sich: "Ich wusste, dass der Scheich wie üblich Champagner ordern würde. Ich habe mich nach der Abendvorstellung vor der Hotelküche platziert und gewartet, bis der Servierwagen bestückt wurde. Auf dem Wagen war ein Kärtchen mit Etage 13 und Suite Nummer. Er logierte wie immer in derselben Suite, ich kannte ihn gut, er war auch ein paar Mal in unserer Show. In einem unbemerkten Augenblick bin ich unter den Servierwagen gekrochen und habe gewartet, bis
dieser in die Suite geschoben wurde."
"Aha und die Tatwaffe hatten Sie gleich dabei!", entgegnete Davis.
"Ja, nur zu meinem Schutz. Ich war dann die ganze Zeit in der Suite, bis die Dame ging. Ich wartete noch etwas und ging dann zum Scheich. Vorsichtig schlich ich an sein Bett. Er schien zu schlafen, denn sein Atem war tief und gleichmäßig. Doch plötzlich machte er die Augen auf und erkannte mich, ich musste mich wehren!"
"Und stießen ihm das Messer mit voller Wucht ins Herz", schrie
Davis "Und noch einmal und gleich noch einmal, dazu mussten Sie ja auf ihm sitzen, sonst hätten sie nie die Kraft und vor allem den Winkel erreicht, um ihm die tödlichen Stiche beizubringen. Der Mord war geplant, nicht im Affekt, wie Sie uns glaubhaft machen wollen" .
Davis konnte sich nur schlecht beherrschen. "Wie gings weiter?", forderte er Charlos auf.
"Er hat nur kurz geröchelt, dann war es still, nur seine Augen starrten mich an. Ich nahm ihm alles ab, die Ringe an seinen Fingern, die Ketten, den kompletten Schmuck, das Geld. Alles lag einfach so in dem Nachtkästchen. Ich habe noch ein paar Stunden bei der Leiche gesessen und mir die herrliche Beute angesehen, echte Edelsteine und soviel Geld, wie ich es jahrelang nicht verdienen kann. In den Morgenstunden versteckte ich mich dann wieder unter dem Servierwagen, ich wusste, dass dieser morgens abgeholt
wurde, den Rest kennen Sie ja."
"Abführen!", befahl Detektive Davis.
"Wie konnten Sie Charlos des Mordes bezichtigen, Sie hatten doch keine stichhaltigen Beweise, keine Fingerabdrücke, nur Talkumspuren?", verwundert drehte sich Detektive Snyder zu Davis.
Dieser nahm einen tiefen Atemzug, blickte mit stolzgeschwellter Brust in die Runde und war froh, mit seiner Überrumplungsmethode den Mörder überführt zu haben.
"Tja, Snyder, hier in Las Vegas muss man eben oft hoch pokern, um ans Ziel zu kommen"
Davis nahm seinen Hut und verließ mit einem fetten Grinsen die Suite.