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Angela

© Manfred Schröder


Die Zuschauer waren gegangen. Ein Licht nach dem anderen erlosch am Zelt. Es war November und der Abend wehte sanft wie ein grosser, dunkler Mantel. Die ersten Sterne durchstachen den Himmel und blinkten wie ferne Leuchtfeuer.
Bald lag Stille über der kleinen Zirkuswelt, die nur gelegentlich durch die Stimmen des Urwaldes und der Savanne in den Tiergehegen unterbrochen wurde.
Hinter den kleinen Fenstern der Wohnwagen bewegten sich hin und wieder Gestalten; tauchten auf und verschwanden.
Aus dem Schatten einer Bude, an der eine Lampe schwaches Licht verstreute, trat ein kleines Mädchen. Es mochte zwölf, oder dreizehn Jahre alt sein und war nicht grösser als die Liliputaner, die mit den Clowns zusammen, die Leute zum Lachen brachten. Es blickte vorsichtig umher und in seinen Augen lag mehr Neugierde als Angst. Es wusste nicht mehr, welchen Weg es genommen hatte. War die Strassen, die ihm immer fremder wurden, entlanggewandert und dann der grossen Menge gefolgt, die dem Zirkus zuströmte. Gerne wäre es mit den anderen in die Vorstellung gegangen, doch niemand war da gewesen, der es an der Hand genommen hatte. Doch die Stimmen und das Lachen waren durch das Zelt auf den grossen Platz gedrungen und hatten ihre Fantasie zum Leuchten gebracht. Zeit und Stunden schwanden dahin und als es aufwachte, lag es auf einem Haufen Stroh, von dem einige Halme wie eine Krone in seinem Haar hingen. Es begann zu weinen. Nicht Angst liessen die Tränen die Wange herunterlaufen; nur einsam fühlte es sich. Plötzlich hörte es ein Geräusch und ein Schatten erschien auf dem vom Licht erhellten Boden und vermischte sicht mit seinem. Ein junger Mann stand vor ihm. Er hatte schwarzes, langes Haar und sein Gesicht war dunkel, wie das ferne Afrika. Die Augen blickten gross und traurig. Dann legte sich ein Lächeln um seine Mundwinkel und verebbte in kleinen Wellen über sein Gesicht.
-Hab keine Angst-, sagte er. Seine Stimme war wie das sanfte Gleiten eines Adlers. Wenn er den Mund öffnete, glänzten seine Zähne wie Elfenbein. Das kleine Mädchen erwiderte sein Lächeln und spürte keine Einsamkeit mehr.
-Was machst du hier alleine in der Nacht-, sprach der junge Mann weiter, -Hast du kein Zuhause?- Es überlegte einen Augenblick, als fiele es ihm nicht leicht zu antworten.
-Nein-, sagte es dann.
Der junge Mann nickte.
-Und wie heisst du?
-Angela-, gab das Mädchen zur Antwort.
Über das Gesicht des jungen Mannes zog wieder ein Lächeln.
-Das ist ein schöner Name. Ich heisse Tamur.- Angela nickte dankbar.
-Auch Tamur ist ein schöner Name. Und du; hast auch du kein zu Hause?
Über den Augen des jungen Mannes legte sich ein dunkler Schatten. Er blickte nach oben zu den Sternen, als hielte er Zwiesprache mit ihnen. Und es dauerte eine geraume Zeit, bis er weiter sprach.
-Nein-, sagte er.
-Doch ich gehe jetzt zurück in meine Heimat.- Das Mädchen schaute ihn verwundert an.
-Und wo ist deine Heimat?-
Er lächelte in stiller Vorfreude.
-Ganz weit weg von hier. Übers Gebirge und übers Meer. Dort, wo nur die Sonne scheint.- Die Augen Angelas blickten sehnsüchtig.
-Wo nur die Sonne scheint-, wiederholte es.
-Dorthin möchte ich auch-
Das Lächeln des jungen Mannes war jetzt wie ein Boot, welches einlud zum einsteigen.
-Komm mit mir, da du doch auch keine zu Hause hier hast.- Das Mädchen nickte.
-Ja, nimm mich mit.-
Er nahm es bei der Hand und sie wanderten unterm hohen Sternenzelt dem fernen Lande zu.
Am nächsten Morgen gab es grosse Aufregung im Zirkus. Der Panter war verschwunden. Niemand konnte es sich erklären, wie er aus dem Käfig gelangen konnte. Und die Zeitungen schrieben des Öfteren, dass man ein kleines Mädchen in Begleitung eines Panters gesehen habe.



Eingereicht am 06. März 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.



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