Ghore-Jagat - Mythen Der
Alten Welt
von Sebastian
Fergin
Es war das Jahr 1830 n. Urm.
Er nahm ein Buch aus dem
Regal und setzte sich in seinen Ohrenbackensessel. Whiskey und ein paar Keckse
standen neben ihm auf dem Tisch und seine Pfeife glühte vor sich hin. Er nahm
einen tiefen Zug, hielt den Qualm in seiner Lunge und liess ihn langsam
entweichen. Der grünliche Qualm verteilte sich in der Stube und stieg langsam,
aber sicher an, bis er, wie ein lauerndes Tier unter der Decke hing. Der Mann
begann zu lesen. Er las in einem Buch, aus dem Jahre 1775 und steckte voller
Anspannung.
(Bakrava von Bodhati. Mythen der alten Welt.
Vacam 1775 n. Urm.)
Einführung
Die Überschriften sind willkürlich gewählt, um die
Mythen ein wenig zu unterteilen
Kommentar: Geburt eines Gottes
Die Menschen damals
dachten, dass bei der Geburt eines Gottes, ihm ein bestimmter Anteil der
göttlichen Glut geschenkt wird. Die Glut, die allem voranging und unendlich sein
wird. Sie hält das Universum zusammen, sie ist die unfassbare Energie, welche
allem Bekannten und Unbekannten zugrunde liegt. Farbe, Form, Geruch oder
ähnliches ist über diese Energie nicht bekannt. Sie konnte weder bewiesen, noch
widerlegt werden. Jeder Gott hat folglich, in Art und Stärke, dieselbe Macht.
Seine Erfahrungen mit Unsterblichkeit und Sterblichkeit formen ihn, Zeit seines
Lebens, in einen Charakter, eine Persönlichkeit.
Die
folgende Geschichte fand vermutlich zwischen 2300 und 2170 v. Urm auf der
unserigen Welt statt. Einzelne Ereignisse können nicht genauer datiert werden,
da die Ereignisse der alten Zeit in Relation zu denen unserer Zeit vermutlich
viel langsamer stattfanden. Der Mythos wurde von einem Hohepriester des
Sudotana-Ordens im Jahre 351 n. Urm. an einem unbekannten Ort
verfasst.
Erster Mythos der alten Welt
Verrat unter Brüdern
Dies ist die Geschichte vom
Schicksaal Preyrs.
Preyr, der Fruchtbare, hatte die Aufgabe der jungen
Menschheit ein Führer zu sein. Er lehrte sie den Ackerbau und die Bestellung des
Bodens. Sein Wissen über Pflanzen und Tiere der ganzen Welt teilte er mit den
Weisen der alten Zeit. Er war es auch, der den Menschen die körperliche Liebe
nahe brachte, um deren Fortbestehen zu sichern. Unter seiner Führung blühte die
Menschheit auf und huldigte Preyr, im Gegenzug, mit unermesslicher Treue.
Dash-Bok, Bruder Preyrs, genannt der Trockene, schaute auf die Menschen, sah die
Verehrung, welche seinem Bruder entgegenbracht wurde und sein Geist füllte sich
mit Neid. Er fand keinen Grund, warum er nicht dieselbe oder gar mehr
Anerkennung verdient hätte. Er, der Steuermann der Sonne, Herr über die Hitze
und die Trockenheit hatte vielmehr verdient. Sein Geist verdunkelte sich und
ersann Intrigen. Er nahm im Geheimen die Masse des sterblichen Körpers seines
Bruders und fertigte eine passende, reich verzierte, prächtige Lade an. Als eine
Versammlung mit anschliessendem Fest stattfand versprach er, demjenigen, der in
diese einzigartige Lade passe, ebendiese zum Geschenk zu machen. Als sich Preyr
hineinsetzte fiel die Lade in sich zusammen, verwuchs mit dem Boden und schlug
hölzerne Wurzeln. Rasch wuchs ein riesenhafter Baum aus dem Boden. Er wurde zum
Grab des sterblichen Teils von Preyr. Um den Baum herum begann alles in rasendem
Tempo zu wachsen. Bald war der Boden grün und die Luft feucht. Die, daraus
entstandenen Wälder, Wiesen und Oasen waren fortan die üppigsten und
erbaulichsten der Erde. Dash-Bok stand überrascht vor dem Baum, denn er hatte
gewollt, dass die Lade, mitsamt seinem Bruder zu weissem Sand zerfällt. Die
versammelten Götter standen unberührt da. Nur einer rannte auf Dash-Bok zu. Er
wollte den Tod seines Vaters rächen. Dieser zweite Sohn von Preyr und dessen
Gemahlin Wali, ist ohne Namen. Der namenlose, kindliche Gott sprang auf Dash-Bok
zu und fiel Tod zu Boden. Dash-Bok bestritt jede Schuld an Preyrs Verwandlung
und schob es auf die Menschen, welche die Lade gebaut hätten. Zum Tod von Walis
zweitem Sohn brachte er Notwehr an, um sich herauszuwinden. Wali (später genannt
die Rächerin oder die Leidende) senkte den Kopf und verlies die Welt der
Sterblichen. Sie kehrte in die Dimension der Götter zurück..
(Bakrava von Bodhati. Mythen der alten Welt. Vacam
1775 n. Urm.)
Zweiter Mythos der alten Welt
Der Mythos schließt
sich direkt an den ersten Mythos an und ist uns in zahlreichen Varianten und
Geschichten erhalten geblieben. Hier wird eine gekürzte Fassung von einem Text
aus der Zeit von etwa 2065 v. Urm. erzählt. Das heisst es lagen einige Jahre
zwischen den Ereignissen des ersten und denen des zweiten Mythos. Vermutlich
stammt auch dieser Mythos von dem Hohepriester der Sudotana.
Das Tribunal
Dies ist die Geschichte Vom ersten Sohn
Pryrs.
Hundert Jahre herrschte Schweigen über den Tod von Preyr und dessen
zweitem Sohn Der erste Sohn Preyrs war der mächtige Feuerriese Zutur. Seine
Mutter drängte ihn, während all der Zeit auf Rache. Er müsse Unrecht wieder
begleichen. Zutur weigerte sich, denn er war gewahr dessen, dass es ihm schwer
fiel, sein Feuer, einmal entfacht, in sich zurück zu ziehen. Doch Wali erzählte
ihm immer aufs Neue von der schrecklichen Tat seines Onkels. Sie vergiftete ihn
mit Rachelust. Sie zeigte ihm das Leid, welches sie empfand. Der treue Zutur,
der seine Mutter über alles liebte schmerzte mit ihr. Eines Tages raffte sich
Zutur und rief ein Tribunal der drei weisesten Götter zusammen. Forseti, der
Ausgleichende oder Mittige, Hobir, der Sehende und Hymir, die Weise oder
Moralische versammelten sich in der grössten Götterhalle auf Erden. Preyrs Sohn
Zutur trat vor das Tribunal und fragte sie um Rat. Er brachte die Bitte vor,
dass sie ihm den Segen des Tribunals geben sollen. Er bat um Zustimmung, bevor
er sich an Dash-Bok für den Tod seines Vaters rächen wollte. Hobir sprach ihm
seinen Segen aus. Seine Schwester Hymir dagegen war erschüttert und wandte sich
ab. Forseti, der Ausgleichende, letztlich entschied sich für den Segen des
Tribunals und wünschte Zutur viel Glück. Der mächtigste aller Riesen stand auf
und machte sich auf die Suche nach Dash-Bok, um sein Schicksaal zu
erfüllen.
Zutur und der Untergang der alten Welt
Zutur fand
seinen Onkel in der Mitte einer grossen Wüste, auf einem riesigen roten Felsen
sitzend. Zutur forderte Rache und Dash-Bok gewahr sie ihm. Sie kämpften acht
Jahre lang und zerstörten dabei die Landschaft. Das Feuer Zuturs lies Seen
verdampfen und Wälder verbrennen. Die verderbliche Kraft von Dash-Boks giftigem
Geist legte sich über die Welt und zersetzte viele der lebenden Dinge. Ein Kampf
mit solch ebenbürtigen Gegnern wird immer vom Schicksaal beobachtet. Es kam,
dass Zutur den grossen Dash-Bok besiegte und seine sterbliche Hülle zerstörte.
Mit dem alles entscheidende Feuersturm brach eine Feuerregen über die Welt ein.
Diesem Inferno konnten nicht einmal Preyrs Baum und seine Wälder überstehen. Die
fruchtbarsten und prächtigsten aller Pflanzen und Tiere zerfielen zu Asche und
vermengten sich, in einem Sonneverdunkelnden, grauen Niederschlag, mit den
Wassern der Erde. Mit der aller letzten Kraft zerstob Dash-Boks Leiche in
abertausend Tonnen Sand. Dash-Boks Reue legte sich in einem weissen Sandregen
auf das Land und erstickte die Flammen. Das Leben existierte weiter. In den
grossen Meeren sammelte sich Preyrs Kraft und gebar weiteres neues Leben. Am
Ende der Welt entstand Neues Leben.
Dritter Mythos der alten
Welt
………………………..
Es war das
Jahr 1830 n. Urm.
„Dritter Mythos der alten Welt…“ murmelte er und schloss
das Buch. Er stellte es in sein Regal, nahm seinen Hut vom Haken und setzte ihn
auf. Sein Weg führte ihn in den Flur zum Kleiderschrank. Er holte seinen
schwarzen Mantel heraus und streifte ihn über. Im Hinausgehen schnappte er sich
noch einen Regenschirm und verlies die Haustür. Mit geöffnetem Regenschirm
stapfte er durch den Matsch. Eine Kutsche raste knapp an ihm
vorbei.
„Verdammter Idiot, pass doch auf!“ Schrie er dem Kutscher
hinterher.
Er marschierte eine halbe Stunde den Weg entlang und gelangte zum
Bahnhof. Dort setzte er sich auf eine Bank und begann sich seine Pfeife zu
stopfen.