Das Versteck unter den Bäumen
Von Horst Fesseler
Draußen auf dem Lande, wo die großen grünen Wiesen blühen und die vielen
bunten Felder sind, da wohnt Stefan mit seinen Eltern in einem kleinen
wunderschönen Haus. Und um das Haus ist ein riesiger Garten, in dem Stefan
sehr oft spielt.
Stefan ist ein kleiner Junge von sechs Jahren. Er geht schon zur Schule.
Seit letzten Sommer ist er in der ersten Klasse. Aber heute braucht er nicht
zur Schule. Es ist nämlich Sonntag. Da haben alle Kinder frei, weil die
Schule geschlossen ist. Die Kinder können deshalb zu Hause spielen und
brauchen nichts zu lernen. Das ist der schönste Tag in der Woche.
Stefan geht an diesem Sonntag in seiner neuen Jeanshose in den riesengroßen
Garten hinter dem schönen Haus. Die Sonne lacht vom Himmel herab. Es ist
sehr heiß. Der Boden ist so warm, dass man sich auf die blanke Erde setzen
kann, ohne einen kalten Hintern zu bekommen.
Neben dem Haus, worin Stefan mit seinen Eltern wohnt, stehen eine Menge
Bäume und Sträucher. Grosse und kleine, dicke und dünne. Und natürlich gibt
es da viele bunte Blumen. Sie blühen ganz wunderbar und duften herrlich.
Manchmal versteckt sich Stefan in den Bäumen. Er klettert hinauf und setzt
sich zwischen die Äste. Die sind so dick und breit, dass keiner ihn dort
findet. Und seine Mami muss ihn dann suchen.
"Stefan, wo bist du? Ich kann dich nirgends finden", ruft sie ganz laut. Das
macht ihm riesigen Spaß. Und es ist für Stefan außerdem ein großes Erlebnis,
wenn er unter die tief hängenden Äste der Büsche kriechen kann. Da sieht ihn
nämlich keiner mehr so schnell. Die Äste sind so dicht beieinander, dass
niemand hindurch schauen kann.
Unter den Ästen ist es für Stefan wie in einer richtigen dunklen
Räuberhöhle. Die Blätter der Bäume und Sträucher lassen kein Sonnenlicht
herein. Ganz düster ist es da. Der Stefan lacht leise vor sich hin, wenn ihn
die Erwachsenen suchen, aber nicht finden können. Deshalb verhält er sich in
seinem Versteck ganz still, damit ihn keiner hört.
Heute, an diesem wunderschönen Sonntag also, krabbelt der kleine Stefan in
seiner blauen Jeanshose hinter die tiefsten und dichtesten Äste eines großen
Baumes. Er kriecht mit den Knien auf dem weichen Erdboden herum und macht
seine schöne neue Hose ganz schmutzig. Aber das ist ihm egal. Soll die Hose
doch schmutzig werden. Das ist nicht so schlimm. Die Mutti muss sie ja
sowieso waschen.
Stefan schaut zwischen den Ästen und Blättern hindurch. Und da sieht er
plötzlich ein sehr, sehr großes Schloss mit einem wunderschönen Teich auf
der anderen Seite des Gartens. Aber er kann dort keinen Menschen entdecken.
Er kriecht deshalb unter den Ästen und Büschen hervor und läuft zu dem Teich
auf der großen Wiese. Denn er will sehen, was es dort alles gibt. In dem
Teich schwimmen viele Fische umher. Grosse und kleine, Dicke und dünne.
Gelbe, blaue und rote. Stefan sieht sich weiter um. Neben dem Teich steht
eine grüne Schaukel mit einem knallroten Sitz. Und die Schaukel ist so ganz
alleine auf der Wiese. Deshalb geht Stefan schnell dorthin. Er schaut sich
nochmals um, ob ihn auch wirklich keiner sieht. Dann setzt er sich auf den
knallroten Sitz der grünen Schaukel. Vorsichtig wippt er hin und her. Und
weil ihm dies so einen riesengroßen Spaß macht, schaukelt er immer fester.
Schon geht es schwupp und schwapp. Stefan schaukelt ganz hoch. Auf einmal
aber wird ihm schwindlig vom vielen Schaukeln. Und plötzlich kann er sich
nicht mehr festhalten. Er hat auch nicht aufgepasst und nur in der Gegend
umhergesehen. Da plumpst er mit seinem Hintern in den Teich zu den kleinen
Fischen. Die erschrecken sehr und schwimmen aufgeregt umher.
Stefan ist natürlich pitschnass geworden. Er klettert deshalb sehr schnell
aus dem Teich heraus. Die Fische aber lachen vergnügt, als sie den nassen
Stefan sehen. Ja, ja, so kann es gehen, wenn man bei anderen Leuten schaukelt,
ohne vorher zu fragen, ob man überhaupt darf.
Stefan zieht nun seine Hose aus und hängt sie auf eine Wäscheleine zum
Trocknen. Auch sein gelbes T-Shirt streift er über und legt es in das Gras
des weichen Rasens. Jetzt sitzt der Stefan splitternackt auf der Wiese neben
dem Teich. Wie gut, dass ihn da keiner sieht. Denn die Leute vom Schloss
hätten bestimmt mit ihm geschimpft, weil er einfach in ihren Garten gekommen
ist.
Der Wind und das sonnige Wetter trocknen schnell Stefans nasse Kleider. Er
zieht seine Hose und das T-Shirt wieder an. Stefan hat nun genug erlebt. Er
geht deshalb zurück zu dem Baum, von dem die Äste so tief herabhängen.
Schnell klettert er unter das dichte Laub, damit ihn keiner sehen kann.
Dann ist er wieder im Garten des schönen Hauses, in dem seine Eltern wohnen.
Er sagt aber niemandem von seinem Sturz in den Fischteich. Bestimmt hätte
seine Mami dann mit ihm geschimpft. Weil er nicht gesagt hatte, dass er zu
anderen Leuten in den Garten geht. Deshalb hält er sein Geheimnis fest
verschlossen.
Manchmal aber, wenn Stefan etwas Neues und Tolles erleben will, da kriecht
er heimlich und vorsichtig unter die dichten Äste der großen Sträucher. Dann
ist Stefan ein Indianer oder ein Räuberhauptmann und noch vieles andere
mehr. Und er kämpft unter den Bäumen. Keiner von den Erwachsenen kann
dorthin. Die sind nämlich alle viel zu groß und kommen nicht in seine Höhle.
Nur Stefan kann dahin kriechen, auch wenn seine Hosen dabei schmutzig
werden. Die werden dann in die Waschmaschine gesteckt und sind sofort wieder
sauber.