Wegkreuzungen
Von Andrea Schmid
Als Karl zum Fenster hinaus schaute, konnte er nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden. Sein Blick ruhte auf dem Alten Turm aus dem frühen 14. Jahrhundert. In der späten Nachmittagssonne strahlte das denkmalgeschützte Bauwerk eine besondere Ruhe aus.
Zur gleichen Zeit saß Sheryll im ICE von Köln nach Frankfurt. Seit der Fertigstellung der neuen Schnelltrasse beträgt die Fahrtzeit nur noch 77 Minuten. Aber sie achtete nicht auf die Geschwindigkeit. Ihre Gedanken kreisten um die Fertigstellung des Projekts. Auch sie konnte nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden.
Karl wusste, dass er diesen Ausblick vermissen würde. Dieser Turm war für
ihn immer der Inbegriff von Heimat gewesen. Seit er sich erinnern konnte,
war immer der Turm der Mittelpunkt aller wichtigen Geschehnisse gewesen.
Hier hatte er sich den Arm gebrochen, als er als kleiner Junge von der
Spielplatzschaukel gefallen war. Und auch seinen ersten Kuss hatte er im
Schatten des Alten Turms bekommen. Doch trotz all dieser Erinnerungen hatte
er den festen Entschluss gefasst, Dudweiler und seinem Alten Turm den Rücken
zu kehren.
In den letzten Jahren war in ihm die Sehnsucht erwacht, mehr aus
seinem Leben zu machen. Er wollte nicht in der selben Stadt sterben in der
er geboren war ohne je etwas von der Welt gesehen zu haben. Natürlich hatte
er mit seinen knapp 29 Jahren noch etwas Zeit aber er hatte sich
vorgenommen, etwas Besonderes zu erleben, bevor er 30 war. Und so stand er
doch langsam unter Zeitdruck. Er genoss noch einen letzten Moment den
Anblick des alten Gebäudes und machte sich dann wieder an die Arbeit. Er musste
noch einige Sachen packen bevor er sich auf den Weg zum Frankfurter
Flughafen machte. Immerhin hatte er noch eine 2-stündige Fahrt vor sich und
um 22:00 Uhr ging sein Flugzeug. Er durfte also keine Zeit mehr verlieren.
Sheryll spürte, wie die Unruhe in ihr anstieg. Sie hatte so lange auf diesen
Tag hin gearbeitet. In wenigen Stunden würde sie im Flugzeug nach Singapore
sitzen. Seit 2 Jahren arbeitete sie nun schon an diesem Projekt. Zwei endlos
scheinende Jahre in denen das Projekt so oft kurz davor stand, sich in
Nichts aufzulösen. Nur ein Wort ihres Chefs hätte genügt und das Projekt wäre
gestorben. Doch das war es nicht und das war mitunter auch ihr Verdienst
gewesen. Jetzt musste sie nur noch nach Singapore fliegen und ihre Kunden
dazu bringen den Vertrag zu unterschreiben. Aber das war kein Problem mehr.
Die Klauseln waren so oft überarbeitet, durchgesprochen und wieder geändert
worden, dass es nicht einmal ein Satzzeichen in diesem Vertrag gab, das ihr
Kunde nicht kannte.
Während die grünen Hügel und blauen Seen an den Fenstern
des ICE vorbei rauschten, malte sie sich ihre berufliche Zukunft in den
buntesten Farben aus. Seit sie nach ihrem Marketing Studium beendet hatte,
hatte sie zielstrebig auf ein solches Projekt hin gearbeitet. Und, weiß
Gott, sie hatte sehr hart dafür gearbeitet. Über ein Jahr lang hatte sie
mehr Zeit im Büro verbracht als an sonst einem Ort. Natürlich hatte ihr
Privatleben sehr darunter gelitten und es hatte Momente gegeben, an denen
sie sich gefragt hatte, ob die Arbeit solche Opfer wert war. Andere Frauen
in ihrem Alter waren noch nicht mal mit ihrem Studium fertig und amüsierten
sich jeden Abend auf Partys. Doch seit sie denken konnte, steckte dieser
Ergeiz in ihr. Dieser Ergeiz trieb sie dann immer weiter zu machen bis an
ihre Grenzen. Sie wollte Allen und auch sich selbst beweisen, dass sie etwas
ganz Besonderes war. Und wenn dieses Projekt abgeschlossen war, hatte sie es
schwarz auf weiß. Sie schreckte hoch als die Stahlräder des ICE zu kreischen
anfingen und der Zug stark abbremste. Sie war so in Gedanken vertieft
gewesen, dass sie nicht einmal die Durchsage gehört hatte. Langsam fuhr
der ICE in den Bahnhof des Frankfurter Flughafen ein. Sie schnappte sich
ihren kleinen Koffer und zwängte sich durch den engen Gang des Abteils und
machte sich auf den Weg zu den Check-in Schaltern.
Während Sheryll bereits auf dem Flughafen angekommen war, saß Karl noch im
Taxi.
Doch es stellte sich schnell heraus, dass Sheryll mal wieder zu viel Zeit
eingeplant hatte. Denn als sie am Check-in Schalter ankam, teilte man ihr
mit, dass sie erst in ca. 1 Stunde einchecken konnte, da die Computer den
Flug noch nicht zum Check-in freigegeben hatten. "Super", dachte Sheryll.
Doch es machte ihr nicht wirklich was aus, da sie die Atmosphäre auf
Flughäfen sehr mochte. Die Geschäftigkeit und der Geruch von fernen Ländern
übten auf sie einen besonderen Reiz aus. Sie setze sich in eine kleines Cafe
in der Nähe ihres Check-in Schalters, trank einen Cappuccino und beobachtete
die Menschen, die an ihr vorbei gingen.
Nach 2 Stunden war Karl endlich am Frankfurter Flughafen abgekommen. Er
stieg aus, beglich die unverschämt hohe Taxirechnung und ging in die
Check-in Halle. Egal um welche Zeit man an diesem Flughafen war, es war
irgendwie immer die Hölle los. Eltern mit ihren nörgelnden Kindern,
Geschäftsleute, die es immer eilig hatten und dann so Leute wie er. Da stand
er nun mit seinem riesigen Rucksack und brauchte erst einen Moment um sich
zu orientieren. Er schaute noch einmal auf sein Flugticket und entdeckte
dann auf einer großen Anzeigetafel, dass der Schalter "B16" zum Check-in
freigegeben war.
Na also, das Timing passte ja genau. Am Schalter angekommen hatte sich schon
eine ganz ansehnliche Schlange gebildet. Als er nun so in der Reihe stand
und wartete bis er dran war, kamen ihm Zweifel daran, ob das was er vorhatte
wirklich ein so guter Plan gewesen war. Natürlich, wenn er das jetzt nicht
tat, dann würde er es nie machen. Außerdem war er ungebunden und hatte auch
genügend Geld gespart, um sich eine solche Verrücktheit leisten zu können.
Ja, "verrückt", das hatten ihn seine Freunde genannt. Sie waren nicht so
begeistert von seiner Idee. Vor allem weil er beschlossen hatte, sich
alleine in dieses Abenteuer zu stürzen. Alle hatten versucht ihn davon zu
überzeugen, dass es doch besser wäre, so einen Trip wenigstens zu zweit zu
machen. Doch er ließ sich nicht davon abbringen. Solange er denken konnte,
wollte er nach Australien. Ein Mal Khangurus sehen und die endlose leeren
Weiten des Outback's zu erleben. Er wusste, dass die 4 Monate auch einsam
werden würden. Aber trotz alledem war das genau das was er wollte. Er hatte
sich 4 Monate von seinem Chef freistellen lassen um sich diesen Traum zu
erfüllen. Und da stand er nun in der Schlange und in wenigen Stunden würde
er im Flugzeug zuerst nach Singapore und dann nach Sidney sitzen. Es war
unglaublich.
Sheryll sah, wie sich langsam eine Schlange an ihrem Check-in Schalter
bildete. Also trank sie ihren Cappuccino aus, beglich die Rechnung und
gesellte sich zu den fremden Menschen in die Schlange. Es ging nicht
besonders schnell voran. Sie wollte das schnellstmöglich hinter sich bringen
um sich endlich wieder gemütlich hin zu setzen und später vielleicht noch
ein bisschen in den Buchläden zu stöbern, die es am Frankfurter Flughafen
reihenweise gab. Doch irgendwie schien die Schlange nicht kürzer zu werden.
Die Menschen um sie herum wurden langsam unruhig. Vor allem die zwei kleinen
Kinder mit ihren Eltern wurden quengelig. Man sah den Eltern an, dass sie
genervt waren und ab und zu löste sich die Mutter zusammen mit den kleinen
Kindern aus der Reihe um einen kleinen Spaziergang durch die Halle zu
machen. Nach 30 Minuten stand Sheryll immer noch am gleichen Fleck und auch
sie wurde langsam unruhig.
"Warum dauert das denn so lange?", sagte Sheryll
laut zu sich selbst. Da drehte sich plötzlich der Typ vor ihr um. Er hatte
einen riesigen Rucksack bei sich. Bestimmt war er einer dieser
Rucksack-Touris, die Asien zu Fuß erkundeten.
"Ja, langsam wird es
unangenehm", sprach er sie an.
Etwas überrascht entgegnete sie: "Ich hoffe
es gibt keine Probleme. Das kann ich wirklich nicht brauchen."
Wenige Augenblicke später kam dann eine Durchsage: "Sehr geehrte Damen und Herren.
Aufgrund von technischen Probleme ist es derzeit leider nicht möglich für
den Flug SG 201 nach Singapore einzuchecken. Wir bitten Sie um etwas Geduld.
Vielen Dank für Ihr Verständnis."
"Ja, klasse!", stöhnte Sheryll.
Nach
einigen Minuten kam eine erneute Durchsage. "Sehr verehrte Damen und Herren.
Aufgrund von technischen Problemen, wird sich der Check-in für den Flug SG
201 voraussichtlich um 4 Stunden verzögern."
Sheryll krampfte sich der Magen
zusammen. Hatte sie da richtig gehört?! 4 Stunden!!! Die ersten Leute vor
ihr begannen sich aus der Schlange zu lösen und in Richtung Restaurants zu
bewegen. Darin sah Sheryll ihre Chance. Sie ging zu der Flugassistentin am
Schalter und fragte etwas genervt: "Hallo! Besteht denn irgend eine
Möglichkeit, dass die Verzögerung weniger als 4 Stunden beträgt?" Es war
eigentlich mehr ein Flehen als eine Frage.
Die Flugassistentin war sehr
freundlich und meinte nur: "Tut mir leid, aber das ist eher
unwahrscheinlich, da ein Computervirus das komplette System lahm gelegt hat
und das kann dauern."
"Aber ich habe einen wichtigen Termin in Singapore!
Gibt es denn keine Möglichkeit einen anderen Flug nach Singapore zu
bekommen?"
"Tut mir leid, aber das halte ich für sehr schwierig. Ich denke
es wäre besser, wenn sie sich darauf einstellen erst heute Nacht hier weg zu
kommen."
Sheryll drehte sich um. Das war zu viel für sie. Warum ausgerechnet
heute? Warum nur? Sie war schon so oft geflogen und es hatte immer alles
ganz gut geklappt und ausgerechnet heute, wo es um so viel ging, musste so
etwas passieren! Sie zog sich erst einmal auf die nächste Toilette zurück um
ihre Tränen der Verzweiflung freien Lauf zu lassen. Danach fühlte sie sich
besser und beschloss, ihren Kunden anzurufen um ihm Bescheid zu geben, dass
sie erst mindestens 4 Stunden später als geplant ankam. Natürlich konnte sie
wegen der Zeitverschiebung nur den Anrufbeantworter erreichen und hinterließ
eine kurze Nachricht, dass sie sich melden würde, sobald sie in Singapore
angekommen war. Tja, da saß sie nun auf dem Flughafen fest und konnte hier
auch nicht weg. Es würde sich nicht lohnen irgendwo hin zu gehen und
außerdem wollte sie die Hoffnung nicht aufgeben, dass es vielleicht doch
früher los ging als vorhergesagt.
Sheryll setzte sich auf einer der vielen
Sessel, die in der Check-in Halle rumstanden und holte ihr Buch heraus. Aus
dem Augenwinkel sah sie, wie sich jemand neben sie setzte. Sie drehte sich
kurz um und erkannte den Rucksack-Touri, der vor ihr am Schalter gestanden
hatte. "Oh, Hi!", sagte sie kurz angebunden und widmete sich wieder ihrem
Buch.
"Ich hoffe Sie verpassen keinen wichtigen Termin durch die
Verzögerung", meinte er nach einer Weile.
Es dauerte einige Sekunden, bis
ihr klar wurde, dass er mir ihr gesprochen hatte.
"Ja, schon. Aber daran
kann man nichts ändern", gab sie beinahe gleichgültig zurück. Ihre Wut und
Verzweiflung hatten sich gelegt und so fand sie sich einfach damit ab, die
nächsten Stunden hier rum zu hängen, bis sie endlich starten konnten.
"Tut
mir leid für Sie. Ich bin auf dem Weg in den Urlaub und deswegen kommt es
für mich auf ein paar Stunden nicht an."
Sheryll legte das Buch zur Seite,
da es offensichtlich war, dass er sich unterhalten wollte und im Moment war
ihr jeder Zeitvertreib recht.
"Wohin geht's denn? Bleiben Sie in Asien oder
geht es weiter?", führte Sheryll die Unterhaltung fort.
"Ich fliege nach
Sidney und von da geht es weiter landeinwärts", erzählte er sichtlich
aufgeregt.
"Hört sich gut an. Sidney ist eine schöne Stadt. Vor allem die
"Rocks" mag ich sehr."
"Kennen Sie sich gut in Sindey aus?", hakte er nach.
"Ich bin dort aufgewachsen."
"Sie sind Australierin?"
"Naja, nicht mehr.
Mein Vater ist Australier und meine Mutter ist Deutsche. Als ich 18 war habe
ich mich dann für die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden, da ich der
Meinung bin, dass man in Deutschland bessere Möglichkeiten angenehm zu
leben."
Sie wusste nicht, was in sie gefahren war, einem Wildfremden ihre
Lebensgeschichte zu erzählen. Als hätte er ihr Gedanken gelesen, streckte er
ihr seine Hand entgegen.
"Ich heiße übrigens Karl und bin Deutscher. Schon
immer gewesen.", schmunzelte er. Sheryll konnte sich ein Grinsen nicht
verkneifen und ergriff seine Hand.
"Ich heiße Sheryll und komme aus Köln".
"Freut mich!"
Karl machte einen sympathischen Eindruck. Karl versuchte die
Frau die neben ihm saß einzustufen. Sie war offensichtlich geschäftlich
unterwegs und ihr Auftreten war sehr professionell. Er fragte sich wie alt
sie wohl war. Nach ihrem Auftreten zu urteilen, musste sie ungefähr in
seinem Alter, sogar eher etwas älter sein. Doch ihre Augen wirkten irgendwie
sehr jung.
"Sollen wir uns in eines der Cafés setzen und etwas trinken? Ist
sicher gemütlicher und da wir noch einige Stunden hier verbringen werden,
sollten wir es uns so gemütlich wie möglich machen," schlug er vor.
Sheryll
nahm den Vorschlag dankend an. Sie schlenderten gemeinsam durch die Gänge
des Flughafens, bis sie zu einem ruhig gelegenen Bistro kamen.
"Hier?",
fragte er und deutete auf einen kleinen Tisch in einer Ecke.
Sie nickte und
machte es sich bequem. Wieder einmal zweifelte sie an sich selbst, da sie
sich dafür entschieden hatte, einen Hosenanzug anzuziehen. Warum begriff sie
immer noch nicht, dass bei einer Flugreise Jeans und ein Pullover viel
angenehmer waren. Aber irgendwie hatte sie das Bedürfnis, so professionell
wie möglich aufzutreten, selbst wenn das ihre Bequemlichkeit einschränkte.
Die Bedienung kam und nahm ihre Bestellung auf. Für eine recht lange Zeit
herrschte Schweigen, bis Karl das Wort ergriff: "Was treibt Sie nach
Singapore oder geht es für Sie auch noch weiter?"
"Sollen wir uns nicht
"duzen"? Ich habe so viel mit englisch sprachigen Leuten zu tun, dass ich
dieses förmliche "Sie" nicht gewohnt bin," fragte sie, bevor sie ihm
antwortete.
"Ja, gerne. Ist mir auch lieber! Also, was treibt dich nach
Asien?"
"Ich habe dort einen Termin mit einem Kunden, der einen Vertrag
unterschreiben soll. Der Kunde ist direkt in Singapore," erklärte sie.
"Hört
sich interessant an", meinte Karl und sie hatte das Gefühl einen ironischen
Unterton zu hören.
"Na ja, das Interessante lief schon alles im Vorfeld.
Jetzt geht es nur noch um die Unterschrift," ergänzte sie. Sheryll war etwas
verunsichert, da sie nicht wusste ob er sich wirklich dafür interessierte
oder einfach nur "Small-Talk" betrieb.
Deswegen schwieg sie ohne näher auf
die Details des Projekts einzugehen.
Nach einer Weile fragte er: "Bist du
öfters geschäftlich auf Reisen?"
"Ja, ab und zu. Aber es hält sich in
Grenzen. Vielleicht so 4 mal im Jahr."
"Wow, das hört sich ja toll an,"
meinte er bewundernd. "Ich bin bis jetzt eigentlich nie aus meinem Dorf raus
gekommen. Deswegen geh ich jetzt auch nach Australien, um endlich etwas zu
erleben und einen Teil von der großen weiten Welt zu sehen. Du hast bestimmt
schon viel gesehen"
"Wie man es nimmt. Ich war schon in vielen verschiedenen
Ländern aber habe nie wirklich etwas davon gehabt. Meistens blieb ich nur
wenige Tage im selben Land und dann ging es schon wieder weiter. Aber ich
genieße es auch. Wenn ich einige Monate zu Hause bin, werde ich unruhig und
bekomme Fernweh. Spätestens dann wird es Zeit mal wieder meine Sachen zu
packen und was Anderes zu sehen."
"Tja, da haben wir doch einiges gemeinsam.
Nur dass ich bis jetzt noch nicht so weit weg bekommen bin, sondern mich in
meinem Umkreis von 500 km bewegt habe."
"Das reicht doch schon," gab Sheryll
aufmunternd zurück. "Es kommt nicht auf die Entfernung an, die man zurück
legt, sondern darauf, dass man seinen Horizont erweitert."
"Wow, in dir
steckt ja eine Philosophin!", meinte Karl scherzhaft.
Und da saßen sie nun
die nächsten Stunden und unterhielten sich, als würden sie sich schon immer
kennen. Zwischen ihnen gab es diese Vertrautheit, die so selbstverständlich
war.
"Sehr geehrte Damen und Herren"; schallte es dann plötzlich durch die Halle.
"Wir freuen uns ihnen mitteilen zu können, dass der Check-in Terminal für
den Flug SG 201 nach Singapore bereit ist. Vielen Dank für Ihre Geduld und
wir wünschen Ihnen eine gute Reise." Sheryll blickte überrascht auf die Uhr.
Ja, es waren tatsächlich bereits 3,5 Stunden vergangen, ohne dass es ihr
bewusst gewesen war.
"Super, jetzt geht es los," sagte Karl und man konnte
wieder diese Begeisterung in seiner Stimme hören. Sheryll musste lächeln. Sie
mochte seine manchmal kindische Art obwohl er auf der anderen Seite doch so
bewundernswert aufgeklärte Meinungen besaß. Sie wunderte sich über sich
selbst, denn bis dahin hatte sie sich für Männer, die noch nie wirklich aus
ihrem Geburtsort heraus gekommen waren, nie sonderlich interessiert. Doch
Karl war irgendwie anders als die Männer, die sie sonst kennen gelernt
hatte.
"Ja, machen wir uns auf den Weg,", nickte Sheryll.
Auf dem Weg zum
Check-in Schalter fragte sie etwas unsicher: "Sollen wir zusammen
einchecken und nebeneinander sitzen?"
Karl schenkte ihr ein umwerfendes
Lächeln und meinte nur: "Ja, das würde mich freuen!"
Sheryll war
erleichtert, denn seltsamerweise wollte sie sich jetzt noch nicht von Karl
verabschieden.
Als sie nebeneinander im Flugzeug saßen und sie langsam in Richtung
Startbahn rollten, wurde Sheryll etwas nervös und Karl konnte das spüren.
"Hast du etwa Flugangst?", fragte er etwas überrascht.
"Na ja, nicht so ganz.
Ich mag nur den Start nicht so besonders. Wenn wir erst einmal die Reisehöhe
erreicht haben, dann geht es mir wieder gut", gab sie etwas beschämt zu.
Immerhin flog sie jedes Jahr Tausende von Meilen und da war es schon etwas
peinlich Flugangst zu haben.
Karl ergriff ihre Hand und etwas überrascht
stellte sie fest, dass zwar ihre Flugangst nachließ, sich aber stattdessen
ein aufregendes Kribbeln in ihrem Bauch bemerkbar machte. Mein Gott, wie
lange war es her, seit sie dieses Gefühl durch eine leichte kleine Berührung
bekomme hatte. Es schien Ewigkeiten her zu sein. Sie wusste nicht, ob sie
etwas zu Karl sagen sollte aber sie entschied sich dagegen.
Der Flug war der
kurzweiligste Flug, den Sheryll je erlebt hatte. Karl und sie schauten sich
die selben Filme an und lachten an den selben Stellen. Nachdem der Film zu
Ende war, klappten Sie die Armlehne zwischen sich hoch und sie schmiegte
sich an seine Schulter. Sie genoss seine Nähe sehr und auch Karl fühlte sich
bei Sheryll sehr wohl. Sheryll hatte ihn sehr positiv überrascht, denn bis
jetzt hatte er immer gedacht, dass so genannte Karrierefrauen eiskalt waren,
wenn es um Gefühle ging. Doch sie schien da ganz anders. Zwar hatte sie, wie
sie ihm erzählt hatte, im letzten Jahr nicht viel Zeit um sich auf Männer
einzulassen, doch er konnte spüren, wie sehr sie sich danach sehnte. Und er
war glücklich darüber, dass er ihr das geben konnte, was sie vermisst hatte.
Sie ergänzten sich so gut, dass es ihm schon unheimlich vorkam. Wie groß war
denn die Chance, dass man jemand auf dem Flughafen trifft, mit dem man fast
schon seelenverwandt war. Aber das war wohl das große Geheimnis solcher
Begegnungen oder vielleicht gab es doch so etwas wie Schicksal.
Er schaute
sie an, wie sie sich an ihn gekuschelt hatte und schlief und musste
plötzlich lächeln. Er spürte diese tiefe Zufriedenheit in sich, die er schon
seit Jahren nicht mehr gespürt hatte. Karl gab ihr einen sanften Kuss auf
die Stirn. Sheryll öffnete bei dieser Berührung die Augen. Sie hatte nicht
schlafen können. Dafür waren die wunderbaren Gefühle die sie spürten viel zu
aufregend. Sie drehte ihren Kopf und schaute ihn an. Unglaublich, was für
ein Glück sie hatte, ihn getroffen zu haben. Er war so wunderbar und sie
hatte das Bedürfnis ihn zu küssen. Nach wenigen Augenblicken beugte er sich
zu ihr und gab ihr einen unbeschreiblich sanften Kuss auf die Lippen. Sie
erwiderte seinen Kuss und vergaß alles was um sie herum geschah. Es gab nur
noch Karl und sie.
Als sie zum Landeanflug ansetzen spürte Sheryll eine tiefe Traurigkeit in
sich aufsteigen. Sie wollte nicht, dass dieser Flug zu Ende ging. Sie hatte
endlich das gefunden, nach dem sie sich so sehr gesehnt hatte.
In der Ankunftshalle auf dem Flughafen hielten sie sich ganz lange in den
Armen und beiden wollten nicht wahr haben, dass nun der Abschied gekommen
war. Dann löste Sheryll abrupt aus seiner Umarmung. Sie konnte es nicht
ertragen, den Abschied noch länger hinaus zu zögern.
"Tut mir leid, aber ich
muss jetzt los. Ich wünsche dir viel Spaß in Australien. Es wir sicher ein
tolles Erlebnis!", sagte sie hastig.
Ihr standen bereits die Tränen in den
Augen und sie wollte nicht, dass er es sah.
"Ja, das denke ich auch. Ich
wünschte, du könntest mit mir kommen. Wir hätten eine Menge Spaß
miteinander!", meinte Karl.
"Ich weiß aber das geht nicht! Aber ruf mich an,
sobald du gut in Sidney angekommen bist. Und pass auf dich auf!"
"Keine
Sorge, das werde ich. Ich wünsche dir viel Erfolg bei deinem Geschäft! Ich
ruf dich morgen an"
Er nahm sie noch ein Mal in den Arm und gab ihr einen
innigen Kuss. Und als sie ging, spürte sie diese unglaublich Mischung aus
Glück und Schmerz aber mit der Gewissheit, dass sich ihre Wege das nächste
Mal nicht durch Zufall kreuzen würden.