www.online-roman.de       www.ronald-henss-verlag.de
Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Als Karl zum Fenster hinaus schaute

Eine Kurzgeschichte von Kathrin Griesbach


Als Karl zum Fenster hinaus schaute, konnte er nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden. Sein Blick ruhte auf dem Alten Turm aus dem frühen 14. Jahrhundert. In der späten Nachmittagssonne strahlte das denkmalgeschützte Bauwerk eine besondere Ruhe aus.
Zur gleichen Zeit saß Sheryll im ICE von Köln nach Frankfurt. Seit der Fertigstellung der neuen Schnelltrasse beträgt die Fahrtzeit nur noch 77 Minuten. Aber sie achtete nicht auf die Geschwindigkeit. Ihre Gedanken kreisten um die Fertigstellung des Projekts. Auch sie konnte nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden.
Karl saß seit sieben Jahren im Gefängnis, Tag für Tag schaute er aus dem mit Gittern versehenem Fenster auf den Alten Turm, ließ sich immer neue Geschichten einfallen, um sich die vielen einsamen Stunden so angenehm wie möglich zu machen, manchmal wenn sie ihm besonders gut gefielen, schrieb er sie auf. Auch heute ruhte sein Blick auf dem Alten Turm, aber ihm fielen keine Geschichten ein. Er sah sich, in Gedanken, draußen vor der Mauer, die das Gefängnis umgibt, spazieren gehen! Für ihn war heute ein besonderer Tag, seit sieben Jahren hat er zum Ersten mal Ausgang.
Sheryll arbeitete seit 5 Jahren in einer großen Werbeagentur und hatte sich ihren Platz hart erkämpfen müssen. Sie war unerfahren und hatte das Vertrauen in Ihre Mitmenschen verloren als sie in Köln ankam. Ein Freund nahm sie auf, und stellte sie einigen Geschäftsfreunden vor. Zögerlich kam sie mit ihnen ins Gespräch, persönlichen Fragen wie, … "Aus welcher Branche Kommen Sie?" … "Sind Sie aus Köln?" ... usw. entzog sie sich. Sie wollte nicht über Vergangenes reden, sie war nach Köln gekommen um etwas Neues zu beginnen. Sie besann sich auf ihre Fähigkeiten als Graphik-Designer, lenkte die Gespräche in diese Richtung und bekam die Möglichkeit, sich in einer Werbeagentur vorzustellen! Mittlerweile ist sie die rechte Hand vom Chef und mit einem großen Projekt im Medienbereich beauftragt. In Frankfurt werden die Werbeaufnahmen dafür stattfinden.
Karl wird von einem Bediensteten aus seiner Zelle abgeholt und zur Gefängnisleitung gebracht, er bekommt seine Ausgangspapiere und ihm wird noch einmal sehr eindringlich erklärt, wann er sich wieder im Gefängnis melden muss.
Karl steht zum ersten Mal, seit sieben Jahren auf der anderen Seite der Gefängnismauern, er ist aufgeregt und obwohl er genau weiß wo er hin will, kann er nicht gehen! Seine Gedanken kreisen nur noch um das "wieso" Wieso bin ich hier…? Ihm fällt alles wieder ein, alles was er getan hat, er hatte es verdrängt, er hatte schon lange nicht mehr darüber nachgedacht!
Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er zog ein Tuch aus der Tasche wischte sein Gesicht trocken und läuft los. Er hatte nur 12 Stunden. Ein Taxi wartet schon, um ihn zum Bahnhof zu bringen, in einer viertel Stunde fährt sein Zug nach Köln, wo er sich, bevor er festgenommen wurde, bei einem Freund versteckte.
Karl sieht aus dem fahrenden Wagen, Wiesen und Wälder ziehen an ihm vorbei, er sieht sie nicht, obwohl er sich so darauf gefreut hat! Seine Gedanken versinken in der Vergangenheit, zum ersten Mal seit vielen Jahren steht sie wieder vor ihm, die einzige Person die er je geliebt, doch nie geachtet hat. Seine Brust schmerzt, Tränen laufen ihm übers Gesicht, er hatte alles verdängt, er hatte die Liebe, das starke Gefühl für sie, sich nie eingestehen können!
"Die Fahrkarte bitte junge Frau." Sheryll schaute den Herrn in Uniform ganz erschrocken an, er musste sie schon einmal angesprochen haben, denn seine Aufforderung kam mit etwas Nachdruck. Verstört kramt sie in ihrer Tasche und gibt ihm das Gewünschte. Er reicht ihr die Fahrkarte mit einem Lächeln zurück, klopft ihr nett auf die Schulter mit der Bemerkung: "Hoffentlich ist es ein schöner Traum." Sie blickt verlegen auf ihre Tasche, nickt etwas mit dem Kopf, bedankt sich und schaut wieder zum Fenster hinaus.
"… na und, haben Sie es hinter sich", fragt der Taxifahrer, Karl!
"Nein, ich muss wieder zurück,… heute Abend!"
"Aha, … und wo geht es jetzt hin?"
"… nach Köln!"
"Wohnen Sie da?"
"Nein,… ich bin da geboren, hab da Familie und noch ein paar Freunde!"
"… sieben zwanzig, bekomme ich von Ihnen!"
Karl hatte gar nicht bemerkt, dass sie schon auf dem Bahnhofsvorplatz waren.
"… acht,… stimmt so!"
"… na dann viel Spaß, und machen Sie keine Dummheiten!" Der Taxifahrer grinste ihn spöttisch an.
Früher hätte Karl auf diese Aussage mit der Faust geantwortet, doch jetzt nimmt er seine Tasche, grinst zurück und läuft langsam in das Bahnhofsgebäude. Sein Zug fährt in zwanzig Minuten von Gleis eins, genügend Zeit um sich noch eine Tageszeitung zu besorgen und einen Cafe zu Trinken.
Sheryll schaut auf die Uhr: "Eine viertel Stunde noch bis Frankfurt, da könnte ich mir noch ein paar Notizen machen!"
Sie holt Block und Stift aus der Tasche, dabei durchfährt sie ein seltsames Gefühl, sie schlägt den Block auf und schaut auf das weiße Papier, …nichts…alle Gedanken die sie sich über das Projekt gemacht hat, sind verschwunden, ihr Kopf ist total leer, ihr Bauch spielt verrückt, die Hände zittern und sind feucht. Sie kann sich nicht erklären was auf einmal mit ihr los ist. Sie steht auf und will zur Toilette! Der nette Herr in Uniform stand auf einmal vor ihr.
"Ist Ihnen nicht gut?"… Sie sehen so blass aus!" …kann ich Ihnen Helfen junge Frau?"
Er hatte es kaum ausgesprochen, da brach Sheryll zusammen.
Ein anderer Fahrgast trat in diesem Moment auf den Gang und konnte Sheryll gerade noch auffangen, bevor sie mit dem Kopf aufschlug. Der Schaffner erschrak so, dass er für Sekunden nicht begriff was passiert war. Der Fahrgast schrie ihn an "… hohlen Sie bitte Wasser, schnell und rufen Sie durch, ob sich zufällig ein Arzt im Zug befindet."
Sheryll war bewusstlos, ihr Puls war kaum zu spüren.
Der Fahrgast legte sie auf den Boden, schiebt ihr seine Jacke unter den Kopf holt seine Reisetasche und hebt ihre Beine darauf. Er versucht, Sie mit kleine Schlägen ins Gesicht wieder zu Bewusstsein zu bringen! Es vergehen einige Minuten, bis der Schaffner mit Wasser und einem älteren Herrn zurückkommt.
Der Herr schiebt den Fahrgast zur Seite und beugt sich über Sheryll "Gehen Sie bitte ein Stück zurück, ….wie lange ist sie schon in diesem Zustand?", fragte er!
"… etwa 5 Minuten!", sagt der Fahrgast, als er einen Schritt zurück tritt.
Er misst den Puls und spricht Sheryll an. Der Schaffner reicht dem älteren Herrn, der sich als Arzt ausgewiesen hat, in einem Becher das Wasser.
Fahrgäste treten immer wieder neugierig auf den Gang, um zu sehen was passiert ist, der Schaffner geht höflich auf sie zu und bittet sie wieder Platz zu nehmen, "… es ist alles in Ordnung!"
Sheryll spürt den Becher an ihren Lippen und hört eine Stimme, die sie immer wieder fragt: "…hören Sie mich junge Frau, können Sie mich verstehen?"
Ganz langsam kommt sie wieder zu sich, blinzelt mit den Augen und versucht zu sprechen "… da sind Sie ja wieder", sagt der Arzt und streichelt ihr Gesicht.
"… kommen Sie", sprach er mit einer leichten Drehung zum Fahrgast, der immer noch hinter ihm stand, "… wir bringen Sie erst einmal in ein Abteil."
Karl steht auf dem Bahnsteig und beobachtet das rege Treiben der Reisenden. Züge kommen an, hier und da fallen sich die Leute vor Freude in die Armem, andere haben es eilig vom Bahnsteig zu kommen. Sie drängen, schimpfen und schieben.
Auf der anderen Seite des Bahnsteiges ertönt aus dem Lautsprecher eine Frauenstimme: "… Achtung, auf Gleis eins hat einfahrt, der ICE aus Köln …"
Karl hört nicht weiter auf die Lautsprecherdurchsage, für ihn ist es nur wichtig, dass der Zug pünktlich wieder zurück nach Köln fährt, er hat nur zwölf Stunden, dann muss er zurück ins Gefängnis.
Am Anfang des Bahnsteiges sieht Karl zwei Männer vom Roten Kreuz mit einer Trage auf ihn zu kommen, auch sie warten auf den ICE aus Köln.
"… Der Schaffner wird jetzt Ihr Gepäck hierher hohlen, Sie werden in Frankfurt erst einmal in eine Klinik gebracht, ich werde Sie begleiten, wir haben schon alles Nötige veranlasst", sagt der Arzt zu Sheryll. Sie wollte widersprechen und stammelte ein paar Worte; " … ich muss, … ich habe einen Termin, … ich kann nicht"!
"… Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, es wird sich alles klären lassen, wichtig ist jetzt, dass Sie richtig untersucht werden!"
Der Schaffner kommt mit Sheryll´s Sachen, "… Ihr Handy klingelt schon die ganze Zeit!" Sheryll sieht auf das Display und erkennt die Nummer der Agentur aus Köln.
"… bitte melden Sie sich und erklären…, ist schon gut. Ich werde mit Ihnen reden und Sie Informieren, dass Sie in eine Klinik gebracht werden."
Langsam fährt der ICE auf Gleis eins ein, die beiden Helfer vom Krankentransport stehen direkt neben Karl und flüstern, er versteht nur, dass es einer Frau im Zug nicht gut geht. In diesem Moment ertönt wieder die Frauenstimme aus dem Lautsprecher… "Achtung…Achtung, auf Gleis eins ist eingefahren der ICE aus Köln. die Weiterfahrt nach Köln verzögert sich um ca. 5 Minuten, ich wiederhole…!"
Karl hörte nicht mehr auf die Durchsage, genau vor ihm hält der Zug, die Tür geht auf und die beiden Helfer gehen direkt auf den Arzt zu, der im Gang steht.
"…wo ist die Patientin?" "...kommen Sie, sie ist hier im Abteil!"
Einige Reisende versammeln sich neugierig vor der Tür, der Schaffner versucht sie zurück zu drängen, der Arzt kommt heraus und bittet noch einmal, Platz zu machen.
Karl steht direkt neben der Tür als die Helfer mit Sheryll auf der Trage aus dem Zug kommen. Er sieht genau in ihr Gesicht. Fassungslos griff er nach dem Arm eines Helfers. "…halt,… bitte,… bleiben Sie stehen, ich kenne diese Frau!"
Sheryll erkennt diese Stimme, sie starrt ihn ebenso fassungslos an. Tränen laufen ihr übers Gesicht und sie weiß plötzlich genau was mit ihr los ist!
Er war ihre Liebe, er, der mit Menschen gespielt, sie belogen, betrogen, geschlagen und in den Ruin getrieben hat, er, der ihr die Welt gezeigt, sie ab und zu auf Händen getragen, in ihrem Schoß gelegen und geweint hat! Er steht nach so vielen Jahren vor ihr.
"… so trifft man sich wieder", spricht Sheryll mit leiser gequälter Stimme! Karl greift nach ihrer Hand. "…ich werde dich in die Klinik begleiten!



»»» Kurzgeschichten: Humor, Satire, Persiflage, Glosse ... «««
»»» Kurzgeschichten: Überblick, Gesamtverzeichnis «««
»»» Kurzgeschichtenund Gedichte «««
»»» HOME PAGE «««

Blogs mit lustigen Gedichten
»»» Kurzgeschichten «««
»»» Dudweiler «««
»»» Halde Lydia «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Frühlingsgedichte «««
»»» Frühlingsgedichte «««
»»» Frühlingsgedichte «««
»»» Herbstgedichte «««
»»» Wintergedichte «««
»»» HOME PAGE «««