Wegkreuzung
Eine Kurzgeschichte von Jenny Frey
Als Karl zum Fenster hinaus schaute, konnte er nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden. Sein Blick ruhte auf dem Alten Turm aus dem frühen 14. Jahrhundert. In der späten Nachmittagssonne strahlte das denkmalgeschützte Bauwerk eine besondere Ruhe aus.
Zur gleichen Zeit saß Sheryll im ICE von Köln nach Frankfurt. Seit der Fertigstellung der neuen Schnelltrasse beträgt die Fahrtzeit nur noch 77 Minuten. Aber sie achtete nicht auf die Geschwindigkeit. Ihre Gedanken kreisten um die Fertigstellung des Projekts. Auch sie konnte nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden.
Karl bemerkte, dass sich die ersten Bäume zu verfärben begannen. Es ist noch viel zu früh dafür, dachte Karl. Aber es ließ sich nicht leugnen: der Herbst kam. "Schön hast du es hier", hatte seine Tochter gesagt, als sie mit ihm das Zimmer besichtigt hatte, "und was für eine atemberaubende Aussicht du hast." Karl hatte nichts erwidert.
Sheryll spürte, wie Nervosität sich über sie hermachte. Je näher sie Frankfurt kamen, desto schlimmer wurde es. Sie war froh, im Raucherabteil zu sitzen und steckte sich eine Zigarette an. Dann ging sie zum x-ten Mal ihre Unterlagen durch. Das Meeting war unglaublich wichtig für ihre Firma und sie durfte sich keinen Fehler erlauben. Eine knappe Stunde Fahrt noch bis Frankfurt.
Gedankenverloren sah Karl zu, wie eine kleine Familie in den Park einbog, der gleich neben dem alten Turm begann: Mutter, Vater, Tochter und Hund. Sie hatten sich an der Hand gehalten, aber jetzt befreite die Mutter den Hund, einen Cocker Spaniel, von der Leine. Der Hund sprang übermütig davon, die kleine Tochter voller Lebensfreude hinterher. Die Eltern schauten den beiden glücklich nach, umarmten sich dann liebvoll und schritten Arm in Arm gemächlich weiter.
Der ICE war voll besetzt. Sheryll verstand nicht, warum die Deutsche Bahn ständig jammerte und rote Zahlen schrieb. Ein paar Leute hatten keine Sitzplätze gefunden und lungerten auf dem Gang zwischen den Sitzen herum. Sheryll ärgerte sich, dass ihr Chef zu geizig gewesen war, ihr ein Ticket der ersten Klasse zu besorgen. Es war laut und stickig im Zug und sie hätte viel darum gegeben, das Fenster öffnen zu können. Sie konnte sich nicht konzentrieren. Es war zu eng und die Luft war schlecht. Noch eine dreiviertel
Stunde Fahrt lag vor ihr.
Karl war nicht neidisch auf das Glück der kleinen Familie, aber der Anblick weckte Erinnerungen an glückliche Zeiten. Er hatte ein erfülltes Leben gehabt und war dankbar dafür, was er hatte erfahren dürfen. Mit seiner Frau war er durch dick und dünn gegangen, sie hatten gute und natürlich auch schlechte Tage gehabt, hatten immer Seite an Seite gelebt, und im Nachhinein verblassten die schlechten Erinnerungen und die schönen blieben übrig. Sie hatten eine gute Ehe gehabt, seine Frau war fleißig, treu und anständig
gewesen und hatte es verstanden, ihr Haus zu einem Heim zu machen, in das man am Abend gerne heimkehrte.
Sheryll hatte öffentliche Verkehrsmittel schon immer gehasst, vor allem zu den Stoßzeiten. Sie fühlte sich hilflos und eingepfercht wie ein Vieh in einem engen Gitterstall. Sie hatte gehofft, der Sitz neben ihr würde frei bleiben. Ein älterer Mann hatte ihn, keine zwei Minuten nachdem sie Platz genommen hatte, besetzt. Er war korpulent und roch nach Schweiß, was es für Sheryll nicht einfacher machte. Hinter ihr saß eine Mutter mit einem Mädchen, das das größte Vergnügen daran hatte, sich an Sherylls Sitz hochzuziehen
oder seine Füße dagegen zu drücken. Kurz nach der Abfahrt in Köln hatte das Kind ihr einmal grinsend über die Schulter geschaut und Sheryll hatte ihr einen bösen Blick zugeworfen. Sie schaute auf die Uhr. Eine halbe Stunde noch.
Niemand hatte geglaubt, dass Karls Frau vor ihm gehen würde. Aber es war passiert. Sie hatte ein schlechtes Herz gehabt und hatte sich geweigert, Medikamente zu schlucken. Eines Morgens war er aufgewacht, und sie lag tot neben ihm. Karl sprach immer noch mit ihr, wenn er glaubte, alleine zu sein. Sie war eine wunderbare Ehefrau und fürsorgliche Mutter gewesen, und er hatte immer noch Schuldgefühle, dass er sie nicht öfters gelobt oder ihr gesagt hatte, wie sehr er sie liebte und brauchte. Das Leben ohne sie war
nichts mehr wert für ihn. Seit sie nicht mehr war, ließ er sich nur mehr treiben. Und wartete auf den Tod.
Sheryll packte ihre Unterlagen weg. Es hatte keinen Sinn mehr. Das Mädchen hinter ihr hatte das herabklappbare Tischchen entdeckt und es machte ihr die größte Freude, es hoch- und wieder herunter zu klappen. Es erschütterte jedes Mal Sherylls Sitz. Sie wandte sich um: "Entschuldigung", sagte sie spitz zur der Mutter, "könnten Sie Ihre Tochter nicht ein bisschen ruhig halten?" Der gelangweilte Gesichtsausdruck der jungen Frau hinter ihr verwandelte sich in offene Feindseligkeit. "Also
hören Sie, ich kann mein Kind doch nicht anbinden." Zu ihrer Tochter sagte sie halblaut: "Komm, Lena, setz dich hin, die Frau da vorne mag keine Kinder." Sheryll unterdrückte die Antwort "nur keine verzogenen Gören", schloss statt dessen die Augen, atmete tief durch und versuchte sich zu entspannen. 15 Minuten musste sie noch durchhalten.
Karl hatte gehofft, dass er genauso eines Tages einschlafen würde wie seine Frau. Er hatte darum gebetet, gehen zu dürfen. Aber offenbar stand ihm nur ein langsames Dahinsiechen bevor, ein körperlicher Verfall, ein Nachlassen der Kräfte. Er merkte, dass er abbaute. Körperlich und auch geistig. Aber er tat nichts dagegen, ließ sich nicht helfen. Bis auf seinen täglichen kleinen Spaziergang saß den ganzen Tag energie- und tatenlos da, starrte aus dem Fenster oder schaute fern. Das ging seit dem Tod seiner Frau
so, aber er hatte nicht die Kraft gefunden, etwas daran zu ändern. Das Haus, das er nach dem Wegzug der Kinder und dem Tod der Frau alleine bewohnt hatte, verkam zusehends. Die Kinder hatten erst eine Zugehfrau engagiert und "Essen auf Rädern" bestellt. Und sich bei jedem Besuch mit schlechtem Gewissen schnell wieder verdrückt.
Sherylls Sitznachbar war eingedöst, Kopf auf die Brust gesunken, und gab seltsame Geräusche von sich. "Entschuldigung", sagte Sheryll. Und dann noch einmal lauter "Entschuldigung", wobei sie ihn vorsichtig anstupste. "Könnten sie mich vorbei lassen?" Das Gefühl des Eingeengt-Seins wurde immer schlimmer, auch das tiefe Durchatmen half nicht mehr. Ihr Herz klopfte wild und sie fühlte sich schwindelig. Die Luft im Zug war rauchgeschwängert und zu stickig, um frei atmen zu können. Warum
hatte sie nicht das Nichtraucherabteil gewählt? Warum schaltete das Zugpersonal die Klimaanlage nicht ein? Der Herr sah sie benommen an. "Oh, Entschuldigung", murmelte er, während er sich mühsam und in vollendeter Langsamkeit aus dem Sitz schälte. "Mach, bitte mach schnell", betete Sheryll stumm. Sie konnte ihre aufsteigende Panik kaum mehr unter Kontrolle halten. Sie musste hier heraus. Kaum stand der Herr halbwegs auf dem Gang, drängte sie an ihm vorbei und eilte in Richtung Toilette.
Karl hatte es seinen Kindern nicht leicht gemacht. Er wusste selber, dass er ein mürrischer, alter Kauz war, der seine Marotten hatte und dem man nichts recht machen konnte. Aber es war trotzdem nicht richtig gewesen, dass sie ihn ins Altenheim gesteckt hatten. Gut, wenn er ehrlich sich selbst gegenüber war, musste er zugeben, dass es seine ureigene Idee gewesen war. Und er hatte es auch nicht schlecht hier. Das Seniorenzentrum am Park war eine gepflegte, wunderschöne Anlage mit geräumigen, schönen hellen Zimmern
und freundlichem Personal. Das Essen war auch gut. Aber als er den Vorschlag mit dem Heim gemacht hatte, hatte er insgeheim erhofft, dass seine Kinder dies rigoros ablehnen würden, ja, hatte den Hintergedanken gehabt, dass sie ihm den Vorschlag unterbreiten würden, bei ihnen zu wohnen, damit er nicht mehr alleine war.
Allein schaffte Sheryll es, ihre Panikattacke unter Kontrolle zu bekommen. Im Spiegel sah sie ihr Gesicht. Es schien nicht zu ihr zu gehören. Die Augen waren geweitet und blickten erschreckt wie die eines scheuen Waldtieres, das gestellt worden war. Außerdem hatte sie in dem künstlichen Neonlicht eine Gesichtsfarbe, die nicht einmal als blass, eher als gelb-grün durchgehen konnte. Krank jedenfalls. Sie ließ eiskaltes Wasser über ihre Handgelenke laufen. Dann trocknete sie die Hände ab, öffnete ihre Handtasche
und begann, ihr Gesicht zu pudern und etwas Rouge aufzutragen. Beim Schminken gelang es ihr, ihre Gelassenheit wiederzufinden. Sie versuchte zu analysieren, was eben mit ihr passiert war. Sie hatte eine regelrechte Panikattacke bekommen. Litt sie unter einer Art Klaustrophobie? Aber eigentlich hatte sie nicht vor engen geschlossen Räumen Angst, sondern vor Menschenansammlung an stickigen Orten. Die Anzeichen hatte sie schon oft erkannte - vielleicht rührte daher auch ihre Ablehnung von öffentlichen Verkehrsmitteln
- nur, dass es noch nie so schlimm gewesen war wie heute. Vielleicht sollte sie deswegen einen Therapeuten aufsuchen?
Keines der Kinder, weder seine drei Töchter, noch sein Sohn, hatte den Vorschlag gemacht, Karl bei sich zu Hause aufzunehmen. Alle hatten ihr eigenes Leben, teils mit Familie, in dem kein Platz für einen griesgrämigen alten Mann war. Früher, in seiner Jugend, war es selbstverständlich, dass man die Alten in der Familie leben und sterben ließ. Heute schob man sie ins Heim ab. "Es ist für uns alle das Beste", hatte seine Tochter gesagt. "Hier hast du es gut. Hier hast du immer Leute und Leben um
dich. Du wirst sehen, du findest im Handumdrehen ein paar nette Leute zum Skatspielen." Früher hatte er leidenschaftlich gerne Skat gespielt. Aber die Zeiten waren vorbei. "Die unternehmen sogar Ausflüge und organisieren Konzerte", hatte seine andere Tochter gesagt. Es war alles optimal. Nur, dass es ihm absolut egal war, was das Heim organisierte. Er würde nicht daran teilnehmen, er hatte kein Interesse daran. Das Einzige, woran er noch Interesse zeigte, war mitzuerleben, wie seine Kinder lebten,
wie seine Enkelkinder aufwuchsen.
Eine leise Stimme im Lautsprecher verkündete, dass sie in wenigen Minuten Frankfurt erreichen würden. Sheryll öffnete die Toilettentür, ging zu ihrem Platz, zog ihre Reisetasche aus der Ablage über den Sitzen und ignorierte den finsteren Blick der jungen Mutter und ihrer Tochter. Dann eilte sie in Richtung Ausgang, wo sich bereits eine ordentliche Menschentraube zusammenballte. Nervös wartete Sheryll mit den anderen und sagte immer wieder stumm zu sich selbst: "Durchhalten! Gleich bist du draußen. Durchhalten!
Gleich bist du draußen." Nach einer kleinen Ewigkeit hielt der Zug und nach einer weiteren Ewigkeit in der Schlange gelang es Sheryll endlich, sich nach draußen zu drängeln. Erleichtert atmete sie auf. Sie war in Freiheit.
Karl war sich bewusst, dass er nicht sehr beliebt war. Er sagte nie viel, auch nicht, wenn er direkt angesprochen wurde, war mürrisch und kurz angebunden. Seine Vergangenheit gehörte ihm allein und ging niemanden etwas an. Und die Zukunft war ihm egal. Die Gegenwart interessierte ihn nicht. Er lächelte nie. Im Grunde genommen war er schon tot. Manchmal hatte er überlegt, wie es wohl wäre, sich das Leben zu nehmen, aber dazu hatte er wiederum nicht genug Mumm. Die Ärzte hatten eine Altersdepression diagnostiziert
und Psychopharmaka verordnet, aber er wollte sich nicht helfen lassen und schluckte die Medikamente nicht.
Zögernd blickte Sheryll auf das Blatt mit ihren Zugverbindungen. Die Firma, mit denen sie diesen Termin hatte, lag nicht in Frankfurt, sondern 30 Zugminuten außerhalb. Sheryll hatte hier in Frankfurt fünf Minuten Aufenthalt. Dann hätte sie in die Regionalbahn umsteigen sollen. Aber Sheryll konnte nicht. Wie in Trance schlug sie die entgegengesetzte Richtung ein, weg von den Geleisen, weg von der wartenden Regionalbahn, und schlenderte scheinbar unbekümmert durch den Bahnhof. Sie setzte sich in ein Bistro und
bestellte einen Latte Macchiato. Sie konnte nicht. Sie hatte das Gefühl, eben erst einer großen Gefahr entronnen zu sein. Ihr war schwindelig gewesen und sie hatte Herzrasen bekommen und das Gefühl gehabt, gleich durchzudrehen. Aber sie hatte diesen stickigen Zug überlebt. Und sie würde sich heute in keinen Anschlusszug mehr setzen.
Karl war ein einsamer alter Mann. Daran konnten auch die Ärzte nichts ändern. Seine Kinder wechselten sich ab mit ihren Besuchen, so dass sonntags immer jemand da war. Sie blieben meistens zur Kaffeezeit und erzählten ihm aus ihren Leben. Seine Enkel sah er nie. Er saß meistens nur da, hörte zu, das Gesicht unbewegt, den Mund geschlossen. Manchmal glaubte er selber, er hätte verlernt zu reden. Er war nie ein Ausbund an Gesprächigkeit oder Geselligkeit gewesen, war immer ein ernster, stiller und nachdenklicher
Mensch gewesen, aber seit dem Tod seiner Frau schwieg er fast nur noch. Seine Kinder waren jedes Mal froh, wenn die Zeit gekommen war, zu gehen. Er sah es an ihren erleichterten Gesichtern. Sie hatten ihre Pflicht getan und ihr Gewissen beruhigt. Es waren gute Kinder gewesen. Aber sie waren zu Erwachsenen herangereift, die ihm fremd waren. Und die ihn jetzt wie ein Kind behandelten.
Sheryll war egal, was ihr Chef dazu sagen würde. Zugegeben, es war etwas seltsam, wenn jemand im Zug von Köln nach Frankfurt fuhr, um sich dort einen Mietwagen für die letzten Kilometer zu nehmen. Aber Sheryll wusste keine bessere Lösung, sie konnte und würde nicht mit der Regionalbahn fahren. Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, ein Taxi kommen zu lassen, aber das war ihr zu unflexibel. Und da sie keinesfalls vorhatte, am anderen Tag mit dem Zug nach Köln zurückzufahren, kam ein Mietwagen günstiger. Sie fand
ihre Ängste lächerlich, sah aber keine andere Möglichkeit. Vielleicht sollte sie den Mietwagen aus eigener Tasche bezahlen, dann würde ihr Chef nie davon erfahren. Sie nahm sich fest vor, bei ihrer Rückkehr nach Köln einen Psychotherapeuten aufzusuchen.
Karl trat vom Fenster zurück. Es war Zeit für seinen täglichen Spaziergang, dem einzigen Zugeständnis, das er an seine Gesundheit machte. Die letzten Monate war er zusehends wackliger und unsicherer geworden beim Gehen und nahm einen Stock zu Hilfe. Er kam nicht mehr so schnell voran wie früher, konnte auch keine großen Runden mehr drehen, aber soweit es das Wetter erlaubte, ging er fast jeden Tag vor die Türe. Außer sonntags. Direkt neben dem alten Turm begann ein öffentlicher Park, in dem sogar ein kleiner
Ententeich lag. Immer um die gleiche Zeit machte sich Karl auf dem Weg zum Teich, setzte sich auf eine Parkbank und sah eine Weile den Enten zu.
Sheryll hatte das kleinste verfügbare Auto genommen. Mit einer genauen Straßenkarte, einer detaillierten Wegbeschreibung und viel neuem Mut machte sie sich auf den Weg. Der Verkehr war grausam, aber grausamer war die Vorstellung, in der Regionalbahn unter vielen fremden Menschen eingesperrt zu sein. Autofahren hatte ihr schon immer Spaß gemacht und sie war eine routinierte und sichere, aber auch schneidige Autofahrerin. Sie hatte sich die Wegbeschreibung gut eingeprägt und kam gut und ohne sich zu verfahren durch
den dichten Verkehr der Innenstadt. Nach einem Blick auf die Uhr stellte sie fest, dass sie leider nicht sehr gut lag. Sie hatte ziemlichen Stop-and-go-Verkehr gehabt und eine Menge roter Ampeln. Mit der Bahn wäre sie vermutlich längst am Ziel gewesen. So gut es der Verkehr zuließ, drückte Sheryll aufs Gas und schaute, ob sich die verlorene Zeit wieder einholen ließ. Endlich kam sie aus dem dichtbesiedelten städtischen Gebiet heraus, wo der Verkehr nachließ, und holte aus dem kleinen Wagen das möglichste heraus.
Karl hatte sich eine leichte Jacke übergezogen, den Hut aufgesetzt und den Stock genommen und war mit dem Aufzug nach unten gefahren. Er war an ein paar Mitbewohnern vorbei gekommen, aber er hatte sie nicht gegrüßt. Er grüßte nie jemanden. Um zum Entenweiher zu gelangen, musste er ein Stück durch den Park gehen und eine Strasse überqueren, die den Park kreuzte. Diese Strasse war das einzig Negative am Gang zum Teich. Obwohl eigentlich Tempo 30 vorgeschrieben war, fuhren die Autos viel zu schnell. Die Stelle,
an der er queren musste, war sehr unübersichtlich, weil die Strasse dort eine Kurve machte und zudem Bäume und Sträucher den Fußweg verdeckten. Karl hatte beobachtet, wie schon einmal beinahe ein Kind von einem Auto überfahren worden war. Die Gemeinde sollte eigentlich Hinweisschilder aufstellen und den Fußweg sicherer machen. Aber es war nicht sein Problem. Seine Tage waren sowieso gezählt und es war ihm egal, ob hier einmal wirklich ein Unglück geschah.
Sheryll war fast am Ziel. Sie hatte kurz angehalten, um einen Blick auf die Straßenkarte werfen zu können. Das Meeting würde in zehn Minuten beginnen. Wenn sie sich beeilte, würde sie es vielleicht noch rechtzeitig schaffen. Sie fand eine Abkürzung durch einen Park, und gab noch einmal richtig Gas.
Zu einem verhängnisvollen Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang kam es am Dienstag Nachmittag auf der Fiernhofer Straße. Gegen 15.00 Uhr querte ein 81-jähriger Mann die Strasse auf Höhe des Parkgelände, als er von einem gelben Fiat Punto erfasst wurde. Zeugen berichteten, dass die Fahrerin des Wagens, eine 33-jährige, seit mehreren Jahren in Köln lebende Amerikanerin, mit deutlicher erhöhter Geschwindigkeit daherkam. Offenbar versuchte die Fahrerin einem Hund auszuweichen, der auf die Fahrbahn gesprungen war,
wobei es zu dem lebensgefährlichen Ausweichmanöver kam. Sie kam ins Schleudern, streifte den 81-Jährigen, der daraufhin zu Fall kam, und prallte gegen einen Baum. Sowohl die 31-Jährige als auch der 81-jährige Mann, Bewohner des angrenzenden Seniorenzentrums, erlagen noch am Unfallort ihren Verletzungen.