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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Der Tod als ständiger Begleiter

© Udo Quentmeier


Als Karl zum Fenster hinaus schaute, konnte er nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden. Sein Blick ruhte auf dem Alten Turm aus dem frühen 14. Jahrhundert. In der späten Nachmittagssonne strahlte das denkmalgeschützte Bauwerk eine besondere Ruhe aus.
Zur gleichen Zeit saß Sheryll im ICE von Köln nach Frankfurt. Seit der Fertigstellung der neuen Schnelltrasse beträgt die Fahrtzeit nur noch 77 Minuten. Aber sie achtete nicht auf die Geschwindigkeit. Ihre Gedanken kreisten um die Fertigstellung des Projekts. Auch sie konnte nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden.
Karl war ein gestandenes Mannsbild, mit grauem Haar und von mittlerem Alter. Er stand noch voll im Berufsleben und hatte bereits drei gescheiterte Ehen hinter sich, aus der sechs Kinder hervorgingen. Das jüngste seiner Kinder hatte gerade seinen 18. Geburtstag vollendet, als der tragische Unfall passierte. Den Anblick seines tödlich verunglückten Sohnes Sebastian wird er wohl nie vergessen. Drei Wochen lag nun schon der Motorradunfall von Sebastian zurück und immer mehr stellte er sich die Frage über Sinn und Zweck seines Lebens. In Gedanken an der Identifizierung seines Sohnes in der Pathologie Mannheim, konnte er stets seine Tränen nicht verbergen. Sie waren nicht nur Vater und Sohn, sondern hatten als einzige aus der großen Familie auch ein sehr inniges und freundschaftliches Verhältnis zueinander.
Sheryll war eine gestresste Mittvierzigerin. Ihr brünettes Haar hing ungepflegt als Pony nach hinten gekämmt herunter. Ihre hellgrünen Augen strahlten zur Zeit keine Freude aus. Das Projekt über die Sanierung einer alten Teefabrik oblag in ihrer Verantwortung. Ihr Arbeitgeber verlangte von ihr nicht nur die Planung und Ausführung der Sanierungsmaßnahmen, sondern verlangte auch zusätzlich ein Konzept für die Wirtschaftlichkeit dieser ehrwürdigen alten Teefabrik. Immer wieder rief sie ihre im Laptop gespeicherten Daten auf, um doch noch eventuell auftauchende Fehler zu beseitigen. Nach einer kurzen Zeitspanne setzte sich in den sich immer mehr füllende Abteil eine ältere Frau zu ihr hin.
Das Gesicht dieser alten Frau war von Falten zerklüftet, jedoch blickten ihr zwei hellblau leuchtende Augen entgegen. In den Augen spiegelte sich der Ausdruck von purer Lebensfreude wieder. Sheryll's Gedanke an ihrem Auftrag war wie weggeblasen. Nun mehr war ihre ganze Aufmerksamkeit auf diese alte Frau gerichtet. Beide Frauen sahen sich an. Aus einer Frage heraus kam die Unterhaltung mit der Frau zustande. Die Stimme der alten Frau klang klar und deutlich. Es machte Spaß ihr zuzuhören.
Zwischen den Gesprächen packte die Greisin eine Packung Kekse aus, als plötzlich die alte Frau anfing zu hyperventilieren. Von einer Sekunde zu anderen verschlechterte sich der Zustand der alten Frau zusehens.
Sheryll war geschockt und tat das einzig richtige; Sie öffnete der Frau den Mantel und die Bluse und fächerte mit einem Hut Frischluft in das Gesicht. Einen nebenan sitzenden Fahrgast forderte sie auf, umgehend den Schaffner mit diesem Vorfall in Kenntnis zu setzen. Der Schaffner eilte herbei und verständigte bei dem nächsten Halt den Rettungsnotdienst. Wenig später hielt der Zug am Bahnhof und der Rettungsdienst eilte in dem Waggon der erkrankten alten Frau. Ohne zu zögern half Sheryll den Sanitätern und begleitete die alte Frau bis zum wartenden Rettungswagen. Es ging nunmehr um Leben und Tod. Die Frau verlor ihr Bewusstsein. Noch bevor der Rettungsdienst weiterfahren konnte, stellte der Notarzt den Herzstillstand fest. Ihr Zug indes nahm nach diesem kurzen Zwischenfall die Fahrt wieder auf. Der Notarzt konnte beim Durchsuchen des Mantels der Verstorbenen die Ausweispapiere herausziehen. Sheryll vernahm hierbei das erste mal den Namen. Es war Eva Maria. Sie notierte sich die Daten. Schwer seelisch angeschlagen bot der Notarzt seine Hilfe an. Sheryll vernahm dieses Angebot unter einem Schockzustand und begab sich aus den Gemäuern des Bahnhofes. Es war ein kleiner, idyllisch wirkender Ort. Sie lief ca. 250 m ziellos geradeaus, als sie plötzlich vor einer alten Turmruine des 14. Jahrhunderts stand.
Karl hatte noch Tränen in den Augen. Er ging aus dem Zimmer seiner Wohnung und verließ das Haus. An der frischen Luft angekommen und den schönen alten Turm vor Augen, ging er zu der dort befindlichen Bank und setzte sich. Er lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen in seinem Gesicht. Es dauerte nicht lange, als er zügige Schritte auf ihn zukommen hörte. Er öffnete seine Augen und sah eine Frau.
Es war Sheryll. Sheryll sah kreidebleich aus und setzte sich neben Karl auf die Bank. Sie beachtete Karl zuerst nicht und fing einfach an zu weinen. Es brach nur so aus Strömen aus ihr heraus. Der Auftrag und dieser plötzliche Tod der Eva Maria waren einfach zuviel für sie. Karl wusste erst gar nicht wie er reagieren sollte. Er wühlte in seiner rechten Jackentasche nach einem Tempotaschentuch. Zog Eines hervor und gab es Sheryll zum Trocknen ihrer Tränen. Sie wandte sich ihm zu und brachte geradeso krächzend ein leises Danke hervor.
Er sah in ihren wunderschönen, verweinten hellgrünen Augen. Ohne sie zu kennen, legte er seinen rechten Arm um ihre Schulter und sagte mit sehr ruhiger Stimme, dass es wieder werden würde. Es herrschte für einen Moment totale Stille. In Karl schossen Gedanken durch den Kopf, wie er wohl dieser Frau helfen könnte. Bei der tröstenden Umarmung der Sheryll empfand er plötzlich auch Sympathie. Irgendwie schien es, als würden sich hier zwei wildfremde Menschen schon eine Ewigkeit kennen. Sheryll indes wurde ruhiger. Sie drehte ihren Kopf zu Karl und blickte auch in seinen Augen. Man konnte förmlich spüren, wie die Luft zu knistern begann. Ihre Ströme flossen in den beiden Körpern. Karl und Sheryll saßen bis zum Sonnenuntergang auf der Bank. Sheryll verspürte die herrschende Vertraulichkeit und erzählte Karl von den sich zuvor ereigneten Zwischenfall.



Eingereicht am 08. März 2006.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
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