Kein Tag wie jeder andere
© Danny J.
Als Karl zum Fenster hinaus schaute, konnte er nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden. Sein Blick ruhte auf dem Alten Turm aus dem frühen 14. Jahrhundert. In der späten Nachmittagssonne strahlte das denkmalgeschützte Bauwerk eine besondere Ruhe aus.
Zur gleichen Zeit saß Sheryll im ICE von Köln nach Frankfurt. Seit der Fertigstellung der neuen Schnelltrasse beträgt die Fahrtzeit nur noch 77 Minuten. Aber sie achtete nicht auf die Geschwindigkeit. Ihre Gedanken kreisten um die Fertigstellung des Projekts. Auch sie konnte nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden.
Plötzlich, völlig unvermutet hielt der Zug. Mit einem Ruck wurde sie auf die gegenüberliegenden Polster geschleudert. Sie brauchte einen kurzen Moment um die Situation zu erfassen. Irgendetwas war passiert. Sheryll streckte den Kopf aus dem Fenster. Hoffte, einen Blick erhaschen zu können. Was ging da vor sich? Vorne beim Zugführer. 'Verdammt', dachte sie.
'Ich kann nichts erkennen'. Wütend ließ sie das Fenster nach oben schnellen, packte kurz entschlossen ihren Mantel und lief durch den engen Gang in Richtung Führerhaus, vorbei an drängelnden Neugierigen. Endlich hatte sie es geschafft und konnte einen kurzen Blick auf die Schienen werfen. Etwas lag darauf. Sie ging näher ran. "Was ist das?", murmelte sie ungläubig. Zögernd stieg sie die Stufen hinunter. Unsicher schaute sie sich um. Alle Fenster waren geöffnet und Menschenköpfe reckten in neugieriger Erwartung ihre Hälse weit hinaus. Sie ging weiter in Richtung der Schienen. Dort stand bereits ein Mann. Als er Schritte hinter sich wahrnahm, drehte er sich abrupt um.
"Wow", entschlüpfte es ihr leise. "Ein Adonis mitten in dieser Einöde".
Augenblicklich musste sie lächeln. Und wenn sie das tat, war sie unwiderstehlich. "Hallo", sagte sie etwas verunsichert. Denn sie war sich nicht sicher, ob er ihre Bemerkung gehört hatte. "Wissen sie was hier passiert ist?". Sie konnte ihre Neugier nur schwer verstecken.
Der Unbekannte schaute sie freundlich an. "Keine Ahnung. Sie lag schon so da als ich hier ankam".
"Siiie", fragte Sherryl entsetzt. "Ja", antwortete er gleichgültig wobei er zur Seite trat und ihr den Blick frei gab. "Das, aber…, ogott…", stammelte Sheryll.
Völlig Entsetzt hielt sie sich die Hände vor den Mund. Auf den Schienen lag eine Frau. Eine gut aussehende Frau, etwa in ihrem Alter.
"Ist sie….?". "Ja sie ist", erwiderte der Unbekannte emotionslos, wobei er Sheryll noch nicht einmal ansah.
"Sie, sie sieht so friedlich aus", begann sie von Neuem. "Weiß man schon, ich meine, wie ist sie...."? "Keine Ahnung". Er klang etwas gelangweilt. "Vom Zug wurde sie jedenfalls nicht überrollt"!
'Merkwürdiger Humor', dachte sie. Sherryl glaubte in seiner Stimme einen leichten Anflug von Sarkasmus gehört zu habe und schaute zu ihm hinüber. Sein verstohlenes Grinsen war ihr keinesfalls entgangen. Unbehagen überkam sie. Zu allem Unglück begann es auch noch zu regnen und die Spurensicherung hatte es schwer, den Fundort abzusichern.
Sheryll stand da, wie gelähmt. Konnte sich weder rühren, noch sprechen. Sie wagte auch nicht, den Kopf zu drehen, denn der Unbekannte stand immer noch neben ihr. Sie hatte den Eindruck, er wäre ihr in den letzten Minuten näher gekommen. Plötzlich stand er hinter ihr. Ganz nah. Sie sah ihn nicht, konnte aber seinen Atem spüren. Ein Adrenalinschub jagte den nächsten. Ihr Instinkt sagte ihr, dass Gefahr drohte.
Unter diesem Einfluss nahm sie alles doppelt stark war. Jede Bewegung, jeden Laut, so auch dieses zarte Streicheln an ihrer rechten Hand.
Augenblicklich war sie wie elektrisiert. Erschrocken riss sie den Kopf herum und schaute in ein paar stahlblauer Augen. Das Herz pochte ihr bis zum Hals. Dann nahm sie einen Luftzug war, ein leichtes, sehr sanftes pusten ließ sie erschauern. 'Was macht der da'? Panik überkam sie.
Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen. Leise, wie aus weiter Ferne vernahm sie ein Raunen. Zunächst noch weit weg, kam es immer näher, rollte heran wie eine mächtige Flutwelle um sich dann mit voller Wucht über ihr zu entladen. Er war es! Hastig nahm er ihre Hand und zog sie mit sich. "Ihre Abteilnummer. Wie lautet sie?", zischte er fordernd. Sheryll war zwischenzeitlich zu einem willenlosen etwas mutiert. Sie antwortete, konnte es aber selbst nicht hören. Alles war so unwirklich.
'Was passiert mit mir? Will er mich umbringen?'. Deutlich spürte sie seine Hand an ihrem Rücken, auf ihrer Haut. Unsanft schob er sie nach vorne, stieß sie in ihr Abteil, warf sie grob auf die Sitze und schloss mit einem heftigen Ruck die Tür." Schreien Sie nicht", befahl er ihr. "Das wäre sinnlos".
Sheryll lag immer noch auf den Polstern als er sich über sie beugte um das Rollo herunterzulassen. Sie konnte kaum sehen, dafür aber waren ihre anderen Sinne in nie gekannter Weise geschärft.Sie roch seinen muffigen Atem. Ein Gemisch aus Zigarrenduft und Fäulnis. Fühlte seinen Körper, konnte seinen Schweiß fast schmecken. Angewidert drehte sie sich ab.Urplötzlich nahm sie etwas Kaltes an ihrem Hals war. Todesangst überkam sie als er ihr die Kehle zudrückte. Seine Hände waren eisig, fast wie bei einem Toten. Ihr Körper zitterte unkontrolliert. Dann, mit einem mal wurde sie ruhig. 'So ist es also wenn man stirbt', dachte sie.
Er ließ nicht von ihr ab, drückte mit der linken Hand immer noch ihre Kehle zu. Anscheinend hatte er nicht vor sie zu töten, zumindest nicht sofort. Er drückte nur soweit, dass ihr die Luft knapp wurde. Dann nahm er die Rechte und ließ sie langsam mit dem Zeigefinger über ihre Stirn, den Nasenrücken entlang über den Mund hinab auf ihren Busen gleiten. Sheryll war wie elektrisiert. Unerwartet schlug die Angst in Erregung über. Ihre Brustwarzen reckten sich vorwitziges nach oben. Ein Kribbeln überzog ihren gesamten Körper. Die blonden Härchen vibrierten. Was sie eben noch abgestoßen hatte, erregte sie nun zusehends.
Suchend tastete sie mit der Hand die Dunkelheit ab. Vorsichtig glitt sie über sein Hemd,öffnete es, streichelte seine behaarte Brust. Beider Erregung steigerte sich ins schier Unermessliche. Dann mit einem Ruck nahm er sich was er wollte.
Ohne Rücksicht auf sie, hart und emotionslos. Ebenso plötzlich wie er gekommen war verschwand er auch wieder. Ihr blieb nicht einmal mehr Zeit nach seinem Namen zu fragen.
Zwischenzeitlich hatte sich Karl in die Büsche geschlagen. Er stand im Unterholz und beobachtete die Beamten wie sie immer noch versuchten den Fundort zu sichern. Endlich hatte es der Leichenbestatter geschafft, mit dem Wagen nahe Genug an die Strecke heranzufahren. Als die Tote vorsichtig in die Zinkwanne gelegt wurde glitt ein Lächeln über sein Gesicht. Wenig später saß er wieder in seiner kleinen Dachwohnung und schaute aus dem Fenster. Er musste an Sheryll denken. 'Was war passiert? Warum hatte er das getan?' Eigentlich hatte er andere Pläne mit ihr gehabt. Vielleicht war es ihre Art. Sie hatte nicht gewinselt, nicht gebettelt wie die anderen. Nein, sie hatte es fertig gebracht aus jeder seiner Gesten etwas Pikantes zu machen, dem er sich nicht entziehen konnte.
Mit einem Ruck setzte sich der Zug wieder in Bewegung.
Sheryll war alleine im Abteil, hatte ihren Kopf an die Scheibe gedrückt. Ein verzücktes Lächeln schmückte ihr Gesicht. Sie war in Gedanken bei ihrem prickelten Erlebnis, hoffte, den namenlosen Ungekannten wieder zu treffen.
Ohne zu wissen, wie gnädig ihr das Schicksal heute gewesen ist.
Eingereicht am 22. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.
Wenn Sie einen Kommentar abgeben möchten,
benutzen Sie bitte unser
Diskussionsforum.
Unser Autor / unsere Autorin ist sicherlich
genau so gespannt auf Ihre Meinung wie wir und all die anderen Leser.