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Mamamon und Papamon
Eine Kurzgeschichte von Sandra Wilke
Sollten Sie als Mutter zweier Kinder glauben, Ihre Rangen im Griff zu haben, weil gerade alles so schön problemlos läuft, verfallen Sie bitte nicht gleich in Euphorie.
Es kann sich nur um die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm handeln.
Momentan naht in unserem Haushalt das Unwetter in Form diverser Kinderanimationsfilme.
Fernsehen ist bei uns kein Tabuthema und darf zeitlich auch schon mal die statistisch vorgegebene, pädagogisch vertretbare Schwelle überschreiten. Immer vorausgesetzt, Mama und Papa haben ein Auge auf das WAS und WANN.
Wie stolz war ich, als ich meinen heute fast sechsjährigen Sohn im Kleinkindalter an Serien wie den "Teletubbies" vorbeimannövriert habe.
Nicht, dass ich die vier quirligen Männchen grundsätzlich verteufelte, aber mindestens ein Tubbie (fragen Sie mich bloß nicht, welcher) hatte ein so unmögliches Sprachgebaren, dass ich die künftige Kommunikationsfähigkeit meines Kindes durchaus gefährdet sah. Doch Serien wie Pokemon und Digimon standen schon in den Startlöchern und warteten auf ihre große Stunde.
Genervt und die ewigen verbalen Kämpfe leid, speiste ich meinen dann bereits 4-Jährigen damit ab, dass solch verdrehten Monstern bei uns nicht Tür und Tor geöffnet werden. "Wenn du mal älter bist", war mein Standardsatz.
Kleine, bunte Sammelkarten, welche sich an strategisch günstigen Stellen im Haus wiederfinden, verlangen heute eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema.
Natürlich weiß mein Sohn durch Kindergarten und Nachbarschaft sowieso schon fast alles über Digimons. So weit reicht der elterliche Einfluss eben nicht.
Kommt ein Freund meines Kindes zu Besuch, werden eine handvoll Digikarten mit kindlichem Ernst und gleich einem Schatz hin und her geschoben. Abgeschirmt vor eventueller mütterlicher Einmischung wechseln sie unterm Maltisch im Kinderzimmer den Besitzer.
Geht es ums Fernsehen, quengelt mein Sohn nicht, nein, er liefert fundierte Argumente. "Du hast gesagt, wenn ich älter bin", wirft er mir vor und steht mit in die Hüfte gestemmten Händen vor mir und der Fernbedienung. Wie die Elefanten, denke ich, die vergessen angeblich auch nie etwas.
"Also, ich erkläre dir das mal", setzt der kleine Schlaukopf an. "Digimons sind liebe kleine Kuscheltiere, die sich verwandeln und dann gewaltige Zauberkräfte zum Toben und Ausflippen haben - das nennt man dann digitieren."
Klar weiß ich, was Digimons sind. Aber klein, lieb und kuschelig? Da muss ich irgendwas verpasst haben. Doch niemand, schon gar nicht mein Kind, soll mich für engstirnig halten.
Also sehen wir uns gemeinsam eine Folge an, die mein Sohn mit seinem Internawissen begeistert dokumentiert.
Mir schwirrt schon der Kopf von all den hektischen Bildern, Blitzen und unaussprechlichen Fantasienamen. Wie können sich Kinder das nur alles merken? Mir leuchtet ja ein, dass solche Serien den kindlichen Drang nach Abenteuer und Phantastischem befriedigen, aber meine persönliche Begeisterung hält sich in Grenzen.
"Weil du davon keine Ahnung hast", wiegelt mein Kind meine Einwände altklug ab.
Somit tönen nun manchmal Rufe nach Mamamon und Papamon durchs Haus. Unser Vogel wurde zum Sittichmon befördert und ich hoffe inständig, nicht unvorbereitet Zeuge oder Opfer seiner Verwandlung zu werden.
Angesichts der Lage, habe ich ein neues Ziel vor Augen. Meine zwei Lenze zählende Tochter muss vor dem Schlimmsten bewahrt werden.
Das gestaltet sich schwierig, da sie bereits als Schwestermon tituliert wird und die Wortspiele ihres Bruders begeistert aufsaugt wie ein Schwamm.
Also habe ich meine Augen und Ohren überall, um jeglichen Anflug von Metamorphose zu verhindern. Keinesfalls darf ihre kindliche Unschuld im Alter von zwei Jahren mit der Digiwelt in Berührung kommen.
"Mama", ruft sie gerade.
"Was denn, mein Schatz?"
"Dipsy sagt oh, oh", grinst sie mich an.
Ich erbleiche. Demoralisiert setze ich mich mit einer Tasse starken Kaffees in die Küche und erlaube mir, zu digitieren.