www.online-roman.de       www.ronald-henss-verlag.de
Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Pasta papale (Paule Breitenaichers Umgang mit einem mensagogischen Problem)

© Dieter Sedlmaier


Wie man's macht, man macht's falsch.
Einer der Hauptsätze der Thermodynamik. Mithin ein Naturgesetz. Vor allem ein menschlich-allzumenschliches. Auch bekannt unter "Murphy's Gesetz".
Man sieht's am Pastaessen: Pasta asciutta.
Also, "Pasta schutta" spricht man, und so sieht es ja auch aus: ein riesiger unzubewältigender Müllberg lau-glabbriger Nudelabfälle mitten im Teller, darüber rotgekochtes Soßenschlubber mit Grieben von Hackfleisch oder Schinken, Tomatenbröckel oder Scampi-Vongole-Kehrricht.
Das wäre nicht das Problem. Aber man hat das Ganze outdoors mafios-sizilianisch gewürzt und lässt es unverschämt verführerisch duften. Das reizt die Nasen- und Geschmackszellen, die daraufhin unverzüglich und beinahe mit Lichtgeschwindigkeit an die höher gelegenen Hirnzentren in Meldung gehen, solange bis der Hypothalamus davon Wind bekommt und mit allen Fingern auf die Tischplatte trommelt, um über das Großhirn Bescheid sagen zu lassen:
Junge, geh hin und iss!!
Soweit Routine. Man kennt das.
Man geht also hin, platziert sich vorschriftsmäßig vor dem Dufthaufen, legt sich die Serviette über die Schenkel und greift zum Bestecke, will sagen, zu den von freundlichen Händen vorab neben dem Teller eingedeckten Messer und Gabel.
So hat man es gelernt von den Alten: Bub, nimm das Messer in die rechte, die Gabel in die linke Hand, schneide sorgfältig in kleine Portionen, iss langsam, gib Acht, dass du dich nicht bekleckerst und stich dich nicht ins Maul! Benehmenlernen bei Tisch. "Mensagogik" hatte der Vater das genannt. Woher er dieses Wort hatte, weiß kein Mensch. Aber es war ihm Ernst damit.
Sei's denn.
Wie gesagt, alles kein Problem, hätten die selben, obenstehend mit "freundlich" bezeichneten EindeckHände nicht doch maliziöserweise in front of the Teller auch noch einen big spoon deponiert und befänden wir uns nicht gerade in einer vom Abteilungsleiter Dr. zu Limburger und seiner Gattin in einem mit vier MichelinSternen dekorierten Ristorante "Sicilia bellissima" einberufenen so genannten vornehmen Gesellschaft. Mit je sieben verschiedengeformten Kristallgläsern am Arbeitsplatz, einer sorgfältig, vom "Le Gourmet" prämiert, gefalteten Stoffserviette, candle light, Rosenblättern auf dem Spitzentischtuch undsoweiter und was das Schlimmste ist: mit zwei neben dir zur selben Schmach verurteilten Damen, eine zur Rechten und eine zur Linken. In weißer beziehungsweise zartlila eingefärbter Robe.
Ah ja, der Löffel auf der Tafel, da neben dem Tellerchen.
Der macht uns ganz offensichtlich Pein.
Unser Magen geht in geduckter Haltung und Regurgitationsbereitschaft (das Wort hat man aus einem der Bildungspornos im TV) an den Startblock. Kühler Schweiß befeuchtet Handflächen und Finger. Ebensolcher bricht aus den Poren von Stirnhaut und Rücken.
Waszumteufelnochmal hat es mit dem Löffel auf sich?
Klaro: man lässt das Messer liegen, schnappt sich den Löffel, häuft Nudeln und Soße darin auf und bekringelt die Spaghetti solange mit der Gabel bis man eine biss- und schluckfähige Portion zwischen die Beißerchen drücken kann. Das ist alles. OK! Kennt man ja aus den Kochsendungen im Fernsehen.
Also bitte! Ring frei für die erste Nudel!
"Haben Sie schon die Gattin von Herrn Dr Scherzleben aus dem Marketing kennen gelernt?" Die Frau in Weiß zur Rechten.
Menno, jetzt bloß keinen small-talk.
Konzentrier' dich beim Essen, Bub, sonst kriegst du Magenentzündung!
O-Ton Muttern vor zwanzig Jahren.
Also kurz:
"Nein, Frau...(verdammt, wie heißt die Schnepfe doch gleich wieder?)".
"Na dann Wohlsein, Herr Breitenaicher!"
Die Dame in Lilablassblau zur Linken.
Richtig, erst mal einen kräftigen Schluck vom Roten. Aaaah. Das beruhigt das vegetative Nervensystem, das soeben größte Gefahr lief, sich danebenzubenehmen.
"Ihr Wohl, Frau Leuthütten-Schnarrentaler!"
"Sagen Sie doch bitte - Sie als Junggeselle - finden Sie die jungen Dinger aus dem Vorzimmer vom Produktdesign eigentlich wirklich begehrenswert?" Die Dame zur Rechten.
"Mmmhmpf."
"Denken Sie nicht auch, dass man den 3. Oktober als Feiertag abschaffen sollte, Herr Breitenaicher?" Die Dame zur Linken.
"Mhmpf...Ups!"
Die Nudeln, der Löffel und ich.
Ein Karnevalsdreigestirn, denkt man. Weiß selber nicht, wie man gerade jetzt auf so etwas kommen kann.
Also im "Hammelwirt" drüben am Eck spielt sich das Ganze immer vollkommen anders ab: Man geht hinein, sucht sich ein Plätzchen aus, legt den Janker über die Rückenlehne, brüllt "Fred, n'Bier unne Pasta" hinter zur Theke und die Sache hat sich. Fred kommt angeschlurfelt, wischt mit dem Unterarm die Semmelbrösel vom Vorgänger aus dem Tisch, drückt die Kakaoflecken mit der Daumenkuppe platt und macht mit dem Gasfeuerzeug den Paraffinstumpen an, an dessen unterem Ende noch die Artikelbezeichnung "Haushaltskerze" vom ALDI klebt. Keine fünf Minuten später hat man sein Helles und die Spaghetti am Platz, schneidet sich die Angelegenheit mit Messer und Gabel kreuzläufig zurecht und: "nen guten, Paule!" - Mampf.
Aber hier!?
Der Löffel ist ja nun mittlerweile in die Nudel-Soßen-Mixe gewandert, das Gäbelchen tut sein "very best", versucht, eine ordentliche Portion aufzuhäufen und kringelt sich einen ab.
Geschafft!
Nun ist aber leidergottes, wohl evolutionsbedingt, das Maul des Menschen nicht zur Einfuhr von Nahrungsportionen größer gleich dreihundertfünfzig Gramm geschaffen. Andernfalls schaltet das Verdauungssystem in den Rückwärtsgang und gefährdet so in höchstem Maße die frisch gereinigten Abendkleider der Tischdamen als auch, im Zuge von Murphy's law, den eigenen Arbeitsplatz in der Firma. Also kippt man den Löffelinhalt wieder auf die Deponie und fängt, fast wie im richtigen Leben, erst mal klein an.
EinNudelMethode heißt jetzt die Parole und alsbald hat man ein einzelnes, akribisch geringeltes Nudelschwänzchen auf seinem Instrument, das mühelos zu Mund und Speiseröhre gebracht ad hoc seinen Weg durch die Verdauungswelt antreten kann.
Nun - es gibt da erste Trendmeldungen und Hochrechnungen - besteht ein Nudelgericht in einem VierMichelinSternenItaliener aus etwa zweiundfünfzig bis einhundertdreiundvierzig Einzelspaghetti. Wenn man für einen in der Sache Ungeübten pro Nudelverzehr eine Zeit von sagenwirmal eineinhalb Minuten veranschlagt (Fehlverzehrer sind bereits mit eingerechnet), so ergibt sich eine total meal time (TMT) von, die Trink- und smalltalk-Zeiten noch nicht mit berücksichtigt, ungefähr...
Aber lassen wir das!
Nachdenken,Bub! Entspannen hilft!
"OM. - Mein linker Arm ist gaaanz schwer, ich bin vollkommen ruhig. Stirn angenehm kühl. Es schluckt sich feucht und flutschig. Ich bin vollkommen ruhig verdammtnochmal. - OM." Gut, dass man beizeiten das KrisenManagementSeminar in der Firma besucht hat. Erinnere dich! suche in brenzligen Situationen einen Ausweg immer in Form von 3, in Worten "drei", Auswegoptionen, auch Möglichkeiten genannt!
Möglichkeit eins: den Teller mit beiden Händen demonstrativ in Richtung Tischmitte fahren, Besteck hinlegen und in die fragenden Gesichter der Nachbarinnen folgenden erschöpft klingenden Ausspruch tun:
"Wissen sie, ich leide an einer chronischen Refluxösophagitis und mache dieser Tage eine HelicobacterEradikationstherapie."
Wow!
Das klingt intellektuell und zudem plausibel, weil es ohnehin niemand versteht. (Gut, dass es das Gesundheitsforum in www.gesundheit-danke.de gibt.) Legt aber körperliche Gebrechen offen, was sich in unbestimmter Reichweite von der Frau vom Geschäftsführer langfristig gesehen nicht unbedingt als hilfreich herausstellen muss.
Möglichkeit zwei:
"Tut mir Leid, aber ohne Essiggurke krieg ich es nich runter."
Klingt doof und zugegebenermaßen unplausibel, weil es ohnehin jeder versteht. Bleibt nur noch...
Möglichkeit drei:
"Ich nehme (bitte nicht: "ich esse"!) die Pasta schutta immer a la Papa!"
Abruptes Schweigen.
Fragende Augenpaare vonallenseiten glotzen dich an.
Du lächelst nur hintergründig:
"Wie der Papst."
Übersetzt man bereitwillig und nicht ohne ein zynisches Grinsen in den Mundwinkeln.
Ja, Pasta papale!
Und man greift demonstrativ coram publico zu Messer und Gabel, schneidet sich die Spaghetti kreuzläufig, wie im "Hammel", zu einer Art NudelTomatenPestoBrei und schaufelt sich das Ganze in neuer Eigenrekordzeit mit dem immer hübsch vollgeladenen Gäbelchen in den Rachen.
Das klingt intellektuell, erscheint plausibel und ist einwandfrei, ist das kulinarische Procedere doch von der heiligen katholischen Kirche allerselbst abgesegnet.
"Eine Woche mit dem Heiligen Vater".
Und dass der Herr in Weiß immer schon seine Spaghetti mit Messer und Gabel zelebriert hätte.
So stand's zu lesen. In der "Igitte" auf dem Futon in Rosmaries Appartment. Sag mir nochmal einer was gegen die Regenbogenpresse.
Man hat es längst geahnt: das konnte nicht gut gehen.
Das ging nicht gut!
Schnepfe rechts kaut demonstrativ geräuschlos mit in unbeteiligte Fernen gerichteten Blick ihre wohlportionierte Nudelmantsche. Der Doppelnamen links hat seine nobel-lasziv in die Breite gezogenen Adressierungen an den zugegebenermaßen mensagogisch perfekt seine Spaghetti löffelnden Tischherrn zu ihrer Linken gerichtet.
Nun, die Damen hatten offensichtlich das Seminar "Wie gehe ich mit unliebsamen Zeitgenossen um" in der Firma besucht.
Man sitzt fortan isoliert, aussätzig, hastdusowasschonmalerlebt, komischer Kauz.
Suizidgefährdet.
Beim Aufbruchdefilee vorbei an den Gastgebern fragt einen Dr. zu Limburg am Ende der Veranstaltung dann väterlich, wenn auch mit betont ironischem Unterton, wie's denn gefallen habe, Herr Breitenaicher. Um auf die höfliche Antwort: danke, bestens, Herr Doktor, komme gerne mal wieder, zu erwidern: na, mein Lieber, die Pasta scheint ihnen ja wenigstens geschmeckt zu haben. Was im Klartext nix anderes heißen will als: pass auf, mein Junge, dich sehen wir hier garantiert nie mehr wieder.
Einszunull für Murphy.
Sei's denn.
Andernabends gehst du wieder einigermaßen ins Leben eingenordet in den "Hammelwirt", um die Angelegenheit endgültig zu vergessen.
Du öffnest die Türe, suchst dir in aller Gemütsruhe ein ruhig-abgeschiedenes Plätzchen, legst den Janker über die Rückenlehne und rufst fröhlich: 'n Helles und ne Pasta, Fred!
Fred kommt, wischt, drückt platt, zündet den Kerzenstummel an, bringt dir nach fünf Minuten Bier und Nudeln und...
Fred, wo bleibt denn der Löffel für die Pasta?
???
Sach mal, Fred, weißt du eigentlich, wie man Pasta richtig isst? Noch nie was von Mensagogik jehört?
Stühlerücken, Köpfe drehen sich in deine Richtung, Augenpaare glotzen dich an, als hättest Du soeben für Prinz Charles nen Camillatee bestellt.
Fred dreht sich um und geht zur Theke, mumelt nur leise und grammatikalisch fragwürdig vor sich hin: wie man's macht, du machst es falsch.
Er hat nie mehr ein freundliches Wort mit mir gewechselt.
Was hat er bloß??
Frag Murphy!
[zum Andenken an Thom]



Eingereicht am 17. Mai 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.


»»» Kurzgeschichten: Humor, Satire, Persiflage, Glosse ... «««
»»» Kurzgeschichten: Überblick, Gesamtverzeichnis «««
»»» HOME PAGE «««

Blogs mit lustigen Gedichten
»»» Lustige Gedichte «««
»»» Lustige Gedichte «««
»»» Lustige Gedichte «««
»»» Lustige Gedichte «««
»»» Lustige Gedichte «««
»»» Lustige Gedichte «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» HOME PAGE «««