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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Dia-Abend mit Röntgenbildern

© Norbert Michaelis


Die Luft schmiegt sich schüchtern an die Haut. Einen Erdbeer-Buttermilch-Kuchen und einen Kaffee bestellend schaue ich mir meine Sitznachbarn im neu eröffneten Restaurant Witzleben am Lietzenseepark an. Zur Linken ein Mann, der seinen Fettpanzer an der medizinisch gefährlichsten Zone um den Bauch trägt, so wie die meisten seiner Geschlechtsgenossen. Er hat eine Tageszeitung dabei, blättert darin zur Tarnung. Er sitzt eigentlich nur da. So wie ich.
Ein Tag, an dem man sich bedankt leben zu dürfen.
Die Sonne wärmt, ist aber noch nicht zu heiß. Der Kuchen ist wunderbar, vor allem wohl deshalb, weil der letzte Biss in einen frischen Kuchen schon so lange her ist.
Zur Rechten unterhalten sich drei Senioren über ihre Krankheiten. Nichts von all dem, was sich da mit Charme an die Seelen schmeißt, berührt sie. Die detaillierten Kenntnisse der Symptome dieser und jener Gebrechlichkeit werden mit einer solchen seriösen Begeisterung ausgetauscht, dass den Alten wohl ein echter Lebensinhalt fehlte - so ganz ohne Krankheit.
Die grauenhaftesten Erinnerungen aus dem entfernten Bekanntenkreis habe ich von Dia-Abenden behalten. Und ich stelle mir, inmitten meiner gelösten kaffeeseeligen Stimmung im Restaurant auf der Terrasse, vor, die Senioren am Nebentisch lüden mich ein zu einem Dia-Abend, bei dem sie ihre Röntgenbilder vorführten. Ein echter Arzt sei auch anwesend und würde den wahrscheinlichen Verlauf der Krankheit schildern. Und außerdem wollte man mir nur mal gesagt haben, dass Kaffee schlecht für den Blutdruck und Kuchen schlecht für die Fettwerte sei. Natürlich hat mich keiner der Senioren eingeladen, ja noch nicht mal angesprochen - sie waren voll und ganz in ihrem Element und ihrem Leid gefangen.
Die Serviererin hat Herpes.
Warum fällt mir das erst jetzt auf? Ihr gesungenes Haalllooooho zur Begrüßung hat mich wohl lieber nicht so genau hinschauen lassen wollen. Jedenfalls kassiert die Frau Herpes 5,00 €, freut sich für meinen Geschmack eine Spur zu zügellos, da ich in Münzen bezahle. "Endlich mal Eener mit Kleenjeld".
Ich lasse die Röntgenbilder rechts, den Fettdepotverwalter links sitzen und schlängele mich an den Lippenviren vorbei auf die Straße.
Ein Tag, an dem man sich dafür bedankt, noch mal davongekommen zu sein.


Eingereicht am 06. April 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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