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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Vorsicht Hausierer!

© H. H.


Es war ein herrlicher Sommertag in Hutzelweilerbach. Die Sonne schien. Die Vögel zwitscherten ihre schönsten Lieder in den Wipfeln der Bäume. Die Grillen zirpten. Jeder freute sich aufzustehen und sein Frühstück auf dem Balkon, der Terrasse oder wenigstens bei geöffnetem Fenster zu genießen. Nur einem in Hutzelweilerbach fiel es schwer aus seinem Schlafsack zu kriechen: Ferdi Buntspecht, dem Stadtstreicher aus Leidenschaft. Er hasste das verdammt helle Licht der Sonnenstrahlen, das ihm schon in aller Herrgottsfrühe den unverdienten Schlaf raubte. So moserte er denn auch sofort wie ein Rohrspatz los und fragte sich, in welch verrücktem Land er lebe, in dem die Sonne schon um Sechs aufgehen musste.
Wie jeden Morgen breitete er hustend seinen Schlafsack in der Sonne vor der Brücke aus. Anschließend schlurfte er hinunter zum Fluss und putzte sich mit seiner ramponierten Zahnbürste den jämmerlichen Rest seiner ihm im Mund verbliebenen Zahnstümpfe.
Nach dem ersten kräftigen Schluck aus seiner Wermutflasche begann er nachzudenken, wie er an die nächste Pulle kommen könnte. Urplötzlich schoss ihm ein hervorragender Gedanke durch den Kopf. Himmel, er besaß ja noch seinen alten Bauchladen! Er brauchte das gute Stück nur noch ein wenig zu entstauben, aufzupolieren und mit ein paar sinnlosen Kleinigkeiten zu füllen. Eine riesige Auswahl war vorhanden, da er die letzten Wochen die Abfalleimer der halben Stadt durchwühlt hatte und endlose Male fündig geworden war. Ein dummer Mensch, der ihm sein Gerümpel abkaufen würde, war leicht zu finden. Schließlich und endlich verstand sich Ferdi meisterhaft in der Kunst andere von jedem Unsinn zu überzeugen. Zu allem entschlossen zog er seinen besten Anzug aus dem angestaubten Seesack, der neben unter der Brücke lag. Volle zehn Minuten behandelte er den speckigen Mottenfänger mit einer alten Schuhbürste aufs intensivste. Dann sah das gute Stück wieder einigermaßen sauber aus. Gleich darauf erfuhr Ferdis ramponierter Bauchladen dieselbe Behandlung - mit der gleichen Bürste natürlich. Am Ende erstrahlte sein tragbarer Verkaufsstand in Hochglanz und konnte mit Krimskrams gefüllt werden.
Als Ferdi sich dann auf den Weg in die Magnus Aschensack-Siedlung machte - dort wo die schönen und reichen Hutzelweilerbacher wohnten - war er guten Mutes. Einen Fuß vor den anderen setzend, blieb ihm viel Zeit über sein trauriges Schicksal nachzudenken. Wie verheißungsvoll hatte alles einmal angefangen. Ferdi kam aus einer gutbürgerlichen Familie. Sein Vater, ein Steuersekretär in der Hutzelweilerbacher Finanzverwaltung, war auf dem besten Weg Bürgermeister der kleinen Stadt zu werden. Im Herbst 1966 jedoch verließ er von einem zum anderen Tag seine Familie, um in Schottland nach dem Ungeheuer vom Loch Ness zu suchen. Eine Reise von der er nie mehr zurückkehrte. Die Mutter kümmerte sich derweil rührend um ihren Sohn und kaufte ihm alles, was er sich wünschte. Ferdis Probleme begannen, als er seine ersten Kasperlepuppen geschenkt bekam und das Krokodil die Akten auffraß, die er im zarten Alter von vierzig Jahren im Finanzamt von Hutzelweilerbach zu verwalten hatte. Nachdem man ihn gefeuert hatte, begann er zu trinken, RTL 2 zu sehen und so ging es stetig bergab mit ihm.
Hermine Wagenknecht-Schnitzler hatte andere Sorgen. Der Hausputz raubte ihr den letzten Nerv. Warum um alles in der Welt konnte ihr Werner nie und nimmer begreifen, dass man seine getragenen Klamotten nicht überall im Haus verstreuen konnte? Wie oft schon hatte seine Frau ihm klar zu machen versucht, dass dies doppelte Arbeit für sie bedeutete.
Frau Wagenknechts tiefschürfende Gedanken jäh unterbrochen, als die Türglocke durch die leere Wohnung schrillte. Das mochte doch wohl nicht wieder dieser gut aussehende junge Postbote sein, schoss es ihr durch den Kopf. Eilends legte sie ihre Küchenschürze ab, öffnete die zwei obersten Knöpfe ihrer Bluse und hastete mit schnellen Trippelschrittchen in den Hausflur. Im Garderobenspiegel noch einmal rasch ihre blonden Dauerwellen zurechtzupfend, öffnete die Hausfrau erwartungsfroh die Tür.
Ferdi Buntspecht lupfte seinen alten Filzhut und krähte aus seinem fast zahnlosen Mund: "Gott zum Gruße, liebe Frau Rabenknecht!"
Sein Gegenüber reagierte barsch: "Mein Name ist Wagenknecht-Schnitzler!"
Der Landstreicher versprühte all seinen vorhandenen Charme: "Auch kein Beinbruch, Frau ..."
"Wagenknecht-Schnitzler!" erwiderte die Hausfrau erneut.
"Für seinen Namen kann man ja nichts," strahlte Ferdi die Blondine an und setzte ohne Unterbrechung seine Rede fort: "Liebe Frau Wagenspecht-Schüttler, ich hätte da in meinem Bauchladen einen ......"
"Ich kaufe grundsätzlich nichts an der Haustür!" gab die Hausfrau schroff zurück, aber Ferdi ließ sich davon nicht im Geringsten beeindrucken. "Ich hätte da einen absolutes Supersonderangebot für Sie und nur weil Sie mir so ungeheuer sympathisch sind, Frau Wangenknecht-Schnitzkopf. Hier, sehen Sie mal: Die neueste Errungenschaft der Weltraumtechnik - von der NASA in der Schwerelosigkeit des Alls getestet - einen ganz wunderbaren, absolut holz- und staubfreien Radiergummi!"
Hermine Wagenknecht-Schnitzler wandte sich angewidert ab. "Was soll ich denn mit einem Radiergummi?"
"Nun, radieren könnten Sie damit," schlug ihr Ferdi augenzwinkernd vor .
"Danke, ich hab schon einen," sagte sie knapp und fügte hinzu: "Im übrigen habe ich jetzt wirklich noch zu tun."
Ferdi gab nicht auf. Mit einem geübten Griff langte er erneut in seinen Bauchladen und zog eine gefüllte Plastikfolie hervor. "Aber vielleicht brauchen Sie gerade ein Paar Damenstrümpfe - handgestrickt, aufblasbar und garantiert wasserdicht.
"Brauch' ich nicht. Ich hab' genügend."
"Wie wär's denn mit 'nem knautschechten und rostfreien Taschenmesser? Ein original Schweizer Patent! Damit können sie sich die schönsten Erinnerungen in die Zimmerlinde, den Gummibaum oder in ihren Wohnzimmerschrank schnitzen."
"Wir haben schon ein Taschenmesser im Haus," seufzte die Frau.
"Ein bezauberndes Parfum von Coco Flanell aus Paris vielleicht? Es heißt 'Jour de Chanson' und macht jeden noch so ignoranten Ehemann zum wilden Stier." Ferdi nahm die Sprühflasche und sprühte einen Strahl des eklig riechenden Inhalts seiner Kundin auf die Bluse. "Riechen Sie mal!"
Hermine Wagenknecht-Schnitzler geriet aus der Fassung. "Sie sind wohl nicht ganz dicht!" polterte sie los. "Wollen sie mich umbringen? Mit dem Gestank kann man ja Flugzeuge zum Absturz bringen!"
Während sie noch versuchte die stinkende Flüssigkeit aus der Bluse zu reiben, griff Ferdi, ihren Widerspruch ignorierend, aufs neue in seinen Bauchladen um ein neues Produkt hervorzuholen. "Sehen Sie mal, Frau Narbenspecht: Ein unglaublich wirksames Pülverchen gegen Wanzen, Sack- und Wanderratten, Grottenolme und anderes lästiges Ungeziefer? Das können Sie zudem auch völlig gefahrlos als Bartwuchsmittel, Trockenschampoo und über dies sogar noch als Schuhcreme und Gebissreiniger verwenden.
"Hab' ich alles!" zischte die Hausfrau sichtlich genervt.
Der Landstreicher versuchte es weiter: "Der absoluter Renner in dieser Saison ist unser Blubber-Blubb-Mundwasser gegen Mundgeruch und Schweißfüße. Manche behaupten sogar, es soll gegen abstehende Ohren helfen."
Hermine Wagenknecht platzte der Kragen: "Hören Sie schwer oder was. Das hab ich alles!"
Ferdi angelte nach einem zerfledderten, schwarzen Buch, dessen sichtbar abgeschubberter Plastikeinband von einem regen Gebrauch zeugte und sagte mit feierlicher Stimme: "Wenn das so ist, Frau Wabenrecht-Dingsbums, wäre vielleicht dieses abwaschbare Gebetbuch nicht schlecht. Das können sie, wenn sie möchten, auch in der Badewanne oder bei einem Tauchurlaub in der Ägäis unter Wasser lesen können."
Die Hausfrau war es leid: "Sie haben ja nicht mehr alle Tassen im Schrank! Wozu brauch' ich denn ein Gebetbuch?"
"Damit Sie dem Herrgott danken können, dass sie alles schon haben!" erwiderte Ferdi Buntspecht schlagfertig und aus seinem fast zahnlosen Mund breit grinsend.
"Unverschämtheit!" entrüstete sich Blondine, "wenn Sie jetzt nicht augenblicklich von meiner Haustür verschwinden, ruf' ich die Polizei!"
"Bevor Sie das tun, Frau Wangenrecht-Schnitzmann, noch ein allerletztes Angebot ..." sagte der Landstreicher, sich sehr gelassen auf die Drohung mit der Staatsmacht gebend. Er wühlte in seinem Bauchladen und zerrte aus dem vorhandenen Krimskrams ein Schild heraus und präsentierte es seiner inzwischen zornesroten Kundin. "Wie wär's denn mit diesem sagenhaft wunderherrlichen Schild aus unverwüstlichem Zwickauer Hartplastik, in sanftem Zitronengelb und mit echt handgemalten, schwarzdunklen Buchstaben?
Die Hausfrau kochte vor Wut und schrie: "Verdammt noch mal, hauen Sie ab! Ich brauch' kein Schild!"
Ferdi Buntspechts vom Zigarettenrauchen angegilbter Zeigefinger tippte auf die Beschriftung: "Aber, Frau Wagenpech-Schnitzel, nun lesen Sie doch erst mal."
Hermine Wagenknecht-Schnitzler kniff die ungeschminkten Äuglein zusammen und las: "Betteln und Hausieren verboten!" Plötzlich verwandelte sich ihr grimmiger Gesichtsausdruck und machte einem Strahlen Platz. "Toll! Das Schild will ich!" rief sie hocherfreut aus.
Der Landstreicher zwinkerte seiner Kundin höchst zufrieden zu: "Sehen Sie. Wußt' ich's doch. - Das macht dann 17,50. Ganz nebenbei, ich nehm' auch American-Express, Visa oder Euroschecks, Aktien, Schuldverschreibungen, Goldbarren, Juwelen, Perlen, 'ne Flasche guten französischen Rotwein, Wermut, Doppelkorn oder was Sie sonst noch haben - die Hauptsache das Zeug ist hochprozentig!"



Eingereicht am 07. Januar 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.


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