Hallo, Taxi!
© H. H.
Wenn man mit dem Zug am Hutzelweilerbacher Hauptbahnhof ankommt, gibt es drei Möglichkeiten in die Stadt zu gelangen: Entweder man geht zu Fuß oder wartet auf den Bus, der alle zwei Stunden einmal vor dem Bahnhof hält. Eine weitere Alternative besteht darin, sich ein Taxi zu nehmen. Hutzelweilerbach verfügt seit kurzem über einen solchen Service. Da der Taxifahrer aber nun ein fürchterlicher Schwätzer ist und sein Mundwerk niemals stillsteht, mögen ihn die Hutzelweilerbacher nicht besonders. Und, soweit ich mich
erinnern kann, hat bisher noch kein Eingeborener diese Möglichkeit der Personenbeförderung genutzt. Das überlässt man lieber den Fremden.
An diesem Montagmorgen, der Woche vor Heiligabend, traf mit dem Zug aus Frankfurt am Main ein gut gekleideter Herr ein. In der Hand ein diskret aussehendes Diplomatenköfferchen, hastete er auf den Bahnhofsvorplatz und winkte nach dem Taxi. "Hallo, Taxi!"
Poldi Steiner, seines Zeichens Taxifahrer, entdeckte den Fahrgast sofort. Er faltete hastig die Zeitung zusammen und packte sein angebissenes Blutwurstbrot ein. Dann startete er den Motor und schoss mit durchdrehenden Reifen auf den, vor dem Bahnhof wartenden Herrn zu.
Der Fahrgast öffnete die Tür, entbot ein freundliches "Grüß Gott" und sagte: "Bringen Sie mich bitte zum Konservatorium!"
Steiner nickte und der Fahrgast stieg ein, schnallte sich an und der Fahrer brauste los.
"Und," begann der Taxifahrer, "eine angenehme Reise gehabt?" "Kann nicht klagen," gab der Fahrgast zurück, "die Züge haben halt überall Verspätungen - wegen des Wetters." "Genau," bestätigte der Fahrer, "und für heute hat der Wetterbericht schon wieder Schnee angesagt." "So." brummte der Gast.
"Wie wär's mit 'nem Weihnachtsplätzchen?" fragte der Taxifahrer und deutete auf sein Handschuhfach. "Machen Sie ruhig auf. Da ist 'ne ganze Tüte drin. Hat meine Gundula gebacken - Gundula is' meine Frau!" Der Fahrgast schüttelte den Kopf. "Nett von Ihnen, aber ich muss schon ein wenig auf meine schlanke Linie achten. Gerade jetzt vor der Weihnachtszeit." "Sagen Sie mal, Sie sind wohl nicht von hier, wie?" fragte Fahrer neugierig.
"Warum?"
"Weil sie sich so gewählt ausdrücken," erwiderte sein Gegenüber.
"Was meinen Sie mit gewählt?" fragte der Fahrgast.
"Na, Sie sagten doch vorhin: Bringen Sie mich bitte zum Konversatorium?"
"Konservatorium hab ich gesagt," verbesserte der Beifahrer ungehalten.
Steiner machte eine wegwerfende Handbewegung. "Ob jetzt Konservatorium oder Konversatorium - ist doch eh das gleiche. Bei uns heißt das ganz normal "Konservenfabrik".
"Lieber Mann," erwiderte der Herr auf dem Beifahrersitz kopfschüttelnd, "ich will in keine Konservenfabrik. Ich will zum Städtischen Konservatorium!" Poldi Steiner legte eine Vollbremsung hin und sah seinen Fahrgast fragend an: "Also nicht in die Konservenfabrik," intonierte der Taxifahrer und erhielt ein ablehnendes "Ach was" von seinem Beifahrer zur Antwort. Steiner fuhr wieder los, beschleunigte auf fünfzig Stundenkilometer, bremste seinen Wagen erneut ab und machte
dann eine Reifenfressende Wende auf der Straße, um gleich darauf einen Anpfiff von seinem wütenden Fahrgast zu erhalten.
"Können Sie nicht normal fahren? Sind Sie vielleicht 'n verhinderter Stuntman?"
"Ich weiß schon was ich tue," knurrte Poldi Steiner eingeschnappt, denn bisher hatte es noch keiner ungestraft gewagt seine Fahrkünste zu kritisieren. Der Fahrgast schwieg und der Taxifahrer fühlte sich bemüßigt eine Erklärung abzugeben. "Mein Großvater, Benedikt Steiner, hat in den Zwanzigern auf der Avus ein paar Rennen auf dem legendären Silberpfeil gefahren."
"Sagt mir nichts," brummte der Mann auf dem Beifahrersitz beleidigt, als der Taxifahrer fortfuhr: "Fahren liegt mir auch im Blut. Ich fahre jede Rallye mit. Neulich habe ich den "Schafblöken-Cup" gewonnen und auf dem Hockenheim-Ring fahre ich auch jeden Monat einmal."
Der Fahrgast sah gelangweilt zum Seitenfenster hinaus, an dem einige verschneite Felder und einsame Bauernhöfe vorbeizogen.
Steiner schwärmte weiter. "Ich würde ja zu gerne einmal an 'nem richtigen Formel-Eins-Rennen auf dem Nürburgring teilnehmen, aber da lässt man leider nur erfahrene Profis ran - Armaturen wie ich haben da keine Chance."
Der Fahrgast wandte sich seinem Fahrer zu. "Was meinen Sie mit Armaturen?"
"Ja, die, die keine Ahnung haben, sind Armaturen," erläuterte Steiner versiert, während sein Beifahrer sich ein hämisches Grinsen, über die offensichtliche Unkenntnis des Taxifahrers bezüglich geläufiger Fremdwörter nicht verkneifen konnte. "Sie meinen Amateure!" erwiederte er schadenfroh.
"Die dürfen auch nicht auf den Nürburgring," entgegnete der Steiner geknickt und um das Gespräch fortzusetzen schloss er eine weitere Frage an: "Ja und was wollen Sie in diesem Konservatorium?"
"Das geht Sie zwar nichts an," erwiderte der Fahrgast, "aber ich bin dort zu Proben für ein Oratorium bestellt. Um es noch präziser auszudrücken, es geht um ein Weihnachtsoratorium."
Poldi Steiner dachte angestrengt nach. "Ein Oratorium?"
"Ein Oratorium, ja," nickte der Gast, ich bin Dirigent und man hat mich verpflichtet die Proben zu leiten."
"Hat Oratorium zufällig was mit den Ohren zu tun?" hakte der Taxifahrer nach.
"Wie mit den Ohren?" fragte der Fahrgast.
"Ich meine, dass Sie da jemandem zuhören müssen."
Der Dirigent holte tief Luft. "Klar muss man da zuhören."
Steiner gab keine Ruhe, jetzt wollte er es ganz genau wissen. "So wie ich Sie verstehe, singen da welche während Sie mit Ihrem Dirigentenstock durch die Luft wirbeln, nicht?" "Ja, so kann man es ausdrücken," seufzte der Fahrgast zum erneuten Mal. Dabei wünschte sich nichts Sehnlicheres als seinen Bestimmungsort möglichst bald zu erreichen, um endlich den dämlichen Fragen dieses Schwachsinn verzapfenden Blödmannes entrinnen zu können.
"Tja," meinte dann Steiner fröhlich, "so leicht lass ich mich mit diesem komischen Fremdwörtern nicht hinters Licht führen. Neulich hatte ich mal einen in meinem Taxi, der wollte unbedingt ins Observatorium ..."
"Und?" knurrte der Dirigent.
"Da hab ich ihn versehentlich zum Krematorium gefahren," kicherte der Taxifahrer fröhlich und schlug sich dabei begeistert auf die Schenkel.
"Sehr witzig," gähnte der Beifahrer desinteressiert, als Steiner den Wagen schließlich vor der Hutzelweilerbacher Konservenfabrik Fettkötter & Söhne stoppte.
"Bitteschön, hier ist das Konservatorium," proklamierte Steiner nicht ohne Stolz und deutete auf die verschneite Nachdem der Fahrgast das Firmenschild in Augenschein genommen hatte, brummte er bitter: "Was macht das?"
Poldi Steiner überprüfte nervös den Stand seines Taxameters, um dann konsterniert einzugestehen: "Kruzifix! Ich hab doch tatsächlich vergessen den Taxameter einzuschalten. Jetzt weiß ich gar nicht, was Sie bezahlen müssen!"
"Das trifft sich ausgezeichnet," prustete der Dirigent, während er sich aus dem Wagen quälte. "Ich hab nämlich sowieso kein Geld dabei!"
Poldi Steiner verwirrt und sprachlos zurücklassend, begab er sich zur Haltestelle vor der Konservenfabrik, um dort auf den nächsten Bus zu warten.
Eingereicht am 11. Januar 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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