Ein richtiger Sonntag
© Christine von Holtei
Mir bleibt nur das Waschen. Das ist reiner Energieverlust. Ich musste mit den Bewegungen sparsamer sein. Es wäre zwar besser gewesen, beizeiten mit dem Geld zu sparen. Aber so ist das, wenn einer ...
Herrgott, in der Kirche wird immer Sonntag eine kleine Mahlzeit ausgeteilt. Ich springe entschlossen aus dem Bett, in zehn Minuten bin ich fertig und stellte fest, dass die Uhr ist stehen geblieben. Ich sehe zum Fenster hinaus auf eine Turmuhr. Die Messe ist aus. Die Mahlzeiten wurden längst ausgeteilt. Darf das sein? Darf man am Sonntag nicht länger schlaffen? Wer nicht wachsames Auge hat, soll verhungern.
Was soll ich jetzt anfangen? Vielleicht spazierengehen? Angezogen bin ich schon. Auf der Straße gehen Leute, die schon gegessen haben, solche Menschen sind mir schal. Und hier wimmelt es überall von ungezähmten Leuten. Alles ist nur Einbildung. Als ich noch zu essen hatte, habe ich nicht jede Stunde gegessen. Lächerlich. Ich muss mir nur einbilden, dass ich soeben gegessen habe, und schon ist im Magen Ruhe angekommen.
Wie einfach ist alles im Leben, man kommt nur nicht darauf. Beim Weggehen schaute ich, ob ich Post bekommen habe. Jeden Tag erwarte ich ein Brief, eine Hilfe, die eines Tages kommen muss. Ich weiß nur nicht von wem? Aber ich bin sicher, der Brief wird kommen!
Sonntags ist der Stadtgarten immer voll von strahlenden Frauen. Zwischen Bäumen und Sträuchern sitzen Liebespaare. Herausgeputzte Kinder, Papas mit Muttis ... am besten, ich gehe nach Hause, ich bin müde.
Ein feiner Geruch erfüllt den Korridor, für seinen Magen spart der Vermieter nichts. Ich befasse mich nur mit mir selbst, ich habe schon gegessen.
Alles ist hoffnungslos langweilig. Das Leben hat keinen besonderen Sinn.
Mensch macht sinnlose Sprünge zwischen Geburt und Tod. "Ach was? Ich gehe doch nach draußen." Ich nehme meinen Mantel und gehe die Treppe hinunter.
Von irgendeiner Straße her klingt eine singende Stimme. "Kaufe alte Kleider ... la lala ... Ich kaufe alte Kleider!" Plötzlich bekomme ich starkes Herzklopfen. "Mein Mantel! Warum nicht?" Besser ein mantelloser Lebender als eine Leiche mit Mantel. Ich danke dir, lieber Gott, dass mir der Mantel eingefallen ist. Wie schön ein Sonntag sein kann. Ich werde nie mehr leichtsinnig sein. Ich suche den Händler, und finde ihn nirgends, er ist verschwunden. Das muss doch wieder einen besonderen Sinn
haben. Eigentlich ist es besser so, der Mantel gehört meinem Vater, er hat ihn mir nur geliehen, darum darf ich den Mantel nicht verkaufen! Hungrig kehre ich sofort um, aber dann höre ich wieder die Stimme des Händlers. Und dann erblicke ich ihn, jetzt nur nicht aus den Augen lassen. Jetzt gehe ich zu ihm hin und verkaufe meinen Mantel.
Ich werde ihn ganz einfach fragen. "Was geben Sie für meinen Mantel?" Oder besser "Ich habe das Geld bitter nötig!" Vielleicht erbarmt er sich meiner.
Nein, der Händler hat kein Herz. Man muss ihn nur ansehen, ein Blick auf seinen Rücken genügt. Der hat im Leben noch kein wahres Wort gesprochen. Was es für Leute gibt! Ich merke, dass mir ein Bettler folgt. Er kommt mit gesenktem Kopf, demütig zu mir und sagt: "Ich habe seit drei Tagen nichts gegessen ..." also auch einer, der nichts zu essen hat. Eine verwandte Seele, er ist nur anders angezogen als ich. "Na, kommen Sie nur mit, ich werde Ihnen was geben." Und wir gehen beide dem Händler
nach. Der Bettler verkauft den Mantel für 35 Euro. Fünf Euro sollen ihm gehören. Ich gehe schnell nach Hause, na, das wäre erledigt. Jetzt gehe ich essen. Greife in meine Tasche, und das Geld ist nicht da. Mein Atem stockt. Wo ist mein Geld? Der Händler hat dem Bettler gezahlt, und der hat mir das Geld nicht gegeben. Der Hunger hat mich vollkommen verwirrt. Ich renne zu der Stelle, wo wir den Handel abgeschlossen haben. Nirgends ein Händler, nirgends ein Bettler. Ich suche die beiden noch eine Stunde lang, vergeblich.
Der Himmel ist schön grau, Vögel flattern über den Häusern. Hinter den Fenstern leben Menschen.
Glückliche oder Unglückliche. Wenn einer sich den Magen verdirbt, ist er unglücklich, er weint sogar. Ich bin nicht unglücklich. Man muss heiter sein.
"Alles neu macht der Frühling"
Eingereicht am 15. August 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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