In der S-Bahn
© Guido Schäfer
Wieder einmal hatte mich mein (gar nicht so altes) Auto im Stich gelassen. Da ich einen dringenden Termin in der Stadt wahrzunehmen hatte beschloss ich, die S-Bahn zu nehmen.
Während der Fahrt stiegen an einer Haltestelle zwei junge Männer ein und blieben im Türbereich stehen. In den nächsten Minuten wurde ich Zeuge des folgenden Dialoges.
"Gehste wählen?"
"Weiß noch nich. Wann iss'n das noch mal?"
"Glaub im September."
"Hm... Da kann ich. Werd wohl gehen."
"Und was wählste?"
"Keine Ahnung. Die Merkel bestimmt nich. Die is ja potthässlich."
"Jau Alder, die kannse echt nich wählen. Was is mit der FDP?"
"Nee! Da is doch die Schwuchtel bei! Meinse ich will von ner Tucke bestimmt werden?"
"Dann kannse SPD ja auch nich wählen."
"Wieso? Der Schröder is doch nich schwul."
"Der nich, aber dieser Typ mit 'Schwul is gut so!' is doch auch bei denen."
"Jau, hasse Recht. Aber der Schröder und der Lafontaine sind doch voll die Weiberhelden. Das gleichts wieder aus."
"Aber der Lafontaine is doch gar nicht mehr bei denen. Der is doch jetz bei den Kommunisten."
"Bei denen aus der DDR?"
"Jau."
"Na die wähl ich ganz bestimmt nich. Die wollen uns doch alles wegnehmen und so."
"Jau, voll die Diebe."
Es trat ein längere Pause ein, bis sich der Erste schließlich wieder zu Wort meldete. "Und was wählse nu?"
"Weiss nich. Is doch eh alles der gleiche Mist. Ich glaub, ich wähl den Stoiber." (Wir befanden uns in NRW.)
"Der is doch bei der CSU."
"Dann eben CSU. Da sind wenigstens keine Tucken."
In diesem Moment erreichten wir die nächste Haltestelle, und die beiden verließen den Zug.
Warum nur, habe ich seitdem das Gefühl, dass die Demokratie, mit all ihren Vorteilen, auch ihre Schwächen hat?
Eingereicht am 03. August 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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