Honigwodka
© Ihepih
Ich habe, nach Hunderten von Fässern Bier, die ich über Jahrzehnte verköstigt habe, mich vom Obergärigen abgewandt und dem Hochprozentigem zugewendet. Zugegeben, wenn die "fünfte" Jahreszeit anbricht, werde ich wieder nicht umhin kommen, dieses saisonbedingte Standardgetränk, in nicht einschätzbaren Mengen zu mir zu nehmen. Doch werde ich mir und meinem Magen in geziemen Abständen einen Grappa oder Clavados gönnen, die besonders zusammen mit einem Espresso oder Kaffee, eine angenehme Abwechslung bedeuten.
Beim Umzug habe ich eine Flasche Honigwodka gefunden, die ich vor etwa 16 Jahren von einem polnischen Erntehelfer geschenkt bekam, der mir diese als Dank für eine unendgeldliche Tat überreicht hatte. Da ich selten die Gelegenheit habe, im Büro den geselligen Akt mit der Höflichkeit zu verbinden, ein Gläschen Hochprozentiges anzubieten, landete diese Flasche in den Tiefen meines Bücherschrankes.
Eines Tages fand ich ihn, wie erwähnt, wieder und habe den Anlass eines Autokaufs dazu genutzt, mit dem Händler, der mir den Wagen gebracht hatte und einem Gläschen Honigwodka die Neuanschaffung zu begießen. Der erste Schluck hinterließ bei mir einen so intensiven, nachhaltigen Eindruck, dass der Autokauf beinahe zur Nebensache wurde. Ich fühlte mich fortan ungebremst genötigt, dies einem Fachkundigen mitzuteilen.
Als ein Freund und Gastronom mich kurz darauf besuchte, nahm ich direkt die Gelegenheit wahr, ihm diesen nach langer Reife von mir gekostet und für unschlagbar befundenen Wodka zum Probieren anzubieten, um von ihm ein Urteil bestätigt zu bekommen, das schon lange vorher von mir festgelegt und besiegelt worden war. Ich erwartete Lobeshymnen, ob meiner Abstinenz, durch die dieser edle Tropfen hat so lange reifen können und eine, für mich unschlagbare Qualität bekommen hatte.
Ich kredenze ihm mit einem Lächeln des Triumphes, in einer nicht gerade gourmetfreundlichen Umgebung, nämlich im Büro, den mittlerweile gut gereiften Honigwodka und konnte, ehrlich gestanden, sein Lobpreisen gar nicht abwarten.
Er gießt sich also eine kleine Probiermenge dieses Wodkas in ein nettes, kleines Schnapsglas, das nur zufällig an ein Sommelier-Glas erinnerte, stülpte seine Nase in das Glas, stockte eine wenig und wiederholte den Vorgang. Er stockte erneut, wohl aus Höflichkeit und bemerkte dennoch lapidar:"....ehmmm,.....Spiritus(?)....", probierte gleich noch einmal, denn der "Abgang" ist bekanntlich ein wesentliches Element bei der Beurteilung von "edlen", Tropfen und meinte dann zögerlich,
eher höflich einladend, ob er mir nicht mal einen wirklich guten Hochprozentigen aus seinem Restaurant mitbringen solle. Zack! Das saß.
Niedergeschmettert, wirklich peinlich berührt und verzweifelnd versucht, mich irgendwie unter dem Teppich zu verkriechen, nahm ich seine Worte wahr, die einer gustatorischen Demontage einer in Jahren aufgebauten Scheinfeinschmeckerzunge gleich kam.
Ich musste erst mal einen kräftigen Schluck zu mir nehmen, um die soeben erfahrene Schmach zu verdauen und eigentlich, also eigentlich, also wenn man ihn noch mal probierte und noch mal, schmeckte man den Spiritus gar nicht mehr so sehr. Nach dem dritten Gläschen hatte ich den Eindruck, dass mein Freund und Feinschmecker sich gewiss geirrt haben musste. Ganz bestimmt. Da soll Spiritus drin sein? Ich habe es jedoch vermeiden können, diesen Gedanken auszusprechen. Irgendetwas hat mich diszipliniert.
Ich denke nun jedes Mal, wenn ich diese Flasche sehe, an die weisen Worte meines Freundes, finde jedoch den "geschenkten Gaul" trotzdem lecker. Mir schmeckt dieser Honigwodka, den ich immer noch habe, sogar jedes Mal besser. Auch mit dem Wissen, dass er gepanscht ist.
Eingereicht am 01. August 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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