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Mal ehrlich ...

© Frank Moné


Im Moment übten sich Angie, die kälteste Ehegattin dieser Welt, und ich uns im gegenseitigen Ignorieren. Weil ich nett gewesen war. Weil ich sie nicht hatte verletzen wollen. Weil ich eine, für sie immens wichtige, Sache anders beurteilt hatte. Kurzum, weil ich gelogen hatte. Angie, bezüglich ihrer Garderobe, belogen hatte. Betrogen hatte. Nicht mit einer anderen Frau, das hätte sie besser weg gesteckt. Nein, wegen der Kleidung, die sie zum Geburtstag eines Bekannten getragen hatte. Die Teile waren in der Tat nicht top-modern, aber da Angie mir auch darin sehr gefiel, hatte ich ihre diesbezügliche Frage: Kann ich so gehen? mit Ja, sicher, Schatz, statt mit Nein, unmöglich, beantwortet.
Eine "Freundin" hatte ihr während der Feier gesagt, dass sie ein nicht ganz so vorteilhaftes Kleid trug und damit begann der Niedergang unserer Beziehung.
Das hättest du mir sagen müssen!!!
Wie kannst du mich nur so rum laufen lassen?
Wie konntest du mich nur so dem Spott der Anderen preisgeben?
Ist es dir egal, wie ich rumlaufe?
Liebst du mich eigentlich noch?
Verräter!!!
Betrüger!!!
Herzloses Stück!!!
LÜGNER!!!
Aber egal, was ich darauf erwiderte, es half alles nichts. Also zog ich mich in eine dunkle, stille Ecke des Hauses zurück und dachte nach.
War ich denn wirklich so unsensibel? So gar nicht eingestellt auf die weibliche Klamotten-Psyche? So völlig unbedarft, was die passende Mode zu bestimmten Anlässen betraf?
Aus dem Wohnzimmer kam ein gletscherschmelzendes Schluchzen und der verzweifelte Schrei: DU ELENDER LÜGNER.
Das tat weh. Es bohrte ein glühendes, mit Widerhaken versehenes Schwert in meine Eingeweide. Drehte es in meinem Magen rum, wie ein tobsüchtiger Samurai, dessen Ehre man befleckt hatte. Vielleicht hatte man ihn auch wegen seiner Klamotten angelogen.
Und Angie musste es auch ihrer Schwester, ihrer Mutter und ihren Freundinnen erzählt haben, denn alle straften mich mit konsequenter Missachtung. Selbst Katharina, die Große, unsere Katze.
Sie wollten, dass ich ehrlich bin? Ok, sie sollten es haben. Aber wenn, dann richtig und zu allen. Sie hatten es sich verdient.
Die erste Gelegenheit ergab sich am nächsten Morgen. Angie wurde von Sabrina, einer Arbeitskollegin, abgeholt. Da Angie noch ein paar Minuten brauchte, unterhielt ich mich mit Sabrina. Sie trug einen neuen Rock, für meinen Geschmack viel zu kurz, da ihre Beine viel zu fett waren.
"Äh, Sabrina. Nichts für ungut. Aber solltest du nicht besser einen etwas längeren Rock tragen?" begann ich meinen Kreuzzug gegen die Lüge.
"Wie... Wieso?", fragte sie.
"Na ja, ich finde er macht deine dicken Oberschenkel zu kurz und die Waden zu kräftig. Es sieht irgendwie aus, als wärst du eine Seekuh auf Landgang. Versteh mich nicht falsch, Sabrina. Ich will nur ehrlich zu dir sein."
"Oh. Äh, danke", erwiderte sie mit einen unsicheren Lächeln und rannte eilends zu ihrem Auto. Mit durchdrehenden Reifen preschte sie aus unserer Ausfahrt. Überfuhr dabei des Nachbarn Hund und machte unseren Mülleimer platt.
Ich hatte sie vor einer großen Blamage bewahrt. Kein schlechtes Gefühl. Durch dieses positive Ereignis hoch motiviert, suchte ich mir weitere, hilfebedürftige Menschen.
Mein Nachbar. Er stand erschüttert vor den zermatschten Teilen seines über alle Maßen geliebten und soeben von Sabrina zweigeteilten Tieres und brabbelte unverständliches Zeug. Immer wieder zeigte er hilflos auf seinen Ex-Hund und schluchzte wie eine vom Teufel gerittene Nonne. Beruhigend legte ich meinen Arm um seine Schultern und sagte: "Na kommen Sie, Herr Wazlaf. Nehmen Sies nicht so tragisch. Er war alt und hässlich. Und wenn es regnete, stank er wie ein mittelalterlicher Donnerbalken. Und um ehrlich zu sein, Sie miefen genauso. Das ist nicht gesund. Kaufen Sie einen Goldfisch, ich meine es nur gut."
"Sie... Sie... Ich... Bello...", stammelte er. Sein zwar gebrochener, aber dankbarer Blick begleitete mich, während ich fröhlich pfeifend ins Haus zurück schlenderte.
Eine halbe Stunde später erhängte er sich im Keller seines Hauses. Mir wurde klar, wie viel Verantwortung die Ehrlichkeit mit sich brachte. Ich hätte ihm schon früher die Wahrheit sagen sollen.
Es klingelte an der Tür. Der Herr Selinger. Unser langjähriger Versicherungsfuzzi. 168 cm groß und 116 kg schwer. Da musste ich doch was tun. Ich bat ihn rein, wir regelten das Geschäftliche und dann nahm ich ihn zur Seite.
"Herr Selinger, mir brennt noch was auf dem Herzen, worüber ich mir große Sorgen mache."
Er antwortete mit neugierigem Blick: "Ja, was denn? Kann ich Ihnen helfen?"
"Nein, denn es geht um Sie."
Erstaunt sah er mich an.
"Ja, Herr Selinger. Denn... jedes Mal wenn Sie kommen, hab ich das Gefühl, Sie hätten schon wieder zugenommen. Das ist nicht gut. Man hat den Eindruck, Sie hätten einen Schlauch im Arsch und ein Kompressor pumpt ständig Luft rein. Irgendwann platzen Sie mir noch. Sehen Sie, Ihr Hemd passt nicht mehr in diese Hose, welche sich schon eher als Zelt bezeichnen lässt, und ihre Krawatte, die Sie nun auch schon das vierte Jahr tragen, zeigte im ersten auf ihren Hosenbund und jetzt, im vierten, reicht sie Ihnen nicht mal mehr bis zu den Brustwarzen. Ich will nur ehrlich sein, das erwarten Sie ja auch sicher von Ihren Mitmenschen. Und Ihre Backen schwabbeln durch die Gegend, als wollten Sie lästige Scheißhausfliegen erschlagen. Die oben und die unten auch. Und Ihre Arschfalte. Die reicht bis in die Kniekehlen und sie transpirieren wie eine trächtige Wildsau in der Sauna. Das macht keinen guten Eindruck auf Ihre Kundschaft. Denken Sie mal drüber nach."
Fassungslos über meine helfende Ehrlichkeit brachte er kein Wort raus. Hastig, fast panisch verließ er mein Haus, sicher um unverzüglich mit einer knallharten Diät zu beginnen. Zufrieden lächelnd winkte ich ihm nach. Dann fuhr ich ins Geschäft.
Ich hatte noch einen Termin mit Frau Hollender. Sie war eine unserer Kommunalpolitikerinnen und wollte die Weinlieferung für ihre, in zwei Stunden stattfindende, Sitzung abholen.
Und wie ich sie so übertrieben jugendlich die Tür reinkommen sah, nahm ich mir vor, auch ihr hilfreich und ehrlich zur Seite zu stehen.
"Frau Hollender. Auf ein Wort. Sie müssen an Ihrem Outfit unbedingt etwas ändern. So können Sie nicht zur Sitzung gehen und gewinnen auch keine Wahl."
"Ach so?", antwortete sie, leicht überrascht. "Was meinen Sie?"
Sie war eine gestandene Frau, sicher schätzte sie klare Worte.
"Erstens, gute Frau, Sie sollten einen BH tragen. Ihr Kuhleder hängt an ihren Rippen runter wie zwei unterschiedlich lange, leere Wärmflaschen. Der Schlitz zwischen Ihren Brüsten ist kein Busen und kein Ausschnitt, das ist ein mit Zellulite durchfurchtes Jammertal. So ernten Sie keine Sympathien, höchstens entsetztes Bedauern. Was ist, wenn Sie anfangen zu frieren? Das sind doch keine steilen Knospen, sondern die schlappen Zipfelmützenspitzen von Otto Walkes Sieben Zwergen. Und wie wäre es mit einem langärmligen Pullover? Die marmorierten Hautlappen an ihren Oberarmen erinnern eher an eine schlecht einbalsamierte Mumie, als an eine starke Persönlichkeit. Und eine lange Hose wäre auch angebracht, ihre Krampfadern ziehen sich ja von den Waden bis zu den Oberschenkeln. Wenn man da weiter denkt, möchte man gar nicht wissen, wie es noch ein Stückchen weiter oben aussieht. Bermudadreieck oder San Andreas-Graben oder so. In ihrer Position dürfen Sie sich nicht so gehen lassen."
Ich hatte es gewusst, die konnte so was ab. Sie lächelte mich verstehend an ... dann fiel sie röchelnd um. Nach den zwei Wochen auf der Intensivstation konvertierte sie zum Islam und hielt sich völlig bedeckt. Eine etwas übertriebene Reaktion, wie ich kopfschütteln fand. Politiker!
Feierabend. Während ich nach Hause fuhr, ließ ich den Tag Revue passieren und war sicher, ich hatte meine Sache gut gemacht. Ehrlich währt am längsten, hieß es und so war es auch.
Ich gestand mir ein, dass ich schon viel früher hätte damit anfangen sollen. Es gibt einem ein unglaublich erfüllendes Gefühl. Vor allem die dankbaren Reaktionen der nun ehrlich Aufgeklärten.
Angelika lümmelte in ihrem Lieblingssessel und sah mich mit einem undefinierbaren Blick an. Es schien, als wollte sie mir etwas sagen, wisse aber nicht genau, wie sie es rüber bringen sollte.
"Hallo Schatz", sagte sie. "Ich wollte mich bei dir ... Weißt du, ich ... es tut ..."
"Schon gut, Liebling", unterbrach ich sie, "ich weiß, was du sagen willst. Aber du solltest nun aufhören zu weinen, du hast schon Tränensäcke so dick wie üble Brandblasen und dein gekränkter Stolz hat schon richtige Gletscher in dein Gesicht gegraben. Die Falten auf deiner Stirn erinnern auch schon an ein Schraubengewinde. Du wirst deiner Mutter immer ähnlicher. Wie alt ist die jetzt eigentlich? Achtundsiebzig, stimmts? Und bitte, lass den Hundeblick, das kann Watzlafs Töle besser. Na ja, jetzt nicht mehr. Und ehrlich gesagt, ich fand dein Kleid wirklich nicht schlecht. Ehrlich nicht. Dieses Kotzgrün passte es hervorragend zu deinem Teint und es verbarg vorteilhaft deine Figur."
Angelika glotzte mich mit großen Augen und offenem Mund an.
"Na ja", fuhr ich fort. "Wir sind alle nicht mehr die Jüngsten und du hattest noch nie eine Wespentaille, aber dafür ein ausladendes, gebärfreudiges Becken. Und der hochgestellte Kragen deiner Jacke verdeckte doch hervorragend die ausgefransten Spitzen deiner Haare. Sag mal, wie lange warst du nicht mehr beim Friseur? Außerdem harmonierten die großen, braunen Hornknöpfe farblich exzellent mit deinen Zähnen. Ok, Ok, das Make-up war etwas zu heftig, so ein bisschen Sommersprossen-Look. Oder hast du es nicht geschafft, die Altersflecken zu übertünchen? Das Einzige was es zu verbessern gegeben hätte ... das Kleid hätte unten nicht so eng sein dürfen. Das hat dich zu diesen winzig-kleinen Geisha-Schritten gezwungen. Dein Hüftschwung sah aus wie der eines Brauereigauls, dessen Hämorrhoiden gerade Gras fressen. Aber sonst? Topp. Wie immer."
Aus Ihrem Sessel kamen seltsame Geräusche. Hatt ich noch nie gehört. Ich drehte ihr den Rücken zu, ich hatte, ehrlich gesagt, im Moment keinen Bock sie anzusehen und stemmte die Hände in die Hüften. Ich seufzte. Ja, ehrlich zu sein ist erleichternd. Keine Lügen mehr, keine weiteren Lügen um die erste zu stützen, usw.
Erfrischend und wohltuend für alle Seiten.
Bis ich plötzlich einen Stoß in den Rücken bekam und sich unsere Gardinenstange blutspritzend durch meine Bauchdecke schob.
Schreiend wachte ich auf. Oh Mann, Gott sei Dank nur ein Albtraum. Aber warum hatte ich so ein furchtbar schlechtes Gewissen?



Eingereicht am 08. Juli 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.


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