Die Falle
© Walter Schäfer
Andy langweilte sich vor seinem Fernseher und schaltete von einem Programm ins andere.
Er hatte sich so auf diesen Horrorfilm gefreut und was machten die? Sie ließen ihn ausfallen, nur weil wieder irgendwo im Nahen Osten ein weiterer Krieg ausgebrochen war und über diesen natürlich life berichtet werden musste!
Lustlos setzte er sich die Bierflasche an die Lippen und trank in kräftigen Zügen, während er noch tiefer in den großen, braunen Ledersessel rutschte.
Er schaltete mit seiner Fernbedienung immer weiter, überall nur Politik oder Werbung, mein Gott wie ihn das ankotzte! Da hatte man mal einen freien Abend und dann so ein Mist!
Vor zwei Tagen war ihm seine Freundin weggelaufen. Sie konnte sie nicht mehr ertragen, seine krankhafte Fernsehsucht. Kaum dass er von der Arbeit nach Hause kam, schaltete er die Kiste an! Vorgestern hatte sie endlich fluchtartig das Haus verlassen! Er hatte es nicht einmal bemerkt, der Western war ja so spannend!
"Junger Mann! Ja, Sie da, auf dem Sessel! Hören Sie sofort auf mit der Umschalterei, sonst verpassen Sie die Chance Ihres Lebens! Ja Sie! Stellen Sie die Bierflasche weg!"
Andy verschluckte sich und das Bier lief ihm übers Hemd.
Hatte er richtig gehört? Meinte der ihn?
Er schaute immer wieder abwechselnd vom Bildschirm zur Bierflasche. War er verrückt?
"Junger Mann, Sie heißen Andy, nicht? Wenn Sie jetzt genau meinen Anweisungen folgen, werden sie es nie wieder langweilig haben in Ihrem Leben! Drücken Sie auf Ihrer Fernbedienung 6 X die 6 und schauen Sie genau hierher, in die Mitte des Bildschirmes! Vertrauen Sie mir!"
Andy vermutete, irgend so ein Privatsender habe heimlich Kameras installiert, so ähnlich wie bei "Versteckte Kamera". Na, die werden sich wundern! Die denken jetzt, dass ich hier an zu suchen fange, Fehlanzeige! Dachte er bei sich, nahm noch einen kräftigen Schluck und schickte sich an die Zahlen einzugeben.
Nach der sechsten sechs entstand vor der Mattscheibe eine große, bunte Rauchwolke und es wurde schlagartig dunkel im Zimmer! Ein grellroter Punkt, dort, wo sich die Mitte des Bildschirmes befinden musste, zog Andys Blick magisch an. Dann verlor er das Bewusstsein.
Andy schlug die Augen auf. Was war geschehen? Wo war er? Wie kam er hierher, mitten in diesen Wald? Weiches Moos fühlte er unter seinen Händen, als er sich anschickte aufzustehen. Immer wieder drehte er sich um seine eigene Achse, doch wo er auch hinschaute, er sah nur Wald!
Langsam setzte sich Andy in Bewegung. Was blieb ihm übrig? Er konnte sich das einfach nicht erklären! Hatte er mal wieder zuviel getrunken?
Nach einer Stunde Fußmarsch bemerkte er eine kleine Lichtung halb rechts vor sich, etwa 100 Meter entfernt. Andy hielt darauf zu und beschleunigte seine Schritte. Hinter einem dicken Baum am Waldesrand blieb er stehen und rieb sich die Augen. Was er auf der Lichtung sah konnte nur ein Trugbild sein! Dort kämpfte eine riesige Amazone mit einem duzend Rittern auf Pferden! Die Frau war sehr muskulös und sicher zehn Meter groß! In ihrer rechten Hand hielt sie ein goldenes Schwert, mit dem sie bereits den sechsten
Ritter vom Pferd schlug und tötete. Die übrigen wurden plötzlich von Panik erfasst und flüchteten in alle Richtungen. Eines der Pferde stolperte jedoch und schmiss seinen Reiter im hohen Bogen ab. Die Amazone reagierte sofort! Sie griff sich den Ritter mit der linken Hand und hob ihn hoch. Der Gefangene hatte sein Schwert verloren und zappelte hilflos in seiner silbernen Rüstung. Die große Frau ließ ihr Schwert in der Scheide an ihrem Gürtel verschwinden und setzte sich im Schneidersitz mitten auf die Lichtung.
Andy blieb das Herz stehen, als er sah, wie die Amazone begann den Ritter aus seiner Rüstung zu brechen. Es knackte schauerlich bis zu ihm hin, als sie dem Mann alle Knochen einzeln brach. Als der letztendlich völlig verkrümmt zwischen ihren Fingern hing, hob sie ihn hoch zu ihrem Mund, biss ihm den Kopf ab, spuckte ihn aus und warf den Torso weit über die Wipfel der Bäume in den Wald hinein.
Zutiefst erschüttert und nur ja nicht das leiseste Geräusch verursachend, ging Andy zurück in den Wald. Hier konnte er nicht hinaus, die Amazone würde ihn töten! Alles kam ihm so unwirklich vor.
Andy verfiel bald in eine Art Wolfstrab. Er schwitzte fürchterlich, obwohl es im dichten Wald immer kühler wurde. Als sich die Farbe der Tannenbäume vor ihm änderte, blieb er wie angewurzelt stehen. Hellblaue Tannenbäume! Hier stimmte einiges nicht, das war ihm klar. Als es dann noch zu schneien begann und hellrote Schneeflocken auf ihn nieder rieselten, da fing er zu schreien an und rannte, als säße ihm der Leibhaftige im Nacken, schräg von den blauen Bäumen weg in die Dunkelheit hinein. Andy hatte kein Zeitgefühl
mehr. Er lief und lief und lief. Doch plötzlich war der Weg von einer Mauer versperrt! Er konnte deren Höhe nicht abschätzen, denn sie verschwand in den Wolken. Sorgfältig suchte er die Mauer nach einer Möglichkeit ab, hindurch oder hinauf zu gelangen. Nach nur 10 Minuten wurde er fündig! An einer Ecke dieser Mauer führte eine gewaltige Wendeltreppe in unendliche Höhen hinauf. Sollte er es wagen? Ja, er musste es tun! Ein Zurück konnte es für ihn nicht geben! Die Riesin würde ihn sicherlich töten und was ihm
alles in dem blauen Zauberwald zustoßen konnte, daran wollte er lieber nicht denken. Also vorwärts! Sich selbst Mut machend begann er mit dem Aufstieg. Immer weiter, Stufe für Stufe. Als er zurück blickte, wollte ihm das Herz stehen bleiben! Sobald er fünf Treppen erklommen hatten, verschwanden alle übrigen darunter! Andy wurde es schwindelig. Gähnende Leere war unter ihm, vom Erdboden bereits nichts mehr zu sehen! Also gab es kein Zurück, das war ihm jetzt völlig klar! Er biss die Zähne zusammen und stieg weiter
in unbekannte Höhen. Die Beine schmerzten ihm und er dachte voller Bedauern an seinen gemütlichen Fernsehsessel. Noch ein paar Meter und er durchbrach die Wolkendecke. Was würde ihn da erwarten? Vorsichtig tastete sich Andy weiter in die Höhe, die Sicht wurde immer schlechter. Kaum atmen konnte er innerhalb dieser Wolken, seine Kehle brannte und er hatte Durst!
Andy stieß einen gellenden Schrei aus, als eine riesige Hand ihn einfach packte und aus den Wolken herauszog! Er glaubte wahnsinnig zu werden, als er das Gesicht seiner Freundin erkannte, die ihn, wie eine männliche Barbiepuppe in ihrer Hand hielt!
Mahnend hielt sie den Zeigefinger der anderen Hand in die Höhe und sagte: "Von jetzt an wirst Du nur noch Fernsehen schauen wenn ich es Dir sage! Du wirst dich nicht mehr besaufen und nicht mehr Faulenzen! Du wirst mich heiraten, mir Kinder machen und ein liebevoller Mann sein! Verstößt Du auch nur gegen ein Gebot, wirst Du in den Fingern der riesigen Amazone wach, oder Du findest dich in dem irre machenden Zauberwald wieder, den Du gesehen hast! Dies ist Deine letzte Chance Andy!"
Sie setzte den zappelnden jungen Mann an den Rand einer riesig langen Rutsche und gab ihm einen Schubs.... es ging mit ihm rasend schnell abwärts ....
"Guten Abend meine Damen und Herren.
Sie sehen jetzt den ersten Teil des amerikanischen Horrorfilms, Freitag der 13. Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass dieser Film für Jugendlich unter 18 ...!"
Andy schlug seine Augen auf. Oh, sein Film wurde doch noch übertragen...., aber was war das? Wovon hatte er gerade geträumt? Da fiel im schlagartig alles wieder ein! Er erinnerte sich an die mordende Amazone, an den bunten Wald und ... an seine riesige Freundin, die ihn gewarnt hatte!
Schnell schaltete er den Fernseher aus, schmiss sein Bier in den Mülleimer und sprang zum Telefon. Gerade als er den Hörer abnehmen wollte klingelte es an der Tür. Andy lief hin und öffnete. Mit lächelndem Gesicht, aber einer hochgezogenen Augenbraue stand seine Freundin in der Tür. Andy überlegte nicht lange! Er nahm sie in die Arme und küsste sie stürmisch.
Und die Moral von der Geschicht ...
kümmer dich um Frau zu Haus ...
und mach ab und zu die Kiste aus ...!
Eingereicht am 02. Juni 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.