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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Die Qualen des Tantalus

© Frank Moné


Die Qualen des Tantalus
Frank Moné
Ich war geschäftlich mit dem Auto unterwegs von Dresden nach Speyer. Auf der Rückreise also und freute mich schon auf das vor mir liegende lange Wochenende. Nun, man kann über die Sachsen sagen was man will, neben vielen anderen Dingen verstehen sie sich auch hervorragend darauf, einen sehr guten Kaffee zu kochen. Obwohl ich eher dem Tee zugeneigt bin, hatte ich aber beim Frühstück sechs dieser herrlich aromatisch dampfenden Tassen in mich hinein geschüttet. Ein geschmackliches Erlebnis und äußerst anregend. Nicht nur für den Kreislauf, wie ich noch feststellen sollte. Also nahmen die Dinge ihren Lauf...
Auf der A9 Richtung Nürnberg wurde Stau gemeldet, worauf ich mich entschied bei Kulmbach die Autobahn Richtung Schweinfurt - Würzburg zu nehmen. Der starke Verkehr der A9 würde mir nicht fehlen, aber dafür fehlte es mir schnell an etwas Anderem.
Es begann auf der Höhe von Bamberg. Dieses leise, nichts desto trotz unmissverständliche Gefühl der Expansion unterhalb des Bauchnabels. Ich ignorierte es, war ich doch dafür noch nicht lange genug unterwegs. Außerdem bin ich ein Mann und kein Konfirmand mehr. Die Hände fest am Lenkrad strebte ich also weiter meinem Ziel entgegen. Höhe Hassfurt: Ich erwischte mich dabei, dass ich anfing nach einer Raststätte Ausschau zu halten. Und nach 6 Kilometern kam auch ein entsprechendes Hinweisschild, was ich selbstverständlich rechts liegen ließ, wenn auch mit zusammen gepressten Lippen und feuchten Händen. Mein linker Fuß begann rhythmisch zwischen Kupplung und Bremse hin und her zu hüpfen. Aber diesem Verlangen nach zu geben kam selbst redend nicht in die Tüte. Der Wille ist stärker als das Fleisch, dachte ich mir, und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Am ganzen Körper leicht bebend, dafür aber kalt lächelnd, ließ ich Schweinfurt hinter mir und donnerte, ausdauernd die linke Seite benutzend, mit 180 Kilometern pro halber Stunde auf Würzburg zu. Ich bemerkte beiläufig bei einigen der Autofahrer, die ich überholte, erstaunte Blicke, die weniger auf meine Geschwindigkeit zurück zu führen waren, als viel eher auf mein hochrotes, zu einer Faust geballten Gesicht. Ich hätte zur Zeit auch unmöglich auf die rechte Spur wechseln können, denn meine beiden Hände hatten sich derart in meinem Schritt verkrampft als wollte ich einen bengalischen Tiger würgen und ich lenkte das Fahrzeug, indem ich meine Zähne ins Lenkrad schlug und nur kleine ruckartige Bewegungen mit dem Kopf machte. Meine beiden Beine hämmerten nun einen harten Beat auf die Pedale, so dass sich das Auto nun mehr in känguruartigen Sprüngen fort bewegte. Und es kam, was kommen musste, nämlich keine Pinkelhütte. Mit verrenkten Gliedern und einem grausamen Krampf in den Pobacken raste ich weiter in Richtung Heilbronn. Unkontrolliert traktierte mein Schädel die Kopfstütze des Fahrersitzes, wie ein tibetanischer Trommelmönch, der zum Gebet ruft.. Der riesige Weinballon, der statt einer normalen Blase, in meinem Körper bereits alle benachbarten Organe in Richtung Hals verdrängte, empfand dabei eine diabolische Freude. Ich spürte es ganz genau. Stoßartig verließ die Luft meine Lunge. Na prima, jetzt lag ich in den Wehen. Dann, ganz am Rande meines dahin schwindenden Bewusstseins, las ich ein Schild. Parkplatz!!! Doch, es gab einen Gott. Einen Neuen. Urinus. Ich musste hier raus. Ganz egal wie. Vor Qualen keuchend zwang ich das Fahrzeug nach rechts und drängte dabei ein, zwei andere Auto von der Fahrbahn ab. Sie verkeilten sich ineinander und blieben brennend liegen. Aber solche Nichtigkeiten tangierten mich im Moment überhaupt nicht. Mit, vor Empörung, aufschreienden Reifen kam mein Auto vor dem heiligen Ort der Glückseligkeit zum Stehen. Der schmuddelige Entsaftungsschuppen schien mir einladend zuzuwinken, aber das konnte auch eine Halluzination sein. Zitternd wie vertrocknetes Buschgras im heißen Steppenwind fiel ich aus dem Wagen und robbte stöhnend auf das Häuschen zu. Ein vorbei laufender Parker sah mitleidig auf mich runter und murmelte kopfschüttelnd: "Armer Kerl, Delirium tremens." Mit zerschürften Gliedern gelang es mir, die Tür aufzustoßen und mich in die angenehme Kühle der übel riechenden Pinkelbox zu ziehen. Mit hervor quellenden, blutunterlaufenen Augen erfasste ich die Situation innerhalb dieses majestätischen Gebäudes.
Liebe Vertreterinnen des anderen Geschlechts, trotz der dringlichen Misslichkeit meiner Situation komme ich, NUR ZU IHREM VERSTÄNDNIS, nicht umhin, ihnen zu erklären, wie sich Männer, generell bei solchen Gelegenheiten, beim Wasserlassen verhalten:
In aller Regel enthalten diese Etablissements fünf Urinale und drei Boxen für anderweitige därmliche Erleichterungen. Kommt nun ein Mann in ein solches, leeres, Klohäuschen wird er das Pinkelbecken auswählen, welches von der Eingangstür am weitesten entfernt ist. Zur Sicherheit. Damit ihm niemand seinen Schorsch wegguckt. Der Nächste wählt das Becken, welches am weitesten vom bereits Besetzten weg ist. Zur Sicherheit, versteht sich. Der Dritte wird auf jeden Fall das mittlere Urinal besetzen und lauernd seine Umgebung sichern. Nur für den Fall, dass... sie wissen schon. Ein Vierter wird die Urinale, weil sie ihm zu wenig Sicherheit bieten, völlig ignorieren und eine Box auswählen. Welche? Jawoll, diejenige, die von der Eingangstür am weitesten entfernt ist. Wegen dem Weggucken seines Schorschs.. Der Fünfte wird sich auch für eine Box interessieren und zwar für die... na? Genau, für die, die den meisten Zwischenraum zur ersten Box gewährt. Denken Sie an die Sicherheit. Ein Weiterer nimmt die mittlere Box, weil... OK. Zähneknirschend und in höchster Alarmbereitschaft müssen weitere, nachfolgende Pinkler mit den beiden verbleibenden Erleichterungsvorrichtungen vorlieb nehmen.
In meinem Fall waren alle Urinale belegt. Verzweifelt starrte ich auf die Männer, um so schnell wie möglich ein frei werdendes Becken zu erstürmen. Fünf kampfbereite Urinhelden stierten bitterböse zurück. Ich könnte ja... Wie auf ein geheimes Kommando hin, begannen die Fünf nun, simultan ihre besten Freunde abzuschütteln. Macht doch hin Jungs, wer mehr als dreimal schüttelt onaniert. Dann waren sie endlich weg, zum Glück alle fünf auf einmal. Mit, zu einem X, gefalteten Oberschenkeln schleppte ich mich zu dem Urinal, welches am weitesten von der Eingangstür entfernt lag, beugte mich über das Porzellan, riss mit fahrigen Händen den Reißverschluss herunter, brachte Schorsch in Stellung und... jedes Mal, wenn ich der Natur folgen wollte, schoss doch das Becken an die Decke hoch. So lange, bis mir klar wurde, dass es sich nur wieder um eine meiner Wahnvorstellungen handelte. Neben mir hatten sich die Becken bereits wieder ohne Ausnahme gefüllt und wurden geräuschvoll bedient, während bei mir Stille herrschte. Totenstille. Vier mitleidige Blicke trafen mich. He, die wollten doch nicht etwa... Ich ließ mich nach vorne fallen, so dass meine fieberheiße Stirn auf die kühlen Fliesen aufschlug. Das gab den Ausschlag. Jetzt. Ja. Oh, welch erhebendes Gefühl.
Proportional mit dem Entweichen des sächsischen Kaffees ließen langsam die Krämpfe und Zuckungen meines gequälten Körpers nach, die Halluzinationen verblassten und mit einem orgiastischen Seufzen schüttelte ich den berühmten letzten Tropfen ab. Und schüttelte und schüttelte, nur um das dankbare Zurückkehren meiner verschobenen Organe an ihre angestammten Plätze zu genießen.
Mehrere undeutliche Stimmen drangen langsam zu mir durch, als mein Trommelfell wieder zu seiner Originalform zurück fand. Schwein. Perverser. Dem sollte man sein Ding abreißen. Kampfbereit zuckte mein Kopf herum, aber sie hatten sich schon angewidert von mir abgewendet und waren durch die Eingangstür verschwunden. Aber noch war ich nicht allein. Denn obwohl alle Türen der Boxen verschlossen waren, hörte ich keinen Laut. Nur das Adrenalin, welches unter den Türen hervorquoll, war nicht zu ignorieren. Ich spürte die kompromisslose Bereitschaft dieser drei Männer ihre Tarnung aufzugeben, um ihre Schorschls bis aufs Blut vor stehlenden Blicken zu schützen.
Völlig erschöpft, aber mit einem glücklichen Lächeln auf dem gezeichneten Gesicht wankte ich ins Freie.
Ein Sprichwort sagt: Im Leben sieht man sich immer zweimal. Und so war es auch jetzt. Die Männer, die mich vorhin so fälschlicher Weise der sexuellen Erleichterung bezichtigten, hatten ihre Wagen seltsamer Weise alle in der Reihe genau vor dem Entsafter geparkt. Und erst am Ende dieser Reihe stand mein Auto.
Feindselige und vor Entsetzen triefende Blicke blitzen hinter den Scheiben in meine Richtung. Von Ehefrauen, Kindern, Großeltern und was noch alles an buckliger Verwandtschaft ins Auto passte. Beim vorletzten Wagen, mit bayerischen Kennzeichen, schoss die Scheibe des Beifahrerfensters nach unten und sofort wieder hoch, nur damit mir ein Jodelhutträger angewidert vor die Füße spucken konnte. Allein mir fehlte die Kraft, um zurück zu spucken.
Erleichtert fiel ich auf meinen noch immer vom Schweiß durchnässten Sitz, bog mein Lenkrad zurecht, tauschte meine Kopfstütze gegen die des Beifahrersitzes aus und packte Schorschl wieder in die Schiesser Feinripp. Aus dem halb abgerissenen und daher umher baumelnden Rückspiegel glotze mich in Sekundenabständen die vertrocknete Birne eines chinesischen Terrakottasoldaten an. Was machte der denn hier? Mir egal, mich konnte nichts mehr schocken. Ich startete den demolierten Wagen und nahm mir vor, bis vor die heimatliche Haustür keine Pause mehr zu machen.


Eingereicht am 12. Mai 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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