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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Sechsbeinige Todesgefahr

© Gaby Schumacher


Irgendwie so komisch blass erschien meine 22-jährige Tochter Nicki bei mir in der Küche. Sie hatte am Computer im Hobbyraum gearbeitet.
"Mama, da summt irgend so ein Vieh und saust dauernd gegen die Lampen. Keine Ahnung, was das ist."
Mit mulmigem Gefühl in der Magengegend folgte ich ihr in den Keller und blieb erschrocken an der Tür des Hobbyraumes stehen. Da flog eine große deutsche Wespe, magisch angezogen von der Helligkeit, total hektisch gegen die heißen Leuchtstoffröhren, wieder und wieder. In der Hoffnung, das fliegende Ungetüm würde dann in die hellere obere Diele wechseln, aus der ich sie dann per vorsichtigem Geleit mit einer möglichst großen Zeitung ins Freie geleiten könnte, löschten wir sämtliche Lichter unten. Dann räumten Nicki und ich fluchtartig mit zitternden Knien das Feld und suchten das Weite. Meine jüngere Tochter Tina schloss sich uns an. Wir verbarrikadierten uns samt Hund im Wohnzimmer. Dann Gefangene im eigenen Haus, trauten uns noch nicht einmal mehr, auch nur einen schüchternen Blick in die Diele zu werfen. Das Insekt hätte ja plötzlich auftauchen können.
Nach ein paar Minuten allerdings riss ich mich zusammen. Nein, so nicht. Es musste dringend etwas geschehen. Vorsichtig lugte ich durch die Wohnzimmertür. Von dem ungebetenen Gast nichts zu hören geschweige denn zu sehen. Der hatte unsere höfliche Einladung ins Erdgeschoss ignoriert und war da geblieben, wo er war.
Demnach hatte ich zu massiveren Mitteln zu greifen, wollten wir die Wespe loswerden. Ich holte mir rasch meinen Milchtopf aus der Küche und schlich todesmutig die Treppe runter, jederzeit auf einen wütenden Angriff gefasst. Mein Herz hämmerte wie verrückt. Doch das Schicksal war gnädig gestimmt. Ich entdeckte Madam Wespe völlig regungslos auf dem Teppichboden sitzend. Ganz offensichtlich total groggy von der panischen Fliegerei und arg mitgenommen durch den Kontakt mit den heißen Lampen. Das war meine Chance. Mir standen inzwischen Schweißperlen der Angst auf der Stirn. Mit letztem Mut stülpte ich ihr per kühnem Schwung meinen Milchtopf über. Es klappte. Das Minimonster war gefangen, wir in Sicherheit. Aufatmend und auch stolz meiner Heldentat wegen sah ich meine Töchter an. Deren Gesichter gewannen ganz langsam wieder an gesunder Farbe. Ein Blick zurück auf den schmalen, hohen Topf. Ein blödsinniger Gedanke schoss mir durch den Kopf: "War das jetzt ´Zylinder mit Wespe` oder etwa doch ´Wespe mit Zylinder`??" Doch ein kleines Risiko blieb.
Denn da war ja noch mein 20-jähriges Nesthäkchen Katja. Und das lag noch im Bett und träumte nichts ahnend vor sich hin. Doch ich mochte mir nicht ausmalen, was geschähe, wachte sie wider Erwarten doch tatsächlich schon gegen 10.00 Uhr morgens auf, erhöbe sich dann ebenfalls wider Erwarten von ihrer Schlafstatt und wankte schlaftrunken allerdings dann entsprechend meiner Erfahrungen in den Keller in Richtung Computer. So, wie ich es einschätzte, torkelte sie dann prompt gegen den leichten Topf und kippte ihn um. In solch körperlich-geistig noch halb benommenen Zustand war sie nämlich der Typ: "Entschuldige, Mama, habe ich leider nicht gesehen!" Und zu welchen empörten Aktionen das unseren geflügelten Gast infolge dann inspirierte, stellte ich mir besser erst gar nicht vor ...
Als zusätzlicher Rettungsring fiel mir mein schwerer Schnellkochtopf ein. Den würde Wespchen selbst bei extra stürmischen Versuchen, seinem dunklen Gefängnis zu entfliehen, nicht anheben können. Und Katjas Stolperattacken hielte der auch stand. Fix holte ich mir das besagte Gefäß ("Mensch, bist du schwer!"), wanderte schon mutiger geworden zum Milchtopf zurück und verpasste diesem eine todsichere Mütze. Gerade rechtzeitig, denn im nächsten Moment hörte ich Katja die Treppe herunter kommen. Schnellstens informierte ich sie, Katja nickte verstehend und beschrieb vorsichtshalber einen weiten Bogen um diesen Wespengefängnishochsicherheitstrakt. herum. Ums Wohlergehen des Insektes machte ich mir eigentlich die geringsten Sorgen. War auch unnötig. Monsterchen bekam mehr als genug Luft in seinem doppelten Zylinder und gekocht wurde es auch nicht.
Rücksichtnahme aus Tierliebe heraus (ääh ... auch unbedingt gerade Stechtieren gegenüber!) ließ mich angestrengt überlegen, wie wir das Vieh zurück in die Freiheit entlassen könnten, ohne die Gefahr einzugehen, letztendlich doch noch ein dann ausgesprochen schmerzhaftes Abschiedsgeschenk entgegen nehmen zu müssen.
Ich holte mir eine flache Metallscheibe, die ich sonst dazu benutzte, um Kuchen von seinem Untergrund zu lösen. Den Schnellkochtopf stellte ich zurück an seinen angestammten Platz. Den Milchtopf hob ich seitlich ein paar Millimeter an und schob die Scheibe Zentimeter für Zentimeter vorsichtig unter den Topf. Sehr mit Bedacht: "Nicht, dass Madam Wespe im letzten Moment ...!" Doch sie war ein sehr sozial veranlagtes Tier und tat mir den Gefallen, brav auf die Scheibe zu krabbeln. Schnell trug ich dieses Scheiben/Milchtopfgebäude nach draußen vor die Haustür und setzte es mitten auf dem Kopfsteinpflaster des Weges ab.
Einmal atmete ich noch tief durch. Dann riss ich hastig den Topf mit der rechten Hand hoch, wagte einen flüchtigen Blick auf die Scheibe: Ja, sie blieb sitzen, Gott sei Dank ...!!, flitzte ins Haus und knallte sicherheitshalber die Haustür hinter mir zu.
Zwei Minuten wartete ich noch ab. Doch meine Kuchenscheibe wollte ich eigentlich wiederhaben. Überhaupt bot sie den Nachbarn da auf dem Wege liegend ein mehr als lustiges Bild. Schließlich fasste ich mir ein Herz und schielte durch die halb geöffnete Tür. "Würde sie ... oder würde sie nicht ...??"
Selig stellte ich fest, dass Madam Wespe sich wohl zwischenzeitlich von diesem garantiert größten Schock ihres bisherigen Lebens denn doch erholt und sich schnellstens aus dem Staub gemacht hatte. Wahrscheinlich auf die Suche nach ihrer Familie. Ich dachte: "Hoffentlich wohnt die(!) bloß nicht direkt in unserer Nähe!" Egal. Hauptsache, das Ungetüm war weg.
Ich klaubte meine Kuchenscheibe vom Boden auf und marschierte erleichtert ins Haus.


Eingereicht am 02. April 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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