Die Bockwurst
© Maria-Luise Kleineberg
Der Pappschweinskopf an der Wand begrüßt mich freundlicher als der Mann hinter der Theke. Ich bin mehr als erstaunt. Normalerweise ähneln die Männer hinter einer Fleischertheke ihren Pappschweinsköpfen mehr als ihrem Spiegelbild. Dieser Fleischereiverkäufer ist anders.
Die beiden alten Damen vor mir sind nicht besonders entscheidungsfreudig. Sie scheinen jedes Rippchen in der Auslage für das des ersten Menschen Adams zu halten. Der Hüftknochen für die Sonntagsvorsuppe wird zum Anlass über die letzte Hüftoperation zu diskutieren. Die Zungenwurst übt magischen Redefluss auf die Quasselstrippen aus. Ich schaue auf die Hände des Fleischermeisters, der mit gekonntem Beilhieb zwei blutige Nackensteaks für die alten Ladys aus einem Fleischstück haut. Mir sträuben sich die Nackenhaare.
Blut klebt an seinen gepflegten Händen. sind keine grobschlächtigen Hände. Mit langen, feingliedrigen Fingern bewegen sich seine Hände zwischen Fleischbergen. Die Damen verlassen den Laden. Ich schaue in sein Gesicht und suche kleine Schweinsaugen, die mich ansehen. Stattdessen funkeln mir große braune Kälberaugen entgegen, die mich unverfroren anstarren. Diese Augen scheinen nur aus Wimpern zu bestehen. "Die Dame wünscht?" Seine Stimme klingt wie das Blöken eines Schafbockes. "Bockwurst, eine
lange, dicke Bockwurst." Der Kerl hinter dem Tresen grinst anzüglich. "Können sie bekommen, mit oder ohne Pelle? Manche mögen lieber die nackte Wurst!" Ich blicke wieder auf seine Finger, die ungeduldig auf der Glasplatte des Tresens trommeln. "Es geht auch ohne? Ja, dann bitte ohne Pelle". Der Fleischermeister schaut auf die Würste in der Auslage und dann wandern seine Blicke zu meinem Dekollete. "Wollen sie sie gerade oder gebogen?" Ich werde nervös. "Das ist doch egal,
geben sie mir eine gerade." Seine Hände gleiten streichelnd über die Bockwürste in der Fleischertheke. "Reicht dieser Durchmesser?" Zwischen seinen Händen hält er ein Prachtexemplar von Wurst. Ich schätze die Maße auf 20x6. "Sie kann ruhig auch etwas kleiner sein". Ich spüre eine Hitzewelle durch meinen Körper fließen. Dieser ungehobelte Fleischergeselle hat mich doch glatt um meine Fassung gebracht. Ich bin mir sicher, sein schmutziges, hintergründiges Lächeln hat meine Phantasie in
eine etwas schlüpfrige Richtung gelenkt. Neugierig schaue ich auf seine Finger, die zärtlich über das eine Wurstende mit kreisenden Bewegungen streichelt. Sein Fingernagel bohrt sich in die Haut und drückt eine Kerbe hinein. Vorsichtig zieht er die Pelle Stück für Stück langsam nach unten. Das rosafarbene Fleisch in seiner Hand glänzt wie eine Trophäe. Ich bin dankbar, als er es endlich in ein Papier schlägt und ich von dem Anblick befreit bin. "Wie wäre es mit einem Stück Hinterschinken oder Ochsenschwanz?"
Genüsslich leckt er sich über die Lippen." "Die Lendchen sind im Angebot:" Ohne das Wechselgeld abzuwarten, stürze ich aus dem Laden. Voller Genugtuung werfe ich meinem Hund, der treu vor dem Laden gewartet hat, die Bockwurst vor die Schnauze und tätschele ihm dabei liebevoll die Ohren. "Lass es dir schmecken, mein Lieber". Ich riskiere einen Blick zurück durch die Ladentür und schaue siegessicher in das Gesicht eines verstörten Fleischermeisters, ein wenig seiner Männlichkeit beraubt.
Eingereicht am 26. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
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