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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Bin wieder da!

© Elke Link


Ich sehe sie alle, wie sie da sitzen.
Mein Mann, meine Kinder, meine Tante Emmy, Onkel Jonas, Brigittchen, Paul, Sebastian und die vielen anderen, ach ja, Cousine Charlotte und Bernd sitzen in Achterreihen der Leichenhalle, die außerdem penetrant nach frischem Grün duftet. Man könnte eine Stecknadel fallen hören, so still ist es, ab und zu hüstelt jemand und dann schnupft sich jemand ins Taschentuch. Extra laut.
Tante Emmy - natürlich!
Wie traurig sie heute alle aussehen, kein Wunder, sie sind ja heute hier auf meiner Beerdigung. Extrem verzweifelt gucken alle, obwohl doch die meisten von ihnen vorhin noch tüchtig gelacht haben. Und Bernd machte sich doch schon Gedanken, ob mein Mann nicht schon wieder eine andere hätte? Charlotte hat es zumindest nicht ausgeschlossen, sie hatte ja schon immer ein loses Maul.
Sebastian rief eben noch die Bahn an, um sich zu erkundigen, wann der nächste Zug fahre. Wie er sich geärgert hat, dass er noch 2 Stunden warten muss. Aber er hatte sich ja - dummerweise - mal dazu entschieden, zu meiner Beerdigung zu kommen.
Mein Mann ist froh, wenn der ganze Zauber vorbei ist. Sollte er etwa nicht traurig sein, dass ich tot bin, nach 36 Ehe-Jahren? Aber er ist ja Realist. Das Leben muss ja weitergehen. An eine andere Frau denkt er zurzeit noch nicht, aber wie lange? Wie heißt es so schön? Wir sind ja auch NUR Menschen!
Sicherlich wird er eine andere finden, aber ob die es mit ihm aushält?
Ich weiß, dass ihn die ganze Verwandtschaft nervt. Wenn sie nur alle schon wieder weg wären! Dann könnte er endlich mal die Versicherungsmappe hervorholen und nachschauen, was zu tun und zu kriegen ist?
Meine Kinder, ach ja, ich sehe sie da vorne sitzen. Ich muss fast mit weinen, wenn ich sie da so traurig sitzen sehe. Sie sind zwar schon alles erwachsene Männer, aber sie haben mich doch immer so lieb gehabt. Ich sie doch auch! Sie waren doch eigentlich der Inbegriff meines Lebens. Weint nur Kinder - wie Techt Ihr habt!
O Gott, die Schwiegertöchter. Da sitzen sie, in der zweiten Reihe, die eine hat eine Laufmasche, die ihr ungemein wichtig ist.
Ich sehe sie alle - ich schwebe nämlich über meinem offenen Sarg, in dem mein Körper liegt. Ich habe bevor ich starb, darum gebeten, möglichst lange den frischen Wind atmen zu können und jetzt erfüllen sie mir diesen Wunsch.
Man hat frische Orchideen gekauft, die meinen Körper einrahmen.
Wieso hat mein Mann bei den Bestattungsvorbereitungsgesprächen nicht erwähnt, dass ich keine Orchideen mag, weil ich allergisch darauf reagiere?
Wenn man nicht alles selbst in die Hand nimmt!
Der Pfarrer hält eine langweilige Rede. Warum geht er nicht auf mein Leben ein? Warum erzählt er nichts von mir? Wen interessiert schon das alte Testament? Und seine schwule Stimme verleitet einen dazu, über einen Kirchenaustritt nachzudenken. Ich bin schon ziemlich enttäuscht. Hätte man mich gefragt ...
Ein engagiertes Streich-Ensemble beginnt zu spielen. Drei an Trauerweiden erinnernde, in anthrazit-schwarzes Tuch gehüllte Gestalten sind dabei, ihre Instrumente zu vergewaltigen. Ich kann gar nicht hinschauen, erst recht nicht hinhören - schrecklich dieser Katzenjammer! Ich bin entsetzt. Wer hatte das arrangiert? Ich halte das nicht aus. Nach einigen zähen Minuten - Gott sei Dank. Sie sind wohl fertig. Sie senken Ihre Instrumente. NEIN - Schon wieder setzen sie an, ich sehe wie Paul, mein Patenkind, sich vor Lachen kaum halten kann, er wird von seiner Mutter in die Seite geschubst, aber sie kann es nicht wagen, ihn anzuschauen, weil sie sonst selbst lachen muss.
Ich bete.
Ja, ich bete darum, dass die Streicher endlich mit ihrem Stück enden. Ich bin mir absolut sicher, dass ich es nicht länger ertragen kann. Ich kann für nichts mehr garantieren. Außerdem kitzelt mich die Orchidee ungeheuerlich an der Nase. Ich habe jetzt keinen Nerv mehr hier oben.
Zurzeit befinde ich mich noch hier oben auf einer imaginären Ebene über meinem Körper, aber ich verliere an Höhe, ich sinke hinab und ich tauche ein ...
Ich schlüpfe wieder in meinen Körper, mein vorherrschender Gedanke ist, mich am Riemen zu reißen, um nicht laut vor Lachen los zu brüllen, wegen dem jämmerlichen Geigen-Geleiere. Die Orchidee neigt sich hinunter an mein Gesicht. Sie berührt meine Nase und kitzelt noch mehr. Ich verspüre Gefühl. HURRA !! Ein menschliches Gefühl!!!!
Will ich wirklich versuchen zu vermeiden, schrecklich zu nießen!
Nein - doch - nein - HATSCHI !!!
Der ganze Sarg wackelt. Die Geiger enden abrupt.
Und auf meine Frage, während ich aufrecht in meinem Sarg sitze "Hat jemand ein Taschentuch" springen alle herbei.
Ich bin wieder da!


Eingereicht am 21. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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