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Haare

© Kurt-G. Krell


"Schon wieder ein Haar!"
Ich war sauer. Ich bin morgens immer sauer, es sei denn, es ist ein Samstag- oder Sonntagmorgen.
Dies war ein Montag! - An einem Montagmorgen bin ich grundsätzlich und ganz besonders sauer! Da stören mich nicht nur Haare im Waschbecken, nicht nur Fliegen an der Wand, nein, da störe ich mich eigentlich auch selbst, stehe mir im Weg. Es gibt montags eigentlich nichts, was mich nicht stört.
Das relativiert sich erst ab 10:00 Uhr.
Aber - wie gesagt - es war Montagmorgen und ich hatte im Waschbecken ein langes, dunkelbraunes Haar gefunden. Es war nicht meines. Ich habe nämlich kaum noch welche, und schon gar keine dunkelbraunen, langen ...
Doch ich war noch zu müde, um mich darüber wirklich nachhaltig zu ärgern oder gar aufzuregen. Irgendwie schob ich es beiseite, das Haar, in der Meinung, es vernichtet zu haben und vergaß die Angelegenheit.
Das Haar aber war hartnäckiger, als gedacht.
Als ich abends wieder in das Bad kam, war es auf irgendeine wundersame Weise wieder auferstanden und ... lag wieder (oder immer noch) im Waschbecken, genau dort, wo es zuvor auch am Morgen gelegen hatte.
Es war ein guter, ein befriedigender, erfolgreicher, ein sonniger, lichtheller Montag gewesen. - Zwar war es immer noch ein Montag, aber für einen Montag war er nicht so übel. Auch unser gemeinsamer Feierabend war rund und harmonisch verlaufen.
Und nun wieder dieses Haar, von dem ich wusste, es war IHRES! - Es musste IHRES sein!
Ich erinnerte mich an den Morgen. Doch, seltsam: der Groll vom Morgen? - Ich fühlte ihn nicht.
Im Gegenteil: Ich nahm mir das lange, dunkelbraune Haar vorsichtig zart zwischen Daumen und Zeigefinger, hielt es gegen das Licht und betrachtete es eine ganze Weile, bevor ich es, fast bedauernd, in den Mülleimer tat ...
Eine ganz seltsame Wandlung war eingetreten. Wie eine Filmkamera einen Weichzeichner einsetzt, war vor meinem geistigen Auge eine Verwandlung vor sich gegangen ...
Es war nur ein Haar. Ein Haar von ganz vielen. Und wie ich so dachte, vermehrten sie sich vor eben diesem geistigen Auge, die Haare, und fügten sich aneinander und ineinander. Sie alle zusammen machten immer noch eine Pracht aus und hatten früher eine noch viel größere ausgemacht ...
Gedankenversunken, immer ihre Haarpracht in meinem Kopf, bürstete ich mir die Zähne, wusch mich und kletterte in mein Bett ...
Haare ... ihre Haare ... lang? - Nein, ... noch viel länger ... sie fielen über die sanften Rundungen ihrer Schultern, teilten sich dann und bedeckten das eine und das andere Schulterblatt, umschmeichelten den ganzen Rücken bis fast hinunter auf die Hüften ... und tiefer.
Sie bedeckten vorn Ihre Brüste mit einem Schleier von Geheimnis und Verlockung, das nur mir erlaubt war, mit meinen Händen zu lüften und zu ertasten, auch wenn es eigentlich keine Geheimnisse waren, denn unsere Körper kannten sich schon seit langem ...
In meiner Phantasie tauchten die Bilder der Vergangenheit auf. Vergangenheit, in der ich jedes dieser Haare so geliebt hatte, bewundert, gestreichelt, wo meine Hände durch diese Haare hindurch gefahren waren, sich hindurch gewühlt hatten mit einem unendlichen Seufzen tief gefühlter Zärtlichkeit und ich mit erst verhaltener, dann ungezügelt ausbrechender Leidenschaft mein Gesicht darin verbarg, ihren Duft in mich aufsog ...
Sie haben mich gestreichelt, liebkost, bedeckt und umgarnt, umschmeichelt, haben mich geliebt, wie ich sie ... Sie haben SIE umrahmt, ihr geliebtes Gesicht, haben ihren Augen noch mehr Ausdruck verliehen, haben sie geheimnisvoll erscheinen lassen, oder auch nur als absolutes Weib ... begehrenswert ... begehrt, gewollt und schließlich: geheiratet!
Und da rege ich mich über ein Haar im Waschbecken auf???



Eingereicht am 11. November 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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