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Was bin ich

© Simon Müller


Von einer Minute auf die andere änderte sich alles. Mit einem Schlag hatte ich keine Beine mehr. Auch als ich versuchte die Arme zu bewegen war ich überrascht. Es war mir nicht möglich. Auch diese wichtigen Glieder des menschlichen Körpers waren mir genommen worden. Nach und nach ließ auch mein Hörvermögen nach. Immer leiser wurde es um mich. Schließlich hörte ich gar nichts mehr. Ich war taub - isoliert in meiner eigenen Welt, wo es nur mich und meine Gedanken gab. Es war furchtbar. Auch mit meinen Augen schien etwas nicht zu stimmen. Nur noch schemenhaft erkannte ich meine Umwelt. Mir kam es vor, als sei ich ausschließlich von ebenso bemitleidenswerten Kreaturen wie mir selbst umgeben: Lauter Gestalten ohne Arme und Beine, plumpe Gebilde ... wie ich. Schreckliche Angst überkam mich. Um mich zu vergewissern, dass ich nicht träume, versuchte ich mich zu kneifen - ein relativ sinnloses Unterfangen ohne Arme! Plötzlich zog ein gewaltiger Sturm auf. Wild wurde ich hin und her geschleudert. Ich hatte keine Chance mich zu verteidigen, die Arme zum eigenen Schutz zu erheben. Ich wollte um Hilfe schreien, doch als ich versuchte den Mund zu öffnen überkam mich unfassbare Panik. Nie zuvor fühlte ich, wie ich jetzt fühlte. Ein Gefühl der Ohnmacht, alles drehte sich. Ich konnte meinen Mund nicht öffnen. So sehr ich mich bemühte, es gelang mir nicht einen Laut hervorzubringen. Wild peitschte der Sturm gegen meinen hilflosen Körper. Aus dem Augenwinkel betrachtete ich meine Leidgenossen. Zwar konnte ich ihre Gesichter nicht erkennen, jedoch spürte ich sehr deutlich, dass auch sie unter schrecklicher Angst litten. Ob sie wohl schrien? Es war erstaunlich. Obwohl der Sturm meinen Leib durchschüttelte als ginge es darum mich bis auf den letzten Tropfen zu entleeren, verlor ich nicht den Halt. Etwas schien mich am speckig glänzenden Boden festzuhalten. Ich wusste nicht, was es war, aber ich war dankbar dafür. Dann wurde der Sturm stärker, und zeitgleich schob sich eine Art gewaltige Flugzeugturbine über den Horizont, bis sie diesen schließlich komplett ausfüllte. Der Sturm schien aus eben dieser Turbine zu kommen. Unerträglich dröhnte es in meinem Kopf. Wild peitschte es über die kläglichen Überreste meines geschundenen Körpers. Doch das sollte noch nicht alles sein: Mit einem Schlag schien sich die Luft um mich herum bis ins Unerträgliche zu erhitzen. Ein beißender Schmerz durchzuckte mich, jeder Atemzug barg unsagbare Qualen. Für einen Moment verlor ich das Bewusstsein. Als ich erwachte hatte sich die Luft merklich abgekühlt. Auch war die gewaltige Turbine vom Himmel verschwunden. Dafür strömte nun eine Wolke von übel riechendem Gas auf mich zu. Es begann all meine Poren zu verstopfen, haftete sich an jede Faser meines Körpers, klebte mich mit den umliegenden Gestalten aneinander und raubte mir letztendlich erneut die Sinne.
Ein gewaltiger Schmerz durchzuckte mich, als mir eine Art Pflug den Boden unter den Füssen wegriss. Ich fiel. Dies geschah im Zeitlupentempo - zumindest kam mir es so vor. Langsam entfernte ich mich von dem Ort, an dem ich noch kurz zuvor scheinbar untrennbar verankert war. Gleich einem Astronauten, der aus seiner Raumfähre dem sich stetig entfernenden Heimatplaneten nachblickt, sah ich nun, wie ich mich mehr und mehr von meinem eigenen Kopf entfernte ... Kurz bevor ich neben meinen Schuhen auf dem Boden aufkam, wachte ich auf.
Alles war wie früher. Ich konnte meine arme und Beine spüren, hörte wieder normal und sah die Konturen meiner Zimmereinrichtung. Schnell machte ich das Licht an, schlug meine durchgeschwitzte Bettdecke zur Seite und lief ins Bad um mir das Gesicht zu waschen. Als mein Blick auf mein zerzaustes Haar fiel wurde mir schwindelig und ich war mir sicher: für eine Nacht hatte ich den alltäglichen Horror eines Haares erlebt.



Eingereicht am 04. November 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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