Abenteuer im Frisiersalon. Kurzgeschichten aus dem Internet. Edition www.online-roman.de  Dr. Ronald Henss Verlag, Saarbrücken.  160 Seiten 10 Euro ISBN 3-9809336-0-1
ISBN 3-9809336-0-1

www.online-roman.de

haarige Kurzgeschichten Haar Haare Frisur Friseur

Alles kommt zurück

Von Susanne Eugorisse


Der Tag begann mit einem schrillen Klingeln des Weckers. Natürlich stand der Wecker nicht auf dem Nachtkästchen - zu einfach könnte man ihn dann mit einem Handgriff zum Schweigen bringen. Nein, der Wecker stand weit weg vom Bett. Also rappelte sie sich auf und stolperte zum Schminktisch, der eigentlich nur eine Ablage für allerlei Unnötiges war. Während sie noch überlegte, ob sie nicht doch noch 5 Minuten im Bett liegen bleiben könnte, läutete schon der nächste Wecker. Der stand in weiser Voraussicht in der Küche. Also lief sie rasch in die Küche, um dem Lärm ein Ende zu bereiten. Es war jeden Tag dasselbe Spiel, doch nur so war es möglich, nicht zu spät zur Arbeit und früh genug aus dem Bett zu kommen.
Die vielen Medikamente, die zu nehmen sie längst nicht mehr gewillt war, taten das Übrige und versetzten sie ständig in einen zombieartigen Zustand. Nach einem Blick in den Spiegel musste sie lächeln. Noch immer hatten sich nicht alle an ihren neuen Look gewöhnt. Viele Menschen drehten sich nach ihr um und dachten sich offensichtlich ihren Teil. Doch das alles störte sie längst nicht mehr. Sie hatte vor gut einem Jahr mit dem Leben abgeschlossen und mit sich selbst ihren Frieden gemacht. Solche Kleinigkeiten konnten ihr nichts mehr anhaben.
Nachdem sie sich selbst einen schönen Tag gewünscht hatte, verließ sie das kleine Häuschen neben dem großen Haus ihres älteren Bruders. Auch sie hatte ein großes Haus bewohnt, aber das war lange her und sie trauerte dem Vergangenen nicht mehr nach. Ihre kleine Tochter war ein paar Tage bei einer Freundin und so brauchte sie sich zu Hause um nichts mehr zu kümmern. Sie schnitt ein paar Rosen im Garten und machte sich auf den Weg zum Friedhof. Dort ging sie zuerst zum Grab ihrer Eltern und danach zu ihrem Mann, der beim Feuer ums Leben gekommen war. Sie arrangierte liebevoll die Blumen und sprach einige Minuten mit ihm. Das gab ihr jeden Tag Kraft und gehörte zum Tagesablauf einfach dazu.
Sie kam wie immer pünktlich zur Arbeit, begrüßte flüchtig die Kolleginnen und eilte zu ihrem Schreibtisch. Nachdem sie sich gesetzt hatte, hatte sie irgendwie das Gefühl, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Sie konnte noch nicht zuordnen was es war, aber irgendwas stimmte nicht, da war sie sich sicher. Sie sah sich noch einmal im Zimmer um und der Mund blieb ihr vor Verwunderung offen stehen. Nach scheinbar endlos langer Zeit traten ihr die Tränen in die Augen und sie begann zu lachen. Die Kollegin, die mit ihr verschiedene Projekte bearbeitet hatte und ihr eine gute Freundin geworden war, kam auf sie zu und umarmte sie.
"Nachdem du in all den Jahren immer wieder für uns da warst, nicht nur als Kollegin, sondern auch als Vermittlerin bei Streitigkeiten, als Anlaufstelle für all unsere kleinen und großen Probleme, wollten wir dir zeigen, wie sehr wir dich schätzen und wie lieb du uns geworden bist. Und da du wenig über dein Leben außerhalb unserer kleinen Arbeitswelt erzählst, wollten wir dich schon oft aus deinem Versteck locken. Allerdings ist uns das nie gelungen, zu viel stand trennend zwischen uns. Du bist für uns alle ein Vorbild und wir möchten wenigstens ein bisschen an deinem Leben teilhaben. Lass uns jetzt einmal für dich da sein, wie du so oft für uns da warst."
Sie hatte sich immer gewünscht, einmal mit Freundinnen auszugehen, ins Schwimmbad, ins Kaffeehaus, ins Kino. An Einladungen mangelte es nicht, aber immer wieder hatte sie eine andere Ausrede, um den anderen zu ersparen, sich mit ihr zu zeigen. Sie hatte nicht gewusst, dass es außer ihr noch Menschen gab, die es wert waren, so genannt zu werden. Die Herzlichkeit, die ihr jetzt entgegenschlug, nahm ihr fast die Luft zum Atmen. Es war, als ob all die Liebe und Güte, die sie selbst ausstrahlte, tausendfach zurückgegeben wurde. Die kleine Blonde mit den Engelslocken, die Kollegin mit den roten langen Haaren, die dicke ältere Dame mit dem schwarzen Zopf, ihre Freundin mit den schier endlosen Rastazöpfen, alle waren da und alle lachten mit ihr.
Sie selbst hatte sich nach ihrem langen Krankenhausaufenthalt über die Kleiderordnung hinweg gesetzt und ging in Hosen und T-Shirts zur Arbeit. Alles was sie irgendwie einengte, seien es allgemein gültige Regeln oder Vorschriften oder sonstige Fesseln, die man sich selbst anlegt, waren ihr ein Gräuel geworden. Alles was zählte war das Leben. Nur das allein war wichtig. Manchmal kann kein Geld der Welt helfen und sie hatte für sich einfach andere Prioritäten gesetzt. Toleranz gegenüber anderen, helfen wo Hilfe gebraucht wird ohne darauf zu achten, ob es einem gedankt wird. Alles was man tut im Leben, wird auf die eine oder andere Art zurückgegeben. Oft auch von solcher Stelle, von der man es am wenigsten erwartet. Das war ihre Philosophie. Und jetzt durfte sie wider Erwarten erfahren, dass sie Recht behalten sollte.
Es wurde der schönste Tag in ihrem Leben. Die Zeit im Büro verging rasch und nach der Arbeit gingen alle zusammen schön essen und danach ins Kaffeehaus, um den Abend nett ausklingen zu lassen. Sie erregten viel Aufsehen und wurden überall angestarrt. Sie lachten herzlich über die teils schockierten, oft nur neugierigen und oft auch amüsierten Blicke. Nachdem man fürs Wochenende verabredet hatte, ein Grillfest für alle beim kleinen Häuschen am See zu veranstalten, um ihre Rückkehr ins Leben zu feiern, schwebte sie regelrecht nach Hause.
Am Donnerstag kam ihre Tochter nach Hause und sofort bemerkte sie eine Veränderung, nicht nur an ihrer Mutter, sondern auch im Haus. Überall standen Blumen, bunte Schalen, die Fenster waren geöffnet und es duftete überall nach Sommer und Leben. Das Beste aber war das Bild über der Anrichte im Wohnzimmer. Ihre Mutter mitten unter ihren Kolleginnen - alle in Hosen und T-Shirts, in Holzpantoffeln und alle hatten so wie ihre Mutter einen kahlrasierten Kopf. Nur die Narben waren bei ihrer Mutter echt, die anderen hatten sie aufgemalt.




Wenn Sie einen Kommentar abgeben möchten, benutzen Sie bitte unser Diskussionsforum. Unser Autor / unsere Autorin ist sicherlich genau so gespannt auf Ihre Meinung wie wir und all die anderen Leser.



»»» "Haarige" Kurzgeschichten «««

»»» Kurzgeschichten: Überblick, Gesamtverzeichnis «««

»»» HOME PAGE «««



Eingereicht am 12. August 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.